Kommenden Freitag erscheint Gerards neues Album „Neue Welt“. Nach „Blausicht“, einem eher schweren und deepen Album, handelt es sich um das vierte Soloalbum des Österreichers. Wir haben uns im Vorfeld mit Gerard über sein neues Album unterhalten und darüber geredet, was ihn inspiriert, was sich auf „Neue Welt“ im Gegensatz zu „Blausicht“ verändert hat, inwiefern diese Veränderung mit ihm selbst zusammenhängt und was in Zukunft noch alles ansteht.
Der Grundtenor des Albums ist ja, dass man sich selbst vertrauen soll. War das von Anfang an der rote Faden, der Grundgedanke dieses Albums?
Die erste Hälfte oder die ersten drei Viertel des Albums mach‘ ich eigentlich immer nur drauf los und magischerweise fügt sich eben ab dann alles zusammen. Man versteht auf einmal, was über allen Songs bisher schwebt und dann überlegt man sich, was fehlt jetzt noch in dem Rahmen, damit das Bild vervollständigt wird. Auch der Albumtitel kam dieses Mal zum Beispiel sehr spät. Es fügt sich dann wirklich alles glücklicherweise zusammen. Ich lass‘ mich da auch oft vom Flow leiten. Etwas von Anfang an genau so zu planen, funktioniert glaube ich bei Kunst nicht, da es ja um Gefühle geht. Die kann man ja auch nicht planen.
Der Sound hat sich ziemlich verändert. Er ist nicht mehr so schwer, nicht mehr so deep. Wie kam’s dazu?
Puh. Keine Ahnung, sowas ist eigentlich nie geplant, sowas kommt immer aus dem Bauch heraus. Musik ist immer ein Gefühl und da geh‘ ich eigentlich nie so wirklich mit dem Kopf ran, sondern eher immer mit dem Bauch.
Vielleicht auch deshalb, weil du mittlerweile nicht mehr so viel in deinem Leben zweifelst und dir deiner Sache sicherer geworden bist?
Auf jeden Fall. Die letzten zwei Jahre waren ja eigentlich die schönsten meines Lebens. Ich hab zum ersten Mal wirklich aufstehen können und machen können, was ich will – und das war schon immer Musik und Kunst. Ich hab‘ mich durch nichts anderes mehr ablenken lassen müssen, das war schon sehr schön. Deswegen hab‘ ich auch viel mehr Zeit gehabt, konnte mich in alles viel mehr einbringen, auch in die Produktionen. Ich hab‘ jetzt auch angefangen, Videos selber zu schneiden und solche Dinge. Ich habe jetzt Zeit über Zeit für die Leidenschaft und das ist schon ziemlich geil.
Hast du bei dem Soundwandel, der jetzt auch mehr in Richtung 90er geht, nicht ein bisschen Angst, die jüngeren Fans zu verlieren?
Jein. Es ist mir irgendwie relativ egal. Der einzige, der am extremsten in die Richtung geht, ist eigentlich auch „Höhe Fallen„. Ich kann sowieso nichts anderes machen, als das was ich momentan fühle. Mir ist schon klar, dass das bei Jüngeren beim ersten Mal Hören eher schwer verständlich ist. Ich merk‘ das auch, was das Virale betrifft. Beim Video zu „Höhe Fallen“ sind viele Kommentare anfangs noch sehr skeptisch, wurden aber dann sogar editiert. Jemand hat zum Beispiel geschrieben, dass er jetzt nach dem vierten Mal hören es auf einmal versteht und es voll geil findet, weil es was völlig Neues ist. Um sowas geht es meiner Meinung auch, dass man was völlig Eigenständiges macht, was kein anderer macht. Es gehört für mich auch dazu, dass man als Künstler überrascht, fordert und auch dazu anregt, sich mit Dingen näher zu beschäftigen.
Ich bin ein großer Fan deines Albumcovers. Was ist die Idee dahinter?
Ja, das finde ich auch richtig geil. Das ist eigentlich sehr ungeplant. Mein Fotograf, Kidizin Sane, war in Lissabon auf Urlaub, wo es dieses Haus des Meeres gibt, dieses riesengroße Indoor-Aquarium, wo wir auch zum Teil das Video zu „Lissabon“ gedreht haben. Dort hat er eine Fischfütterung im Aquarium von oben fotografiert und was jetzt quasi aussieht wie ein gemaltes Gemälde, ist im Endeffekt ein völlig unbearbeitetes Foto, das im richtigen Moment geschossen wurde. Es passt außerdem auch gut zum Gesamtkonzept.
