Jahresrückblick Teil 3

Was Haftbefehl für Gangsterrap war, war Casper für den emotionaleren Rap. Oder den melancholischeren Rap. Oder den Emo-Rap. Oder den Nerd-Rap. Oder den Hipster-Rap. Oder halt den Nicht-Gangsterrap. Kategorisierungen sind eh scheiße, aber man weiß wohl ungefähr, worauf der Autor hinaus möchte. Im Fahrwasser des Exil-Bielefelders schwammen so einige Charaktere mit, die das Game wieder um ein paar Facetten reicher gemacht haben.
 
 
Angefangen hat es aber auch hier bereits Ende letzten Jahres. Da releaste Rockstah nämlich sein Album “Nerdrevolution“, wobei Rockstah von dem Wort “Nerd“ eine weitergefasste Definition im Kopf zu haben scheint. Jedenfalls geht es auf dem Album nicht darum, wie er an verstauben C64-Platinen rumbastelt, sondern Videospiele zockt und DVDs sammelt. Cleverer Move, denn mit diesem Begriff dürften sich weit mehr Personen identifizieren können und zu Fans rekrutieren lassen. Ein kurzweiliges Album war es allemal, “Sturmfrei“ oder “Zocken größer Ficken“ sind amüsante Songs mit Kultpotential, dazu durchdachte Electrosound-Dingens-Produktionen. Vorher von der Szene weitgehend unbeachtet erlebte der Rodgauer nun erstmals so etwas wie einen, Achtung, Unwort: Hype. Nur um sich dann von der Musik erst mal wieder zurück zu ziehen und sich seinem Ulk-Blog zu widmen. Quasi pünktlich zum Splash gab es noch den Track “A-Taste“ sowie ein paar nebulöse Ankündigungen sein Album betreffend. 2012 soll es rauskommen und viel mehr ist eigentlich bis dato nicht bekannt.
 
Im April kam dann Kaynbock mit seinem kostenfreien Album “Trümmertetris“ um die Ecke. Der Kollege ist wie Casper auch aus Bielefeld, und musikalisch könnte man mit zu wenig Phantasie und genug Oberflächlichkeit beide mal schnell in eine Schublade packen, aber damit würde man Kaynbock nicht gerecht werden. Tatsächlich hat er einen sehr interessanten Longplayer abgeliefert. Da wird The Streets gesamplet, aber auch Psych-Gitarren finden ihren Platz auf den Instrumentals. Das Ganze klingt aber zu keinem Zeitpunkt bemüht oder uninspiriert. Nur sehr melancholisch, manchmal aggressiv und selten optimistisch, aber sehr ansprechend und alles in allem hörenswert to the fullest. Allerdings fand das Projekt nicht die verdiente Abnehmerschaft, sollte es Kaynbock aber gelingen, an dieses Werk anzuknüpfen, stellt sich auf längerfristige Sicht wohl auch hier ein spürbarer Erfolg ein.
 
Im Windschatten besagten Rockstahs betrat dann im Oktober dieses Jahres Ahzumjot das Parkett. Für die einen Kid Cudi oder Drake auf Deutsch, mindestens, und das nächste ganz große Ding, garantiert – für die anderen einfach nur overhypet und belanglos, womit man aber immerhin schon mal die Polarisierung der Community geschafft hätte, was für einen Durchbruch bekanntlich die Mindestanforderung ist. Warum es dann letztendendes doch nur bei einem überschaubaren Buzz geblieben ist, trotz diverser Ritterschläge durch die Fachpresse, ist nicht ganz klar. Möglicherweise weil das erste richtige Album “Monty“ nur gegen Bezahlung und nicht wie so oft kostenfrei downloadbar war. Vielleicht aber auch, weil die Texte weit weg sind von besoffen Mitgröhlen und Nebenbeihören. Eine Zukunft als feste Größe scheint aber durchaus im Bereich des Möglichen, schon wegen der Qualitätsdichte in Sachen Beats und Texten und auch dem entsprechenden Rückhalt vieler HipHop-Heads. Lediglich der eigentümliche Flow braucht noch Gewöhnungszeit. Aber hey, daran wird es nicht scheitern.
 
Lehnen wir uns noch etwas weiter aus dem Fenster: Eigentlich finden Kraftklub ja schon fix im HipHop-Kontext statt, Einheizer für Fettes Brot und Casper, Medienpräsenz bei rap.de und Juice, selbes Management wie K.I.Z. und Casper. Die Jungs klingen wie eine Mischung aus Beatsteaks und K.I.Z., nenn es Gitarrenmusik mit Punchlines. Ihre erste EP “Adonis Maximus“ ist bereits 2010 erschienen, dieses Jahr gab es dann, quasi mitten im Sommerloch, die Single “Zu Jung“ von besagter ausverkaufter Scheibe zu erwerben und kurz darauf die eigens für  Stefan Raabs Bundesvision Songcontest komponierte Nummer “Ich will nicht nach Berlin“. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal: Anders als der Rest der Republik fühlt sich die Fünf-Mann-Kapelle offenbar sehr wohl in ihrer Heimat Chemnitz und will so gar nicht nach Berlin. Am 20. Januar 2012 erscheint dann das Debütalbum, “Mit K“.
 
