Nach dem Überraschungserfolg mit "Jetzt schämst Du Dich" und dem daraus resultierenden Preisschock bei älteren Produktionen der Herren Retrogott und Hulk Hodn, stellen die in Kreisen vinylliebender Rucksackfaschisten, als Bewahrer des echten HipHop gefeierten Huss & Hodn mit "Der Stoff, aus dem die Regenschirme sind" ihr nunmehr zweites Album in die besser sortieren Plattenläden des Landes und werden erneut zu den Hütern des heiligen HipHop-Grals stilisiert. Diese Rollenzuschreibung erhält insofern Substanz, dass die beiden Kölner mit ihrer Sample-Auswahl eine klare Affinität zum Jazz zum Ausdruck bringen, die sich auch im HipHop der goldenen Neunziger niederschlug (nachzuhören unter anderem auf "Niemals in New York").
Inhaltlich widmet sich der Retrogott aka Kurt Hustle – wie auch auf früheren Werken – hauptsächlich der Wack-MC-Problematik, die zusammen mit den Mikrophon-Gästen Sylabil Spill (auf "Einenreissen"), Noy Riches (auf "Du bist nackt") und Audio 88 (auf "Kleines Stück") ausgiebig erörtert wird. Dabei demoliert der Retrogott in einer unnachahmlichen Art und Weise Klischee-Rapper ("Du bist schlecht drauf, weil Dich Dein Stiefvater schlägt. Das ist deep, aber geht mir am Arsch vorbei." auf "Die Frage bleibt offen"), Standard-Interview-Fragen/Antworten ("Rapper erzählen in Interviews, wer ihr Video gedreht hat, als ob es jemanden interessieren würde." auf "Der Zug endet hier") und "Polizeifunk" ("Wie Polizeifunk wird Deine Musik überwiegend von wacken Leuten gehört" auf "Reichwerfen"). Weitere Glanzlichter des Tonträgers sind mit dem multipel selbstreferenziellen "Gastspiel", dem titelgebenden "Der Stoff, aus dem die Regenschirme sind", dem soundästhetisch wunderbar distinkten "Baumplantage" und dem sozialkritischen "Der Urlaub war schön" zu nennen.
Während der Retrogott auf verbaler Ebene das ein oder andere Großkaliber abfeuert, das selbst Aggro-Fans Tränen der Freude in die Augen treibt, gestalten sich die nonverbalen akustischen Untermalungen von Hulk Hodn, dem Radira und Noyland eher zurückhaltend und könnten als Instrumentalplatte durchaus als Soundtrack zum überstrapazierten Klischee des (pseudo)intellektuellen Sesselrauchers und -säufers im Rentenalter dienen. Obwohl der Antagonismus von knochentrockenen Punchlines und harmonisch anmutenden Instrumentalen die große Stärke der vorliegenden Produktion ausmacht, ist in dem von mir wahrgenommenen Gleichklang eines Großteils der Produktionen, auch eine große Schwäche des Albums zu suchen. Während der Sound von Huss & Hodn in Abgrenzung zur Konkurrenz zweifelsfrei unverkennbar ist, mangelt es auf dem vorliegenden Album bis auf wenige Ausnahmen (z.B. "Baumplantage") an interner Trennschärfe, wodurch mir auch nach mehreren Hördurchgängen die korrekte Benennung einzelner Tracks schwer fällt. Eventuell ist dies aber auch dem Umstand geschuldet, dass ich nicht im Jazz zuhause bin und psychologische Befunde nahelegen, dass Fremdgruppen in ihren Eigenschaften homogener wahrgenommen werden als die Eigengruppe. Daher soll an dieser Stelle keine unnötige Härte walten, zumal ich auch ohne zugehörige Tracktitel herzhaft über die teils verqueren, stets intelligenten und meist treffenden Ausführungen des Retrogott lachen kann.
Mit "Der Stoff, aus dem die Regenschirme sind" gelingt es Huss & Hodn, trotz unverkennbarer Rückwärtsgewandheit in der Soundästhetik, wieder einmal exakt den Nerv der Zeit zu treffen und sich somit "schwere Drehung" auf den MP3-Spielern anspruchsvoller HipHop-Köpfe zu sichern. Allerdings bleibt die Frage offen, ob dies reichen wird, um neue Hörerschichten zu erschließen.
Wertung: 5/7