Herr von Grau bringen die Depression anders als Die Sterne nicht mit in die schmucke Discothek, sondern zurück auf die Bretter, die die Welt bedeuten, auch wenn sie damit im Lande Deutschrap eher alleine stehen.
Weg vom Sparzwang im Entwurf einer Künstlerpersona, alles ist möglich, alles ist verwertbar, alles ist nutzbar und diese Freizügigkeit in Sachen Sampling ohne Genregitter hat die gängigen Szenepublikationen oft fragend zurückgelassen. Das ändert sich nun leicht.
Ja, Herr von Grau sind rein musikalisch betrachtet poppiger geworden, eingängiger, ohrwurmiger – aber von cheesy Bullshit und Chartanlehnung ist auch auf der neuen Platte keine Spur zu finden, das Duo verwehrt sich weiterhin konsequent einer poppigen Ausbeut-/Ausdeutbarkeit. Aber auch wenn ihre Beats bei ersten Hinhören gefälliger geworden zu sein scheinen – trendbewusster sind sie nicht geworden. Hier stehen eher Portishead, Rjd2, ältere Ninja Tune-Beatästhetiken und massig dichte Atmosphäre Pate, denn aktuelles Electrogroßraumdissengeknarze oder Eurodance-Vomitiva.
Die Texte sind gewohntermaßen zu doppelbödig für den landläufigen, zahlungsresistenten Leech-Hopper. Sie besitzen diesen verfeinerten fundamentalen Skeptizismus, der alles immer wieder & wieder infrage stellt. Gleichzeitig sind sie stellenweise heimtückisch, hartherzig, fies, bedrohlich und finster, um dann einige Takte später wieder umzukippen & dann ganz beiläufig Wahrheiten en masse auszuspucken.
Die Textgestaltung ist im Gegensatz zum Vorgängeralbum nochmals sperriger, finsterer & kryptischer geworden. Herr von Grau nehmen Dich (solange Du dies wirklich willst) mit in die unbeschönigten Tiefen eines verdunkelten Geistes und ballern Dir im nächsten Song so viel hochironischen, anspielungsdichten, schieren Frohsinn versprühenden Wortwitz in die Headphonebeschallung, dass Du glaubst Dein auditiver Tape-Psychiater hat Strauchweise Gras verköstigt bekommen.
Ich hatte die Platte eben beim Einkaufen auf dem Ohr, in der Folge: Wildes, fast psychotisches Lachen über die grandiosen Wortspiele und herrliche Szenarienbeschreibungen („Vergesslich“/ „Ruf die Bullen“) am Gemüsestand, plus dämliche Seitenblicke von den Securityhorsts als ich die Bananen zum 2ten Mal lachend fallen ließ. Ob sie wohl die Bullen rufen wollten?
Dann aber auch ein ernstes Zustimmen bei den krassen Entblössungen eines intime Einblicke gewährenden MCs („Revue“/ „Maskenball“/ „Trauermarsch“), bei der Liebesvogelabschüsse & gescheiterte Beziehungen, retrospektive Überlegungen über die Entscheidung zur Abtreibung und das wankelmütige Seelenheil zur Sprache kommen. Der Hauptgrund weshalb Benni als MC so aus der Masse heraussticht ist sein unbedingter Mut.
Hier bringt jemand sein Innerstes ein in die Warenwelt. Man kann diese Texte nur fühlen, wenn man die bewusste Zwiespältigkeit zulässt (oder sie kennt). In diesem augenzwinkernden Harlekin ruht auch ein brillanter Chronist von emotionalen Schräglagen, ein begnadeter Analyst der Aussenwelt und ein hervorragender Spötter von Zwang und Trägheit und ja! Man kommt auch selbst ins Grübeln, ob manche Spitze denn tatsächlich nur den anderen gilt.
Neben aller ironisierenden Schilderungen finden hier aber auch die leider wohlbekannten Szenerien des hingebungsvollen Kontrollverlusts („Menschenhass“) ihren Platz. Diese in harte Worte gekleideten Gewaltphantasien sind zwar eines Pazifisten wirklich unwürdig, aber ich muss kein klägliches Einverständnis heucheln, denn bei manchen dieser hochtourigen, aufmerksamkeitssaugenden Neo-80erViehern stimme ich nur zu gerne ein in die Hook.
Sublimation des Hasses eben – lieber schnaubend mitsingen, statt echte Menschen hauen. Dieses Brett im Repertoire des grauen Liedguts ist quasi das Äquivalent zur Wack-MCs-Schlachtplatte – nur eben mit vertauschten Adressaten.
Ja – hintergründige Singles in den Charts, wäre echt mal Zeit dafür. Anderer Hip Hop, der Dir direkt in die Scheitel- & Schläfenlappen fährt & dich genau dort packt, dort wo Sprache, Emotionen & Berührungen ihren Platz haben – ja so muss eine große Show aussehen!