Drake – Views [Review]

I put on for my city, on-on for my city”, heißt es im allerbesten Young-Jeezy-Song überhaupt. In den letzten Jahren allerdings hat wohl niemand so hart für seine City ongeputtet wie Drake. Der nämlich hebt den Lokalpatriotismus für seine Heimatstadt Toronto noch einmal auf ein ganz anderes Level: Als Inititator des OVO Fests, mittlerweile eines der spannendsten Musikfestivals in Nordamerika. Als Maskottchen, Werbefigur und grandios unterhaltsamer Ultra der Toronto Raptors. Und natürlich als früher Förderer musikalischer Talente wie The Weeknd, PartyNextDoor und Majid Jordan. Dass “The Six” binnen weniger Jahre zu einer Stadt von popkulturellem und ästhetischem Rang avancierte, ist nicht zuletzt auch der unermüdlichen Arbeit seines größten Popstars zu verdanken.

I made a decision last night that I’d die for it / Just to show the city what it means to be alive for it”, heißt es dann auch gleich zu Beginn von “Views”, Drakes nunmehr viertem Studioalbum. “Views” ist aber nicht durchgehend eine Ode an die Heimatstadt, sondern eher ein introspektives Innehalten, ein Rückblick auf den bisherigen Werdegang von Drake, der mit seinen 29 Jahren an der Schwelle zum Weltstar steht.

Die Drake-Version von 2015, die mit einer aggressiven Nonchalance auf alles scheißt, Rapper-Kollegen mit herrlich kleinkarierten Beef-Tracks und Internet-Memes beerdigt, und die schnell hingerotzte Mixtapes rausfeuert, die trotzdem besser klingen als der meiste Output der Kollegen – diese Version muss sich auf dem neuen Album wieder hinten anstellen. Auf “Views” gibt es den alten Drake, den “Marvin’s Room”-Drake, der allen seine Ex-Freundinnen im selben Gruppenchat (!) betrunkene Liebesnachrichten schickt (“U With Me?”). Der Drake, auf der einen Hälfte des Albums seine Erfolge feiern kann und auf der anderen Hälfte feststellt, dass es ihm genau dieser Erfolg beinahe unmöglich macht, jemals eine normale Beziehung zu führen.

Das alles klingt natürlich nach hart abgehobener Jammerei aus dem Elfenbeinturm. Aber die große Stärke von Drake war immer, dass seine Lyrics sehr viel näher an der Lebensrealität der Hörer dran sind, als sie es beim ersten Hören vermuten lassen. Denn nach wie vor gibt es kaum einen Rapper, der sein Innerstes so bereitwillig nach außen kehrt, der die Widersprüche seiner gesamten Existenz für alle sichtbar ausbreitet und seine eigene Verletzlichkeit nicht nur zugibt – sondern sie auch noch ganz nüchtern auf Platte festhält. Drake ist der Posterboy einer Generation, der beigebracht wurde, immer mehr und immer weiter zu wollen, aber auf dem Weg verlernt hat, wie man eigentlich zufrieden ist mit dem, was man hat.

Es geht also wieder um die klassischen Drizzy-Themen auf “Views”, vor allem auf den beiden “Winter”-Teilen des Albums. So nennt Drake sie selbst in Anlehnung an die Jahreszeiten in Toronto, die anscheinend aus Winter, dann Sommer, dann noch mehr Winter bestehen. Im Einzelnen: Paranoia und die ständige Angst, verarscht zu werden (“U With Me?”). Dysfunktionale Beziehungen (“Feel No Way”). Wiedergutmachung (“Redemption”). Beziehungen mit Frauen, die bereits vergeben sind (“Fire & Desire”). Immerzu ummantelt von harten Representer- und Angeber-Tracks, deren Widersprüche Drake weder erklärt noch unter den Tisch fallen lässt – sondern sie einfach hinnimmt.

Das alles hat man natürlich schon irgendwie mal gehört von Aubrey Graham. Drake hält es nicht wie Kanye West, sein erklärtes künstlerisches Vorbild, das gerne mal mit allen Erwartungshaltungen bricht und politisch aufgeladene Industrial-Alben aufnimmt. Der Kanadier weiß, wo seine Stärken liegen, was er sich für eine Marke aufgebaut hat, und eine exzentrische Künstler-Persona ist nicht Teil davon.

Daraus wiederum ergibt sich aber auch ein gewisser Ermüdungs-Effekt, vor allem weil offensichtlich wird, dass Drake langsam die Anekdoten ausgehen. Wenn er sich etwa auf dem sowieso etwas ekelhaften “Child’s Play” darüber beschwert, dass seine Freundin sich ohne zu fragen seinen Bugatti ausleiht, um Tampons in der Drogerie zu kaufen – dann will sich nicht so wirklich Mitgefühl einstellen.

Und dann wären da noch die berühmt-berüchtigen “Corny Drake Lines”, die Zeilen, die so schlimm sind, dass sie schon fast Bauchweh verursachen, und von denen man gar nicht glauben kann, dass sie es auf das fertige Album geschafft haben . “Always saw you for what you could’ve been / Ever since you met me / Like when Chrysler made that one car that looked just like the Bentley” – wer mit solchen Lines ernsthaft sein Album eröffnet, der hat schon längst keine Schmerzgrenze mehr (“Keep The Family Closer”). Aber so lassen sich natürlich auch Ghostwriting-Gerüchte im Keim ersticken: Kein Songschreiber, der was auf sich hält, würde für so eine Line Geld verlangen.

Lyrisch betrachtet ist “Views” daher wohl Drakes schwächstes Album. Aber zu seinem großen Glück hat Drizzy immer noch Produzenten-Mastermind Noah “40” Shebib an seiner Seite, der aus der Platte abermals eine musikalische Großtat macht. Das Schöne an Drakes Musik war ja immer, dass sie auch auf eine musikalische Weise sein Innerstes nach Außen kehrt und seine Sozialisation zwischen Neunziger-R’n-B und Südstaaten-Rap widerspiegelt, ohne dabei altbacken zu wirken.

Auch “Views” weist wieder ein komplett eigenes, eklektisches Soundbild auf, irgendwo zwischen Memphis, New Orleans und Kingston, Jamaika. Mit Anleihen an Pimp C, DMX und Jodeci, allesamt eingebettet in dieses kühle, latent nach Unterwasser klingende Soundbild, für das schon die Vorgänger-Alben standen. Einzelne Höhepunkte aus der Produktion des Albums herauszupicken, fällt daher auch schwer: Das wunderschöne Mary-J.-Blige-Sample aus “Weston Road Flows”. Das furztrockene “Grammy” mit Future. Der abrupte Beat- und Flow-Switch auf “U With Me?”. Und natürlich die geschmackssichere Afrobeat-Adaption “One Dance”.

Am Ende des Tages also: alles gut. “Views” ist der perfekte Soundtrack für lange, melancholische Fußmärsche nach einer durchzechten Nacht im Club. Herausragende Musik wird das Duo Drake und 40 wohl auf ewig produzieren. Aber es wird interessant zu sehen sein, welche lyrischen Akzente Drake auf seinem nächsten Album setzen wird. Denn textlich gesehen manövriert sich Aubrey Graham langsam, aber sicher in eine Sackgasse.