Bereits im Februar dieses Jahres gab es “Meine Musik“ von Cro zum Download. Trotz des sympathischen Sounds blieb das Release aber ein Insider-Tipp. Möglicherweise, weil es dann doch alles ein bisschen zu positiv und happy war. Jedenfalls legte der junge Mann Ende des Jahres einfach noch mal einen drauf mit seinem Free-Release “Easy“. Vermutlich ist es zu einem Gutteil der überragenden gleichnamigen Single samt lässigem Video samt attraktiven Damen zu verdanken, dass sich nun ein, naja, Hype entwickelte, mit dem wohl keiner gerechnet hat. Das Video durchbrach kurze Zeit später die Millionen-Klicks-Schallmauer bei Youtube. Die lockeren, melodiösen Sample-Beats erinnern hier und da an den US-Newcomer Mac Miller und auch inhaltlich gibt es Parallelen. Nichtsdestotrotz hat der Rapper mit der Panda-Maske einen ganz eigenen Sound kreiert und es bleibt zu hoffen, dass da mit Hilfe der Stuttgarter Talentschmiede Chimperator, wo Cro gesignet ist, bald ein Album nachgelegt wird. Bis es so weit ist, rotiert jedenfalls weiterhin "Easy" in der Playlist.
 

Olson Rough ist kein Newcomer im klassischen Sinn mehr, trotzdem passt auch er perfekt in diese Kategorie hier (für die wir immer noch keinen coolen Namen haben. Egal.). Bereits 2009 stand das von Kritikern wie Fans hochgelobte “Rudeboy“ zum kostenfreien Download parat. Zwei Jahre später, meldete er sich dann zurück, mit neuer Musik und ohne Rough. Jetzt nennt er sich nur noch Olson und auch äußerlich hat er sich verändert. Statt Kampfglatze trägt er nun den Hipster-Undercut. Doch auch wenn er sich musikalisch weiterentwickelt hat, ist es glücklicherweise kein Versuch geworden, sich neu zu erfinden. Zumindest klingt das auf der Download EP “40213“, die seit Dezember kostenlos aus dem Netz gezogen werden kann, immer noch, wie der Olson Rough von “Rudeboy“, nur erwachsener und ein Level weiter. Es geht immer noch um den Struggle in der Schule, das Hin und Hergerissen sein zwischen Clubs und Hörsälen und natürlich die Damenwelt. Und immer noch mit der Roughness in der Stimme, der Melancholie und den melodiösen Beats. Im Mittelpunkt steht aber nicht mehr so sehr, sich zu beweisen, als der Krasseste, der Pillen, Alkohol und Prügeleien zelebriert sondern den Prozess des Erwachsenwerdens in der Großstadt zu beschreiben. 2012 kommt hoffentlich endlich ein Album, auf jeden Fall aber eine Tour, mit eRich und Gerard, die passenderweise “Almost Famous“ heißt und im April nächsten Jahres startet.
 

Und wo wir schon mal bei Gerard sind: Ähnlich wie Olson ist der Österreicher auch kein Newcomer im klassischen Sinne mehr, denn er hat bereits zwei handfeste Alben releast, so richtig zum Anfassen. Und trotzdem ist er vor allem in Deutschland eben doch noch ein Newcomer. Angefangen hat alles als Voract von Prinz Pi. Übrigens ein recht zuverlässiger Indikator für den möglicherweise bald eintretenden Durchbruch, denn auch K.I.Z., Kollegah oder Casper präsentierten sich in diesem Rahmen erstmals einem größeren Publikum. 2011 gab es musikalisch nichts von Gerard, aber das nächste Album ist schon in der Mache, die ersten Titel stehen anscheinend schon. Außerdem entsteht die Platte unter Mitwirkung von Beatlefields DJ Stickle in den Krabbe-Studios, in denen ja unter anderem auch schon Caspers Nummer 1 Album “XOXO“ gebastelt wurde.
 
 
Jetzt könnte man noch Namen wie eou nennen, denen mit dem Video zu "immernochso" ein kleiner Überraschungshit gelungen ist. Oder man könnte den Bogen noch etwas weiter spannen und die Orsons (die 2011 einen Majordeal unterschrieben), insbesondere Tua und Maeckes aufs Tapet bringen. Denn an vielen Beispielen lässt sich belegen, dass deutscher Rap 2011 so offen und vielseitig war, wie lange nicht. An dieser Stelle ist der Autor aber einfach mal froh, im gesamten Text das Wort "Hosen" nicht verwendet zu haben und wünscht allseits guten Rutsch.