Diam’s – S.O.S.

Man spricht immer viel von der Stimme als eigenes Instrument. Als treibendes Hauptelement eines Songs, dass den Takt angibt und die musikalische Untermalung in eine Art Rhythmus-Korsett zwingt. Gerade beim Rap macht die Stimmpräsenz des Künstlers einen Großteil der musikalischen Qualität aus, wirklich darauf achten tut man, wenn man mal ehrlich ist, aber nicht. Viel mehr konzentriert man sich auf den Text, auf Wortspiele, Inhalte und Aussagen. Vielleicht ist es also mal ganz gut, wenn man so gut wie nichts versteht, so wie ich beim neuen Diam’s Album "S.O.S.“.
 
Ich glaube, schon mit mehrjährigem, fundierten Französisch-Unterricht in der Schule fällt es schwer, den Damen und Herren aus den Banlieues zu folgen. Zu sehr werden Worte der Kunstform zuliebe beschnitten, verdreht und bewusst anders ausgesprochen, um sich perfekt in den Reimfluss einzufügen oder die gewollte Emotion zu transportieren. Diam’s ist zweifelsohne eine Meisterin in diesem Bereich. Frauenrap an sich ist für mich immer ein schwieriges Feld, weil ich zumeist das Gefühl habe, dass die Mädels am Mic ihre Stimme verstellen. Egal ob betont lasziv oder übertrieben aggressiv, gewollt ist halt eben noch lange nicht gekonnt. Die Französin, die in ihrem Heimatland spätestens seit ihrem Nummer Eins Hit "La Boulette (Génération Nan Nan)“ im Jahre 2006 zur ersten musikalischen Riege zu zählen ist, hat ein Organ, um dass sie wohl selbst US-amerikanische Kolleginnen beneiden müssten.
 
Gab sich die Frau mit griechischen und zyprischen Wurzeln auf vergangenen Alben auch gerne mal sehr poppig, liefert sie mit ihrem vierten Album "S.O.S.“ ein größtenteils melancholisches Werk ab. Schon das einleitende "Mélanie“, so der bürgerliche Name der Künstlerin, das sich in Curse-scher Manier nach und nach zu einem orchestral anmutenden Track aufbaut, zeigt an, in welche Richtung die Reise geht. Eine Vielfalt an Instrumenten, die, so entnehme ich das mit meinen rudimentären Französisch-Kenntnissen dem Booklet, alle im Studio eingespielt wurden. Darüber die mal flehende, mal vor unterdrückter Wut spuckende Stimme von Diam’s, die in ihrer Intensität für die ein oder andere Gänsehaut sorgt. Auch ihre Gesangsparts, wie zum Beispiel auf "Dans Le Noir“, können absolut überzeugen.
 
Die Produktionen, die Größtenteils von Tefa und der Rapperin selbst stammen, klingen wie aus einem Guss. Teilweise zerbrechlich vor sich hinklimpernd ("Coeur Du Bombe“), dann wieder energisch vorantreibend ("Rose Du Bitume“) bilden sie einen absolut abwechslungsreichen und zu keiner Zeit langweilenden Sound-Teppich, der hinter der markanten Stimme Diam’s weder zurückstecken muss, noch die Künstlerin zu ersticken droht.
 
Obgleich es auf dem Album keine Ausreißer nach unten gibt, kristallieren sich für mich nach mehrmaligem Hören doch zwei Highlights heraus. Zum Einen das durch seine heitere und positive Atmosphäre herausstechende "Peter Pan“, das einem irgendwie Bilder von singenden und tanzenden Kindern auf fröhlichen, bunten Straßen in Paris in den Kopf projeziert. Und alle essen Croissants. Den anderen absoluten Anspieltipp bildet das abschließende "Si C’Était Le Dernier“, das mit ganzen zehn Minuten Laufzeit zugleich auch den längsten Track darstellt. Darauf präsentiert Diam’s noch ein letztes Mal ihre ganze stimmliche Variablität und schafft es tatsächlich, mich über die gesamten zehn Minuten an der Stange zu halten, obgleich ich so gut wie nichts von dem verstehe, was sie sagt.
 
Ich ziehe meinen Hut vor dieser Künstlerin. Vereinzelte Tracks fand ich von der Französin schon immer ansprechend, mit diesem Album hat sie allerdings ein komplett durch hörbares Gesamtkunstwerk ohne Längen oder Negativ-Momente abgeliefert. Ganz groß, wirklich. Eine Musikerin diesen Formats würde ich mir auch für die deutsche Rapszene wünschen.