Ich habe mir etwas Neues zugelegt. Einen persischstämmigen Rapper aus Wiesbaden. Ich habe ihn Seyed getauft und er schien wirklich ein Prachtbursche zu sein – coole Tattoos, trainierte Arme. Mein kleiner „Engel mit der AK“, wie ich ihn zu nennen pflege, war auf den ersten Blick perfekt. Doch schon bald zeigten sich einige Symptome, die es auszumerzen galt. Also schnell meine neue Anschaffung an der Hand genommen und auf einen Fachmann aufgesucht – vielleicht kann mir der Rapdoktor weiterhelfen, denn so geht es schließlich wirklich nicht.
„Der Junge sieht doch kerngesund aus“ attestiert der Arzt nach einem musternden Blick. „Das dachte ich auch, Herr Doktor, aber der Schein trügt.“ Skeptisch zieht der Musik-Mediziner eine Augenbraue hoch. Mit den Worten „Na dann wollen wir doch mal sehen, was dem Kleinen fehlt“, beginnt er die Untersuchung. Murmelnd prüft er Seyed auf Herz und Nieren. „Nun, also die Stimme ist nicht das Problem. Ein wenig kraftlos vielleicht, aber mit ein bisschen Training sollte die kein Hindernis darstellen. Neulich hatte ich hier ein Exemplar sitzen, Shindy hieß es, da hat ein ähnlicher Stimmeinsatz ganz hervorragend geklappt. Vielleicht sollte man ihn mit harmloseren Beats füttern, die fordern das Stimmvolumen nicht so.“
Das hatte ich mir bereits gedacht. Die Beats, die ich für Seyed kaufe, sind zwar nicht von schlechter Qualität, aber ausgewogene Ernährung muss schon sein. Im Grunde füttere ich ihn immer nach demselben Rezept: Düsterer 08/15-Streetrap-Synthie, epische Chöre, Gesänge oder ähnliche Atmosphäre-Evergreens und ein paar hektisch zuckende Drums. Wenn er immer nur dieselben generischen Instrumentale verabreicht bekommt, dann wird ihm das natürlich irgendwann langweilig – du bist, was du isst. Kein Wunder also, dass er auf austauschbare Beats auch austauschbare Zeilen rappt. „Liegt das Problem denn nur in den Beats, Herr Doktor?“ Mit gerunzelter Stirn nimmt er den Patienten weiter unter die Lupe.
„Das ist schwer zu sagen. Ich habe mir gerade seine Tracklist angesehen. Stimmt das so? Heißen seine Machwerke tatsächlich „Ghettoblues“, „Cool Prince“, „Rap oder Einzelhaft“, „Schlangen“ und „Number One Newcomer“?“ Ich merke, wie ich erröte. Wie soll ich ihm nur erklären, dass Titel wie diese tatsächlich stellvertretend für Seyeds Attitüde stehen. Ich überlege, ihn als eine Mischung aus Kay One, Kollegah und Shindy zu beschönigen, lasse dann aber meine Scham außen vor, schließlich kann uns nur geholfen werden, wenn ich auch ehrlich bin.
„Ja, das stimmt so. Wissen Sie, Seyed betont dauernd, dass er aus dem Ghetto kommt. Aus der Hood, wo es nur einer von zehn raus schafft. Er kommt zwar aus armen Verhältnissen, doch nun hat er alles was er will, ist aber immernoch derselbe bodenständige Typ. Die klassische Erfolgsgeschichte. Natürlich inklusive suffering-from-success Schattenseiten. Falsche Freunde und so.“ Ich weiß den Gesichtsausdruck des Mediziners nicht so recht zu deuten – irgendetwas zwischen Süffisanz und Bestürzung macht sich in seinem Antlitz breit. „Ich verstehe“, raunt er. „So einer also. Das erklärt auch das makellose Aussehen. Ihr Seyed ist einer von diesen nichtssagenden Rappern, die irgendein nicht zu gewagtes Image brauchten. Ein „Engel mit der AK“. Ein hübscher, cooler Typ – aber auch gefährlich.“ Mir dämmert, dass mein Seyed ein ziemlicher Fehlgriff gewesen sein könnte. Kein Wunder, dass er immer dasselbe erzählt. Die kleine Handvoll ausnahmen – etwa „Moralpredigt“ und „Bessere Welt Slut“ – sind eben auch nichts Besonderes. Ein Song für die Mutter und eine scheiß-auf-die-Ex Blaupause.
„Aber… technisch taugt der Junge doch, oder? Und ist er nicht ein toller Sänger?“ frage ich verunsichert. Der Rapdoktor seufzt mitleidig. „Hören Sie, ich habe gehört auf „Tijara im Pyjama“ disst Seyed einige Rapper, daher habe ich mal einen Blick auf den Song geworfen. Bereits der Reim im Titel sollte Ihnen illustrieren, wo das Problem liegt. Die Reime erfüllen keinen weiteren Zweck, außer vorhanden zu sein. Ein paar Reimsilben und augenscheinlich komplexe Strukturen und voila. Das sind großteils sogenannte Zweckreime. ‚Ich schmuggel Gras im Fruchtsalat / in Tupperwaren nach Wuppertal // Missgeburt, dir hilft kein Schutzpanzer / wenn ich dich ersteche mit dem Ustura von meinem Friseur Mustafa‘ – verstehen Sie, was ich meine? Da geht es nur darum, irgendwelche Rhymes zu haben.“
Meine Mundwinkel könnten tiefer kaum hängen. Dass er teilweise schon mit dem Takt zu kämpfen hat, weiß ich selbst. Diese Versuche, Zeilen mit zu vielen Silben einfach zu flexen, rauben mir bereits seit ich mir Seyed angeschafft habe die Nerven. „Aber was ist mit dem Gesang? Kann man da irgendwas retten?“ Wortlos spielt der Arzt mir die Hooks vom „Ghettoblues“ und von „Schlangen“ vor. Spätestens jetzt ist mir klar, dass Seyed ein Fehlkauf war. So ein Reinfall. Ich habe mich von der glitzernden Verpackung und dem charmanten, muskulösen Verkäufer blenden lassen. Dankend, aber mit miesepetriger Miene verlasse ich die Praxis. Einige Blocks weiter binde ich Seyed an einen Baum und mache, dass ich wegkomme. Das Leben ist halt nicht fair.