Wer auf boombapige Beats rappt, wird oft in eine Oldschool/hängengeblieben-Schublade gesteckt – nicht immer zu Unrecht. Umse allerdings ist, trotz Deckahs samplegespickter Bummtschack-Beats und smoother, unangestrengter Flows, kein solcher Fall. Schon alleine, weil er nicht 45 Minuten lang nur auf der Industrie und Wack-MCs herumhackt, wie es viele seiner verbitterten Kollegen tun. Frei nach dem Motto „Leben und leben lassen“ gibt sich Umse sympathisch und unbeschwert, statt es kratzbürstig real zu keepen. Eigentlich schade, dass „Hawaiianischer Schnee“ mit dem Herbst kommt. Das Album hätte perfekt in den Sommer gepasst. Nicht wegen aufdringlicher Sommerhits oder krampfhaftem Gute-Laune-Gedudel. Nein, die sorglose Grundstimmung und der gefällige, organische Sound laden einfach zum Wohlfühlen ein – und wären auf einer grünen Wiese bei ein paar Bier oder Sportzigarettchen – wie bereits der Albumtitel andeutet, Umses Rauschgift der Wahl – bestens aufgehoben.
Das heißt allerdings nicht, dass „Hawaiianischer Schnee“ leichte, gehaltlose Kost ist. Obwohl es entgegen eigener Aussagen nicht unbedingt „origi-fucking-nell“ ist, wenn Umse weitgehend wertungsfrei und beobachtend – fast schon kindlich naiv – die Natur der „Menschen“ beschreibt und lediglich in der Hook den Wunsch nach mehr Harmonie und Einheit formuliert, regt das sowohl zum Kopfnicken als auch zum Nachdenken an. Und wenn er seine Auslegung von Glauben und HipHop auf „Glaub an was“ schildert und appelliert, jedem seine persönliche Freiheit zu lassen, so wird das nicht nur durch den vollständigen Verzicht auf einen erhobenen Zeigefinger verdammt sympathisch. Sympathie ist ohnehin ein Stichwort, das Umse treffend beschreibt. Von der Präsenz über den Stimmeinsatz bis hin zu den Kernaussagen ist der Charakter Umse stets greifbar und geradezu unverschämt sympathisch, wobei es sich wohl auch nicht um einen Character, sondern die Person hinter dem Künstler handelt.
„Nichts kann so unrein sein wie die menschliche Haut /
Menschen waschen sich, doch schlussendlich sind Menschen versaut /
Menschen wenden viel auf, für Menschen, wenn man sie braucht /
Doch meist für Menschen die man kennt, denn es gibt ja Menschen zuhauf“ („Menschen“ )
Aber „Hawaiianischer Schnee“ lebt natürlich nicht nur vom angenehmen Sound und dem sympathischen Auftreten des Protagonisten. Allein technisch wird eine verdammt heiße Sohle aufs Parkett gelegt. Verflochtene Pattern, saubere Kombos und blitzsaubere Endreime prägen das Bild, ohne zu dick aufgetragen oder kontextlos anzumuten. Die Reime werden auch nicht zum Selbstzweck, sondern sind so platziert und eingesetzt, dass sie den Flows und der Phonetik der Zeilen zuträglich sind. So jagt eine wohlklingende Zeile die nächste, ohne aufdringlich zu werden. Dabei wirkt Umse so entspannt, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Diesem Balanceakt aus zeitgemäßem Technikeinsatz und den richtigen Prioritäten ist es geschuldet, dass der Rap nicht doch irgendwann dahin plätschert, sondern in Bewegung bleibt.
„Weil ich an meinem Style feil‘ und so Zeilen aufschreib‘ macht der Scheiß mich hier quasi zum Aktivisten /
Bin ich der gleichen Meinung, wie die meisten die meinen, ihre Zeit wär‘ nur da, um sie abzusitzen /
Man darf wieder aufdreh’n – Mann ich lass sie wissen, dass ich es in Kauf nehm‘ Tag und Nacht zu schwitzen /
Ich werd wieder rausgeh’n, mich mit Liedern ausdehnen, als MC gut aussehen, statt voll abzudriften“ („Stillstand ist der Tod“ )
Das letzte Puzzleteil, das den Charme von „Hawaiianischer Schnee“ ausmacht ist Produzent Deckah, der den kompletten Langspieler produziert hat. Der organische Soundteppich setzt sich hauptsächlich aus satten Drums und warmen Samples echter Instrumente zusammen. Klingt simpel, ist es aber nicht. Jeder Beat tanzt einen gefährlichen Tanz an der Klippe zur Überladenheit – stürzt aber nie ab. In jedem Song prallen zig Elemente aufeinander, die aber stimmig miteinander harmonieren. Jazzige Blasinstrumente ziehen sich durchs Album und paaren sich mit Gospel- und Blues-Vocal-Samples, Strings, Pianos und unzählbaren Details. Dennoch drängen sich die Instrumentale nicht in den Vordergrund und lassen Umse genau den Raum den er braucht.
„Hawaiianischer Schnee“ wird dadurch zu einem wunderbar unaufdringlichen, angenehmen Album, das, wie Eingangs erwähnt, perfekt für den Sommer gewesen wäre. Das Album ist dezent, ohne langweilig zu werden. Es macht einfach Spaß, dem sympathischen, routinierten Protagonisten und seinem nicht minder versierten Spielpartner hinterm Drumcomputer zu lauschen. Es wird zwar nichts neu gemacht oder revolutioniert, auch bleibt Umse zuweilen etwas blass und profillos, aber der vorgesetzte Schnee ist auf jeden Fall nicht von gestern.