Geht man nach den ersten beiden Videoauskopplungen von „Gottkomplex“, könnte man den Eindruck gewinnen, alles wäre wie immer: 3Plusss nimmt sich selbst nicht allzu ernst und gibt sich weiterhin als griesgrämigen Alleshasser. Doch wer ein wenig zwischen den Zeilen liest wird schnell feststellen – dem ist nicht so. 3Plusss hat aufgehört, reine Unterhaltungsmusik zu produzieren und angefangen, alles etwas vielschichtiger zu porträtieren.
Beginnen wir mit den ersten drei Tracks und der bekannteren Seite vom ihm: Dem Verlierertyp, der dann doch wiederum keiner ist, weil er sich damit abgefunden hat und darum einfach mit seinen Freunden keinen Eff mehr gibt. Soundtechnisch geht es hier in eine originellere Richtung. An vereinzelten Stellen merkt man noch die jugendliche Unbeschwertheit der „Kindskopf“-Platten – nur zeitgemäßer und düsterer. Auch mit seinen 25 Jahren kann er noch immer zum cholerischen Giftzwerg mutieren, Standard-Lebensentwürfen eine gekonnt rotzige und eben gelangweilte Absage entgegensetzen und seine langjährigen Anhänger damit unterhalten.
Interessanter wird es bei den folgenden Tracks, die einen melancholischen 3Plusss zeigen, dessen jugendlicher Leichtsinn immer mehr den Kampf gegen die reflektierte Weltsicht verliert und ihn nachdenklich zurücklässt. Was, wenn man doch ein Verlierer ist? („In letzter Zeit“) Was ist der Blick in die Zukunft wert, wenn man im Hier und Jetzt noch nicht einmal zurechtkommt? („Auseinander“) Hat die ewige Suche ein Ende, wenn Perfektion eigentlich ziemlich langweilig ist? („Sonntag“) Jede Zeile könnte man mit einer anderen auf dem gleichen Track gegenüberstellen. Diese augenscheinlichen Widersprüche lassen den Essener dennoch so glaubhaft wirken, dass man ihm beide Seiten abkauft. Doch wieso?
„Gottkomplex“ ist schlichtweg die authentischste Momentaufnahme aus der Generation Y. Keine hedonistische Cro– oder Yung Hurn-Darstellung, sondern die andere, komplexe Seite der Medaille. Man sieht sich in allen Lebenslagen mit Fragen konfrontiert, wirkt oft ratlos, aber irgendwie klappt es dann doch. Repräsentativ dafür ist die Anordnung der Tracks, die nachvollziehbar erkennen lässt, wie er während der Albumproduktion persönlich gewachsen ist. Nur so konnte er ein Gespür dafür entwickeln, wann es tatsächlich an der Zeit ist, eine Entscheidung zu treffen und Songs wie „Nudeln“ und „Weiss“ schreiben.
Dementsprechend ist auch kein Track dabei, der eine vollkommene Resignation ausstrahlt. Selbst das aussichtslose „Grau“ und „In letzter Zeit“ werden durch einen saloppen Spruch, einen kleinen Break in der Mitte oder ein lethargisches Ziehen der Silben aufgepeppt. Die Inspiration, die er im seinem Umfeld sammelt, lässt er ungefiltert auf seine Hörer los. Doch der Kreis, in dem sich alles bewegt, bleibt klein: „Diese Welt ist scheiße, doch ich bin kein Pessimist / Ich bin ein Optimist, die nächste Welt wird besser!“ („Gespenster“) An Bedeutsamkeit lassen die Zeilen dennoch nicht vermissen.
Einen mindestens genauso großen Anteil an dieser homogenen Inhomogenität und daran, dass die Tracks niemals in die absolute Melancholie abrutschen, haben die Beats von Bennett On & Peet aka We Do Drums. Es sind weder die einzelnen Elemente, noch die Atmosphäre, die wiederkehrt und alles stringent wirken lässt. Die Beats gleichen einem handgezogenen Duktus, bei dem das Zeichenwerkzeug öfters mal gewechselt wird, unterschiedlich fest aufgedrückt und zwischen düsteren und grellen Farben wechselt. Wir reden hier mehr von einem Grafiktablett mit Spezialpen und keinem traditionellen Bleistift. Am Ende steht man vor einem Mosaik voller angenehmer Hell-Dunkel-Kontraste, dessen Einzelteile ineinandergreifen.
Was bleibt also, wenn wir die psychologische Ebene einmal verlassen? Eine interessante und zugleich natürliche Entwicklung. Vom typischen Rumgeblödel über die ersten nachdenklichen Töne bis zur aktuellen Lebenswegsuche. „Gottkomplex“ punktet mit dem perfekten Mittelweg aus Nachdenklichkeit und dem zynischen Biss, der 3Plusss ausmacht. So sehr das Album auch innerliche Zerrissenheit ausstrahlt, sein Auftreten ist es nicht. Mal schauen wie er mit Ende 20/Anfang 30 klingen wird – denn dass der Mann sich entwickelt, ist spätestens jetzt nicht mehr von der Hand zu weisen.