Mein 12 Jähriges Ich trifft sich mit dem gleichaltrigen Brown-Eyes White Boy. Wir hängen ein wenig an der Salzach ab, sitzen im Gras und quatschen über Musik. Ich zeige ihm meine Favoriten: Kool Savas‘ „Tot oder Lebendig“-Album, The Games „Doctor’s Advocat“ läuft hin und wieder durch, genauso wie die damals schon nicht zu kleine K.I.Z-Hitsammlung. Irgendwie überzeugt ihn das aber alles nicht so sehr. Anstatt mir seine Lieblingsmusik zu zeigen, macht er seine eigene Musik an. Ich höre zu, aber verstehe das alles nicht. Ich finde die Beats zu synthetisch, die Reime haben erstaunlich wenige Silben und dieses Autotune habe ich schon bei Lil Waynes „Lollipop“ verflucht.
Und was versucht mir der Junge eigentlich zu erzählen? Dass er nicht weiß, ob er den Lychie-Saft oder den Mango-Saft zuerst trinken soll? Dass er nicht Handysüchtig ist? Und was heißt dieses verdammte „Rare und so“? Auch das Songwriting sowie das Arrangement will für mich nicht wirklich Sinn ergeben. Was soll dieser komische Beatwechsel auf „Alles Mango?“ und hat er denn nicht mehr Bars parat, als für einen Sechzehner, bei dem sich manche Zeilen auch noch wiederholen? Ich kann diesen Sound nicht einordnen und mache nach den ersten zwei, drei Tracks zu. „Wie findest du’s?“, fragt er mich. Ich lächle gezwungen und sage: „Ja, geht so. Nicht wirklich meins, aber mach weiter so“. Ich schäme mich von zu viel Lügen her.
Gleiches Szenario in der Gegenwart. Brown-Eyes White Boy und ich hängen ein wenig an der Salzach ab, sitzen im Gras und quatschen über Musik. Ich zeige ihm meine Favoriten: Haiytis „City Tarif“-Mixtape läuft auf schwerer Rotation, Trettmann taucht immer wieder auf dem Display auf und auch sein Landsmann Crack Ignaz kriegt einiges an Liebe von mir. Das Resultat ist ein anderes: Wir haben sofort Gesprächsthemen und musikalische Knüpfpunkte. Er zeigt mir seine EP und ich bin schlichtweg begeistert. Der Beatwechsel bei „Alles Mango“ catcht mich direkt. Vom fröhlich-hüpfenden Based Sound zum Ohrwurm-House-Pop durch eine fließende BPM-Änderung. Dass „Messer raus“ einer der größten Hits der laufenden Spielzeit werden kann, ist bereits nach der ersten Hook ein Fakt.
„Wie findest du’s?“, fragt er mich. Ich suche kurz nach den richtigen Worten und antworte: „Ich feier das. Sehr. Weil jeder Track klingt, als sei er genauso unverfälscht aus deinem Kopf gekommen. Solch eine musikalische Ignoranz und die damit einhergehende Überzeugung des eigenen Schaffens muss man erst einmal haben. Außerdem feier ich den Mixtape-Charakter der EP. Die Tracks wirken wie bessere ausgearbeitete Skizzen, was dem ganzen Ding eine einzigartige Lockerheit verschafft. Thematisch reißen die Songs keine Bäume aus, aber das müssen und sollen sie in deinem Falle vielleicht auch gar nicht“.
Weshalb ich diesen Vergleich in dieser Review aufbringe? Nicht etwa um zu zeigen, dass mein 12 Jähriges ich ein verklemmter Rap-Head war oder ich heutzutage einen fantastischen Musikgeschmack habe. Sondern weil dieser Vergleich die Entwicklung unserer Szene hervorragend dokumentiert. Während vor neun Jahren, als ich 12 war, Innovation eine komplette Fehlanzeige war und sich schon eine gesungene Hook an der Grenze des Tolerierbaren bewegt hat, machen 12 Jährige Kids heute Dinge wie die „Vibes“ EP. Die Vorbilder und die damit verbundene Inspiration haben sich geändert. Während ich „One“ von Kool Savas und Azad bis ins letzte Detail auswendig gelernt habe, hören die Heranwachsenden von heute eben Yung Hurn und Travis Scott. Im Prinzip ist diese EP das Ergebnis eines normalen Prozesses, den man sich dennoch vor Augen halten muss. Denn Rap ist in den vergangenen neun Jahren bedeutend älter und somit auch bedeutend jünger geworden. Dass sich Brown-Eyes White Boy jedoch auch bestens mit älterem Rap und Klassikern auskennt, macht die Sache sogar noch spannender.
Würde man deutschsprachigen Hiphop per Zeitstrahl grafisch darstellen, würde diese EP ein Fixpunkt sein. Sie ist ein Wendepunkt, der genau datiert, wann selbst die jüngsten Raphörer die auferlegten Regeln von Realness, Doppelreimen und Thementracks abgelegt haben. Altes bleibt alt, die Kids von heute machen ihr eigenes Ding. Willkommen in der neuen Welt, oida Schwede.