Review: Sierra Kidd – B4FUNERAL EP

Sierra Kidd will erwachsen werden. Nach mehreren Videoerklärungen, in denen er verkündete, dass das Projekt Sierra Kidd nach seinem kommenden Album Rest in Peace“ ein Ende finden würde, und den zwei veröffentlichten Singles „ATV“ und „Xanny“, ist am 29. Oktober seine „B4FUNERAL EP“ über Teamfucksleep veröffentlicht worden.

Die beiden Auskopplungen verdeutlichen ziemlich gut, was die sechs Track starke EP ausmacht: Autotune-Gesang gemischt mit Rapparts auf von Sierra Kidd selbstgebastelten Beats, die irgendwo zwischen flächenreichem, atmosphärischem Cloudrap und düsterem 808-Geratter hin- und herschwingen. Videotechnisch ist Sierra dreckiger geworden: Schnelle Schnitte, flackernde Bildschirmausfälle, aufploppende Schlagworte und dazwischen ein Sierra, der jetzt ein bisschen angezogen ist wie Yung Lean und ein bisschen tanzt wie Drake.

Auf der zweiten Singleauskopplung „Xanny“ funktioniert das unglaublich gut. Normalerweise bin ich wirklich kein Freund von Autotune, nein, ich habe sogar krampfhaft versucht, jegliche Tracks mit diesem Stilmittel so gut wie möglich zu vermeiden (Danke 2016). Aber verdammt, diesen Track kann ich nur wieder und wieder hören. „Ich muss über Leichen gehen, will ich einen Grammy / Und wenn es meine ist, hat wenigstens die Family Cash“ – Wie Sierra seine Bars in futuristischer Manier über einen bewusst übersteuerten Beat durch die Boxen ballert, während sein Gesang ihm noch schwingend hinterhallt, das sucht seinesgleichen. In diesen Momenten bin ich hingerissen, ihm zu glauben, dass er wirklich etwas Einzigartiges macht.

Neben diesem Glanztrack, der tatsächlich, wie Sierra selbst öfter über seine Musik sagt, etwas völlig Neues für Deutschrap darstellt, fallen die anderen Lieder auf der EP leider etwas zurück. Vielleicht bin ich voreingenommen mit meiner Einstellung gegenüber Autotune, aber zu oft verliert sich B4FUNERAL im bloßen Säuseln von Texten, die inhaltlich nicht viel herzugeben haben: Klar, in „Ziplock“ schwingt auch eine kritische, verzweifelte Schiene beim Graskonsum mit („Es macht, dass ich nicht allein bin / ich glaub, ich bin süchtig“), so unmotiviert dahergerappt regt das aber eher nicht zum weiteren Nachdenken an. Der Track „Polizei“, der mit klassisch gerappten Parts gefüttert ist, bringt da schon deutlich mehr Atmosphäre, selbst wenn auch hier keine lyrischen Luftsprünge gemacht werden. Aber vielleicht muss das ja auch gar nicht sein.
Die „Schweigeminute“ am Ende der EP, die aus repetitiven Pianoklängen und Umgebungsgeräuschen aus Köln besteht, ist dann ein schöner, natürlicher Ausklang nach einer EP, die ästhetisch und akustisch oftmals eine sehr künstliche und düstere Welt erschafft.

Aus B4FUNERAL und Sierra Kidds Videoerklärungen zu seinem kreativen Schaffensprozess spricht eine Wut auf Stagnation im Business, eine Wut über verschenktes Vertrauen und der Drang, sein eigenes Ding zu machen und sich von anderen abzusetzen. Musik, die von Emotionen geleitet ist, Impulsen, und vielleicht auch deshalb auf sehr bruchstückhafte Lyrics setzt.

Das funktioniert stellenweise sehr gut, wenn Sierra Kidd sich nicht nur auf seine Attitüde und den Autotune verlässt, sondern auch seine Rapskills etwas raushängen lässt („OTF“, „Xanny“). An anderen Stellen wünsche ich mir aber zeitweise das Kidd im Sierra zurück, dass noch lyrisch gewandt ohne künstliche Modifikationen über Probleme des Mobbings und die unerreichbare Liebe rappte oder einfach nur zeigte, wie krass es über einen Beat fließen kann.

Es ist verständlich, dass Sierra das Image des kleinen verletzten Jungen zurücklassen und auch in einer älteren Hörerschaft wahrgenommen werden will. Ich hoffe nur, dass er dabei die technischen und lyrischen Fertigkeiten, die er zweifelsohne besitzt, nicht verkümmern lässt. Um es in seinen Worten zu sagen: „Aus dir könnte so viel werden“, schmeiß’ es bitte nicht so schnell weg.