Mutlu Ergün

"Warum findet ein weißes Publikum 50 Cent attraktiver als dead prez? Wieso werden politische Hip-Hopper weniger promotet als Rapper, die bestimmte stereotype Bilder von Schwarzen reproduzieren?“ Es sind Fragen wie diese, die Mutlu Ergün beschäftigen. In den 90ern selbst noch als Rapper in Berlin unterwegs, begann der "Sesperado“ bald darauf mit antirassistischer Arbeit. In seiner Wahlheimat London machte der Berliner gerade seinen Master in Race & Ethnic Relations. Und vor wenigen Wochen schloss Mutlu "Sesperado“ Ergün mit der Autorin ("Deutschland Schwarz Weiß“), Journalistin, Medienkritikerin ("der braune mob e.V.“) und Musikerin ("Noiseaux“) Noah Sow erfolgreich die dritte Tour der Edutainment Attacke ab, eine Edutainment-Show über, nein, gegen Rassismus. Seit einigen Jahren leitet Ergün sogenannte Hip Hop-Trainings.  Unser Gast-Autor Philipp Killmann sprach mit dem Berliner über Rassismus und die Rolle des Hip Hop dabei.
 
rap.de: Bei der Edutainment Attacke rappst Du auch. Bist Du auch sonst noch Rap-mäßig aktiv? 

Ergün: Ich habe früher relativ viel gerappt und Musik gemacht mit Freunden. Wir hatten verschiedene Bands, mit denen wir in Berlin auch ab und zu aufgetreten sind. Demos haben wir auch immer aufgenommen und anschließend vertickt. Meine Crew hieß Die Schwarze Hand, dann ist einer der Rapper gegangen und wir nannten uns P&S. Vielleicht hast Du ja mal etwas von DJ Paco gehört, er ist als DJ und Sänger aktiv in Berlin, er war in meiner Crew. Aber das ist alles schon ne Weile her. Beim Hip-Hop-Training versuchen wir, die Jugendlichen selbst kreativ werden zu lassen. Sie können zum Beispiel einen eigenen Rap-Song oder ein Graffiti machen, das, was ihrer Meinung nach ihren Gefühlen nach so einem Training am besten Ausdruck verleiht. Für die Kids rappe ich dann auch nochmal, als Inspiration sozusagen. Aber ansonsten überlasse ich das dann doch den Leuten, die es richtig drauf haben, also die immer am Ball geblieben sind. Ich bringe es halt immer gerne in die Sachen ein, die ich mache, sei es bei der Edutainment Attacke oder bei einer Lesung, aber das ist alles eher Fun, nichts konkretes. 
 
rap.de: Wie bist Du zu Deinem ersten Anti-Rassismus-Training bei Phoenix gekommen? 
 
Ergün: Mein Bruder hatte mich zu einem White Awareness-Training mitgenommen, an dem ich als Beobachter teilnahm. Anfangs dachte ich: Was geht denn hier ab?! Aber als ich den Prozess verstanden habe, war ich total begeistert. Ich habe es als eine Form des Trainings erkannt, die sehr nachhaltig antirassistisch funktionieren kann, da es viel mit den eigenen rassistischen Anteilen arbeitet. Da ich auch in Deutschland sozialisiert bin, habe ich auch den damit einhergehenden ideologischen Giftmüll und viel rassistischen Unsinn über schwarze Menschen zum Teil verinnerlicht. Als mir das im Training bewusst wurde, hatte das einen sehr tiefgehenden und nachhaltigen Effekt auf mich.   

 
 
rap.de: Wie sieht der Ablauf so eines Hip Hop-Trainings aus?  
 
Ergün: Ein bisschen geht der Ablauf aus meinem Essay auf http://www.migration-boell.de/web/integration/47_919.asp hervor. Aber den Ablauf hier im Einzelnen darzulegen, halte ich nicht für sinnvoll, weil man dadurch schon mit einer gewissen Erwartungshaltung in das Training gehen würde. Es geht wirklich darum, den Prozess durchzumachen, die Perspektive, die man für selbstverständlich hält, mal ein bisschen durchzuschütteln.  
 
rap.de: Kann man sich das so ähnlich vorstellen wie eine Familienaufstellung in einer Gruppentherapie? 

Ergün: Nein. Verbalen Durchfall versuchen wir, zu vermeiden. Es geht nicht darum, dass die Jugendlichen nur klagen oder anklagen. Es geht vielmehr darum, den Jugendlichen Techniken zu übermitteln, die ihnen helfen sollen, ihre Umgebung und sich selbst zu verstehen und Sachen kritisch zu hinterfragen und ein kritisches Bewusstsein zu entwickeln. Das ist das Hauptziel. 
 
rap.de: In Deinem Essay erwähnst Du, dass die White Awareness- und Empowerment-Kurse, die zunächst in Gruppen weißer und nicht-weißer Jugendliche aufgeteilt sind, in geschützten Räumen stattfinden. Wovor sollen die Teilnehmer geschützt werden und wieso wird diese Trennung bei den Hip Hop-Trainings lockerer gehandhabt? 
 
Ergün: Es geht um den Sozialisationsprozess, den wir alle durchmachen, vor allen Dingen in Bezug auf eine Gesellschaft, die durch "Rasse“ strukturiert ist. Einer der Grundgedanken bei Phoenix ist: Um diese Gesellschaft zu strukturieren, muss man einen schwierigen Sozialisationsprozess durchmachen, der auch mit viel Schmerz verbunden ist. Dieser Prozess ist für schwarze Menschen mit Schmerz verbunden, weil rassistische Erfahrungen gemacht werden. Aber er ist auch für weiße Leute mit Schmerz verbunden, als dass bestimmte Sachen abtrainiert werden, sodass es überhaupt erst möglich wird, dass Menschen, gar nicht mal absichtlich, rassistisch sind. Rassistisch in dem Sinne, dass sie eine rassistisch aufgebaute Gesellschaft reproduzieren. Um Machstrukturen aufrechtzuerhalten, wird auch etwas von weißen Menschen abverlangt, was auf einer bestimmten Ebene auch sehr schmerzhaft ist. Deswegen ist es wichtig, diese geschützten Räume zu haben, weil sowohl die Erfahrungen der Weißen als auch die der Schwarzen mit Schmerz verbunden sind. Und wenn man sie zu früh zusammenbringt, dann ist die Dynamik unglaublich schwierig und kann noch mal traumatisierend wirken auf die Teilnehmer. Deswegen ist es erstmal besser, das getrennt zu machen und ein gewisses Bewusstsein aufzubauen und zu entwickeln. Dann kann man die beiden Gruppen auch zusammenführen.