Massiv, F.R., Kollegah, Favorite, Nate57, K.I.Z. und Casper, Bushido, Sido, Savas und Samy sowieso – welcher Rapper der dieses Jahr releaste landete eigentlich nicht in den Top 10?
Klar, alle Jahre wieder geklonte Bushido-Alben wie “Jenseits von Gut und Böse“ nehmen auch jenseits von gut oder schlecht die obligatorische Position an der Chartspitze ein. Wen wundert’s? Vielleicht so manche. Wen juckt’s? Keinen Arsch.
Wirklich freuen durften sich aber die Fans diverser anderer Rapper, die durchaus auch speziellere Nischen besetzen. Die beiden Selfmade-Schützlinge Favorite und Kollegah bescherten dem Pottlabel dieses Jahr die bisher höchsten Chartplatzierungen (“Christoph Alex“, Platz 4, “Bossaura“ Platz 5), deren Düsseldorfer Kollege Farid Bang verfehlt mit Platz 11 nur knapp die TopTen-Platzierung für sein letztes Werk "Banger leben kürzer“. Baba Saad schoss mit "Halunke“ bis auf Platz 15. Und selbst ein doch recht spezieller Fall wie Kaas kuschelt mit “Liebe, Sex und Zärtlichkeit“ immerhin noch auf Platz 39.
Was war da eigentlich los?
Haben die oft genug selten peinlichen Appelle der Rapper an ihre Käufer endlich Wirkung gezeigt? Man erinnere sich nur an die Upload-Petzenkultur, die bisher fast jedes größere Release begleitete und bei aller wirtschaftsrechtlicher Legitimität doch irgendwie einen faden Beigeschmack hatte – don’t snitch, don’t tell, homie.
Stecken einfach nur glückliche Zufälle und etwaige neue Rechnungsweisen bei der Media Control hinter dem Deutschrap-Chartwunderjahr 2011?
Oder ist die Antwort viel naheliegender, und hören die Leute einfach mehr deutschen Rap als noch vor ein paar Jahren? Und wenn ja, warum?
Vielleicht, weil Deutschrap 2011 so formoffen und offen für neue Einflüsse ist ist, wie wahrscheinlich noch nie in seiner Geschichte. Künstler wie Marteria, Tua, K.I.Z. und nicht zuletzt Casper öffnen deutschen HipHop eben auch dem zotteligen Rocker, Streetrap-unbegeisterten Verbindungsstudenten oder sonst zu Minimalbeats abspackenden Clubgänger. Wer sich auf dem diesjährigen splash! mal etwas genauer umschaute, und sich mal nach dem musikalischen Background des ein oder anderen Besuchers erkundigte, dem wird nicht entgangen sein, dass neue Hörerschaften von Mama Deutschrap mit offenen Armen empfangen worden sind.
Die bislang höchste Chartplatzierung der Berliner von K.I.Z. (Platz 4 für “Urlaub fürs Gehirn“) ist sicher auch darauf begründet, dass die Jungs in der Vergangenheit mindestens genauso oft vor HipHop-Publikum als auch auf Rockfestivals begeistern – wobei ihr jüngstes Werk nichtsdestotrotz an sympathisch-asoziale Berlinrap-Tradition anknüpfte.
Wenn auch überschattet durch die etwas übertrieben hysterische Berichterstattung in den Feuilletons der bürgerlichen Presse sowie den Musikmedien abseits von HipHop, war DER Charterfolg des Jahres aber zweifelsohne Caspers “xoxo“: Ein Sturm auf den ersten Platz, wie bereits erwähnt gefolgt von einem gewaltigem Medienecho und nicht zuletzt ein starkes Zeichen, nämlich für eine neue Generation im Deutschrap, der Genregrenzen soviel Wert sind wie seinerzeit M.O.R. und Savas die Stock-im-Arsch-Kultur der Prä-Berliner Rap-Ära.
Schade nur, dass die gesamte bürgerliche Presse, wenn sie denn den Exil-Bielefelder zur Kenntnis nahm, ihn fast durchgehend zum Juwel im Scheißhaufen hochstilisierte.
Dass das oberflächlicher Blödsinn ist, weiß aber zum Glück jeder, der etwas genauer hinsieht bzw. -hört.
Schließlich und endlich ist aber auch der konventionelle, aber gute Streetrap aus dem Hause Rattos Locos noch lange nicht tot, selbst Nate57s Mixtape “Auf der Jagd“ konnte sich in diesem Jahr einen stolzen Platz 10 erkämpfen.
Denn bei allen musikalischen und irgendwie auch kulturellen Veränderungen in der Hörerschaft – auch klassischer Deutschrap hat lange nichts von seinem Stellenwert eingebüßt. Zahlen gefällig? Wie wär’s mit dem “Aura“-Charteinsteig: ebenfalls Platz 1, übrigens Savas’ beste Chartposition bis dato.
Selbstredend, am sprichwörtlichen Ende des Tages bedeuten diese relativen Zahlen der Media-Control sehr wenig. Sie sind für nichts weiter als einen unterhaltsamen Schwanzvergleich zu gebrauchen. Aber es geht auch nicht nur darum, zu zeigen welcher Künstler dieses Jahr marktwirtschaftlich das größte Stück vom Kuchen erbeutet hat. Vielmehr geht es um einen ziemlich angenehmen Gesamteindruck: Dass deutscher Rap in den Medien, in den Kopfhörern der iPods und auch in den Regalen der Kinderzimmer und CD-Cases der Autos so präsent ist, wie lange nicht mehr. Und das, falls es jemandem aufgefallen ist, sogar ohne großartige Underground vs. Kommerz oder Hipster vs. Gangsta-Diskussionen durchstehen zu müssen. Und, um noch einmal darauf hinzuweisen: Ohne einem bestimmten Modetrend oder einem gehypten Stil zu folgen: Von Savas bis Casper, K.I.Z. zu Prinz Pi, von Nate57 zu den Atzen und weit darüber hinaus, 2011 war für jede Richtung des deutschen Raps ein fettes Jahr. Auf ein Neues!