Oliver: Ich bin mit gemischten Gefühlen an dieses Album herangegangen. Hustensaft Jünglings erstes Video „Rarri“ war ein richtiger Hit. Witzig, ignorant, überdreht. Genau mein Ding. Mit der Zeit wurde mir das aber alles bisschen zu anstrengend. Ich finde Ignoranz als Stilmittel völlig legitim – und geil, wenn es gut gemacht ist. Beim Hustensaft Boy wirkt es aber stellenweise arg gewollt. Und damit bin ich auch schon bei meinem Hauptproblem mit „Trapgott“: Dieses krampfhafte Anecken ist so nervig wie ein Teenager in der Pubertät. Wohlgemerkt nicht, weil mich diese zur Schau gestellte Menschenverachtung schockieren würde. Sondern weil es einfach zu durchsichtige, gewollte Provokationen sind: „Ich geb nen Fick auf den Regenwald / Ich bin ein böser Junge, kaufe keine Bio-Sachen“. Wow, extrem kaltblütig.
Skinny: „Böser Junge“ ist ein einziger Song, dessen Konzept Geschmacklosigkeiten sind „Ich bin ein böser Junge, mach‘ Screenshot auf Snapchat“ – an sowas stößt du dich? Lines wie die machen nur einen Bruchteil von „Trapgott“ aus. In erster Linie werden halt Hustensafts utopischer Reichtum, enormer Bekanntheitsgrad und sein reges Sexualleben representet – reichlich überspitzt versteht sich, was den Unterhaltungswert des Albums ausmacht. Lines wie „Ketten um den Hals, Designer-Uhr am Armgelenk / die hat mir deine Mum geschenkt“ machen in ihrer simpel pointierten Art einfach Spaß. Wenn du Shindys „Dreams“ so feierst, sollte das für dich ja wohl kein Problem darstellen. Noch eine Parallele zu „Dreams“: „Trapgott“ ist hervorragend produziert!
Oliver: Stoßen? Nö. Das ist einfach nur ein etwas lahmer, selbstbezogener Humor – was im Rapkontext natürlich klargeht. Das Album ist tatsächlich gar nicht schlecht produziert, aber, ähhhmmm, Moment mal: Der Vergleich mit „Dreams“ ist absurd. Die Beats sind gutes Mixtape-Niveau, aber sicher keine detailliert ausproduzierten Songs. Und auch raptechnisch kann das einfach nicht mithalten. Klar, der Vortrag soll besonders ignorant wirken, oft ist das aber einfach nur ziemlich kraftlos. Auch der Stimmeinsatz ist zu einem großen Teil einfach anstrengend. Eigentlich schade, denn dass der Jüngling auch gut und energisch rappen kann, zeigt er stellenweise auch, etwa auf „Traurig“ oder „Trinken trinken“. Wie Ignoranz in richtig gut geht, zeigt übrigens einer der beiden prominenten Featuregäste: Frauenarzts Part auf „Bling Blang“ ist einfach mal frischer als 90% der sonstigen Strophen.
Skinny: „Traurig“ und „Trinken Trinken“ gehören auch zu meinen Lieblingssongs, „Bling Blang“ ist mein absoluter Favorit und der Arzt-Verse ist über jeden Zweifel erhaben. Natürlich ist das alles nicht auf Shindy-Level, aber dieselben Stilelemente, die du bei Shindy abgefeiert hast, werden hier auch auf relativ hohem Level bedient. Dass die Delivery zuweilen die Schwachstelle des Jünglings ist, stimmt schon. Er ist zwar stets präsent und fesselt auf seine Art und Weise, aber mit 19 vollständigen Tracks wird mir das auf Dauer auch zu viel. In diesem Falle wäre weniger mehr gewesen. Wo wir gerade bei mehr sind: Mehr Feature-Gäste hätten „Trapgott“ auch gut getan und etwas mehr Abwechslung gebracht, zumal Hustensaft Jüngling ja hervorragend vernetzt ist und das Ansehen einer renommierten Anhängerschaft genießt. Bis auf die gelegentliche Langatmigkeit, die ja auch von der geradlinigen Delivery her rührt, sehe ich aber kaum Schwachpunkte. Dafür einige Hits.
Oliver: Wie du selber sagst: Wir reden eben nicht von Shindy-Level. Gerade in diesem Vergleich – wenn du ihn schon ziehst – zeigen sich nämlich die Schwachstellen von „Trapgott“. Es ist einfach weitaus weniger geschmackssicher, deutlich plumper und kann auch durch jugendlichen Leichtsinn kaum punkten. Dafür ist der Jüngling und seine Message, so provokant sie sein will, schlicht zu konservativ. Das heißt aber alles nicht, dass das Hörerlebnis von „Trapgott“ nicht unterhaltsam wäre. 19 Tracks sind in der Tat zu viel, zumal sich die Songs jetzt nicht so krass voneinander unterscheiden. Als Mixtape unterschreibe ich das Ganze sogar fast komplett – für ein Album ist es aber zu wenig ausproduziert und vor allem zu wenig überzeugend gerappt.
Skinny: „Shindy-Level“ ist jetzt die Messlatte für jedes Release? Hustensaft Jüngling setzt halt nicht auf Eleganz, seinen Film fährt er trotzdem stilsicher. Es gibt keine Schnitzer im Auftreten, die Beats sind passend gepickt, die Lines unterhalten und die meisten Hooks gehen gut rein. Die künstliche Provokation interpretierst du da wegen eines Songs rein, aber der Junge lässt einfach den arroganten Wichser raushängen – wäre mir auch neu, dass das ein Ausschlusskriterium für Rap ist. Den Mixtape-Punkt kann ich aber unterschreiben. Auch wenn einige Songs Abwechslung mitbringen, einen Spannungsbogen gibt es nicht. Das sind halt alles überdurchschnittlich gute HuJü-Songs. Aber die Rapskill-Debatte willst du jetzt nicht wirklich starten, oder?
Oliver: Doch, tatsächlich bin ich der verrückten Meinung, dass Skills beim Rappen nicht ganz unwichtig sind. Man kann das selbstverständlich auch mit anderen Qualitäten ausgleichen, Stimme oder Charisma beispielsweise. Das ist hier aber kaum der Fall. So bleibt ein etwas fader Nachgeschmack: Arroganz und Ignoranz schön und gut, aber viel mehr bleibt von „Trapgott“ auch nicht im Gedächtnis. An offensichtliche Vorbilder wie Gucci Mane oder Young Thug kommt es einfach nicht ran.