Dein erstes Album wurde ja fast gänzlich von Nvie Motho produziert. „Neue Welt“ wurde jedoch mehr von Patrick Pulsinger und Alex the Flipper produziert. War das eine bewusste Entscheidung?
Nein, ich habe einfach zu dem geschrieben, der mich am meisten inspiriert hat. Patrick Pulsinger ist quasi mehr ein Executive Producer. Dieses Mal ist das Album sehr intim entstanden. Wir haben das Album, was das Produzieren betrifft, zu dritt so weit gemacht, wie wir gekommen sind und sind dann zu Patrick Pulsinger, der das Ganze auch nochmal ausproduziert hat. Es war dieses Mal eher so ein Teamwork von zwei bis vier Produzenten.
Deine Featuregäste sind sowohl auf „Blausicht“, als auch auf „Neue Welt“ immer Künstler aus deinen engeren Kreisen. Machst du das, weil deine Musik vielleicht zu speziell ist, oder willst du einfach mit fremden Künstlern keine Features?
LOT zum Beispiel war ja, bevor wir uns kennengelernt haben, eigentlich kein Freund. Ich habe seine Videos gesehen und fand ihn sowohl stimmlich als auch textlich sehr cool. Ich hab‘ ihn dann für ein Feature angefragt. Sowas habe ich eigentlich schon sehr lange nicht mehr gemacht. Sonst mache ich das einfach auch, weil es ehrlich gesagt wenige deutsche Künstler gibt, die ich so gut finde, dass ich mit denen gerne Songs machen würde. Es gibt so eine Handvoll. Auf diesem Album waren die Features auch nicht von Vorneherein so geplant. Immer wenn ein Song entsteht und der Song quasi nach dem Feature verlangt, weil das richtig gut passen würde, dann mach‘ ich das Feature. Ich mache aber kein Feature um des Features wegen. Auf diesen Songs haben genau die Künstler gepasst, vielleicht kommt am nächsten Album ja ein Song, wo jemand anderes passt, den ich unbedingt fragen will.
Woher nimmst du die Inspiration für deine Songs?
Das ist echt immer unterschiedlich. Als ich einmal in Berlin war, ist mir hier die erste Zeile für’s neue Album eingefallen. Hier gibt es einen Burgerladen oder so, der Happiness to go heißt und ich hab das einfach übersetzt mit Glück to go. Manchmal les‘ ich halt irgendwas und denke mir, das ist cool, daraus kann man einmal was machen. Das speichere ich mir dann ein und in diesem Fall findet es dann seine Verwendung im Refrain von „Hallo„.
Sind deine Songtexte fiktive Geschichten oder sind deine Erzählungen auch immer genau so passiert?
Fiktiv sind sie nicht, es ist schon immer was Autobiographisches. Ich habe schon viele Situationen in meinem Leben erlebt und ich muss jetzt nicht immer wieder die gleiche Situation erleben, um mich zu erinnern, wie ich mich damals gefühlt habe. Ich kann auch einfach auf Ereignisse zurückgreifen, die auch schon ein paar Jahre zurückliegen. Es ist alles autobiographisch, was allerdings nicht heißt, dass alles in den letzten zwei Jahren so passiert ist.
Wie kommst du immer auf deine tiefgründigen Phrasen? Fallen dir solche Sätze einfach ein oder tüftelst du regelrecht daran?
Teils, teils. Ich gehe schon viel draußen herum und speichere mir dann irgendwelche Schlagwörter, die mir wirklich einfach gerade einfallen, ins Handy ein. Es gibt jedoch auch die Zeit, wo ich wirklich konzentriert stundelang dasitze und quasi probiere, aus meinem Archiv im Kopf puzzlemäßig irgendwas zusammenzubasteln.
Beim Video zu „Höhe Fallen“ verwendest du die bisher eher unbekannte Deep Dream Technik. Wie bist du darauf gekommen?
Mein Videoregisseur und ich sind darauf gemeinsam gekommen. Diesen Algorithmus gibt es auch erst seit an paar Wochen. Das war auch wieder eine glückliche Fügung. Wir überlegten das Videokonzept und hatten schon ein anderes und hörten auf einmal von diesem Deep Dream. Deep Dream bedeutet, dass Computer selbstständig denken. Das Ziel ist, dass du auf Google einen Suchbegriff eingibst und Google sucht dir nicht das Bild, sondern baut dir das Bild. Es kann selbstständig ein Bild schaffen. Wenn man, so wie wir das gemacht haben, jedes Einzelbild – also ein Video besteht ja aus zigtausend Einzelbildern, eine Sekunde hat quasi 25 Bilder – durch diesen Engine lädst, dann siehst du den Denkfehler des Computers, der zum Beispiel bei meiner Nase denkt, es ist eine Hundeschnauze. Die Google-Entwickler wollen dadurch auch lernen zu verstehen, wie Computer denken.
Siehst du darin denn nicht auch Gefahren?
Doch. Mir ist schon bewusst, dass das Video sehr anstrengend anzusehen ist. Ich hab mir das Video richtig oft hintereinander angesehen und selbst schon ein bisschen Kopfweh davon bekommen. Ich habe mir daraufhin gedacht, wie krass es wäre, wenn Computer irgendwann einmal ein Video fabrizieren, das einfach so flashig ist, dass man echt einen epileptischen Anfall bekommt oder einfach stirbt, weil dein Hirn nicht mehr mitkommt. Stell dir vor, dieses Video wird rein theoretisch auf allen Computern der Welt gleichzeitig abgespielt und dann sterben einfach mal viele Menschen. Ich bin halt auch kein Gegner von Fortschritten. Veränderung und Fortschritt sind immer gut. Man muss dann eben, wie mit allem Neuen, lernen, verantwortungsvoll damit umzugehen. Ich frag mich zwischen den Zeilen am Album auch immer so, bezüglich eben neue Welt, wie wird alles in hundert Jahren sein? Für was werden uns die Menschen dann zum Beispiel auslachen? Das spielt am Album auch alles eine Rolle und deshalb hat die Deep Dream Technik auch gut reingepasst.
Hast du einen Lieblingssong auf dem Album?
Das wechselt immer ganz stark, glücklicherweise. Aber ja, ich habe einen Lieblingssong und zwar „Umso leerer der Laden„. Aber den verstehen noch nicht so viele Leute, wie ich es gerne hätte. Ich glaube, der ist noch eine Spur zu kompliziert. Von meinem engeren Umfeld ist der zum Beispiel nie als Lieblingssong genannt worden, meiner ist es aber. Ich finde einfach den Style irgendwie cool. Der Song geht einerseits um den Moment, wo du auf einer Party bist und eine Fortgehaffäre hast und wenn die Afterhour anfängt und fast keiner mehr hier ist, dann dreht der DJ manchmal nochmal so richtig auf. Das ist dann manchmal wie ein richtiges Schlachtfeld, wo noch die letzten Überlebenden da sind. Andererseits auch, wenn du wieder runterkommst von diesem Partyding und wieder Ruhe hast, dass dann in deinem Kopf wieder so richtig Action ist. Du denkst plötzlich wieder nach, wenn die Ablenkung vorbei ist und du wieder alleine dasitzt. In der Strophe ist der Song wie eben so ein Song, den man am Morgen nochmal laut aufdreht und im Refrain herrscht halt absolutes Chaos. Es hat zwar jede Zeile einen doppelten Boden, einen tieferen Sinn, aber selbst wenn man den nicht versteht, kann man die Songs auch hören. Viele verstehen manche Zeilen erst nach mehrmaligem Hören, aber das ist ja der Plan, dass man zeitlose Kunst schafft.
Gibt es ein Album, mit dem du mehr zufrieden bist?
Nein. „Blausicht“ war zu seiner Zeit genau das, was ich machen wollte und „Neue Welt“ ist jetzt zu der Zeit genau das, was ich machen wollte. Ich höre „Blausicht„, in Abständen, auch immer noch extrem gern. Wenn ich dann einmal „Blausicht“ länger nicht gehört habe, habe ich auch schon einmal überlegt, was ich jetzt vielleicht anders machen würde. Ich hätte aber eigentlich nichts anders gemacht.
Gehst du nun sofort wieder an neue Projekte ran, oder brauchst du jetzt deine Ruhe und gönnst dir erst mal eine Pause?
Es gibt dann eh immer so viel zu tun. Nachdem ich auch die Videos mitgestalte, gibt es jetzt erstmal ein paar Videos zu planen und umzusetzen. Dann müssen oder dürfen wir uns auf die Tour vorbereiten, auf die wir uns auch alle sehr freuen. Es gibt schon immer wieder zwischendurch Geistesblitze, die man so hat. Diese notiere ich mir dann. Bis zur Tour und bis nach der Tour werde ich auf jeden Fall meinen Fokus nicht schon wieder auf etwas Neues setzen. Das Projekt ist ja eigentlich auch noch nicht fertig. Es gibt ja noch Videos und die Tour und das gehört für mich alles dazu. Wenn das dann wirklich so weit abgeschlossen ist, dann bin ich auch wieder bei etwas Neuem.