LGoony – Grape Tape [Review: Oliver vs. Skinny]

Oliver Marquart: Okay, Skinny. Bitte erklär mir mal das Phänomen LGoony. Ich versteh das ehrlich gesagt nicht ganz. Der Typ hat keine besonders tolle Stimme, er rappt okay, aber weder aufregend neu noch technisch krass. Gut, der Flavor ist stimmig und die Beats sind gut produziert. Aber warum gleich Deutschraps neue Hoffnung?

Skinny: Deutschraps neue Hoffnung ist zu hoch gestapelt, frischen Wind bringt er aber allemal. Die hörbare Freude mit der er an die Sache geht, gepaart mit dem in Deutschland bis dato eher unbekannten Soundentwurf der Marke Sad Boys machen einfach Spaß zu hören. Auch wenn er textlich und flowtechnisch auf ausgetretenen Pfaden wandert – du misst das „Grape Tape“ mit den falschen Maßstäben. Das darfst du einfach nicht so verkopft angehen.

Oliver Marquart: Ich gehe da null verkopft ran und bin auch, wie du weißt, kein verstockter Oldschool-Fan, der in jeder Neuentwicklung den Untergang des Abendlandes wittert. Bestimmt kann man das „Grape Tape“ gut nebenbei laufenlassen. Die Hooks gehen locker ins Ohr, die Beats sowieso. Mir ist nur nicht ganz klar, was daran jetzt so aufregend sein soll. Wie du selbst sagst, gibt es das ja auch irgendwie schon, nämlich in Form von Yung Lean.

Skinny: Wenn dein Argument ist, dass es das in ähnlicher Form schon gibt, dann musst du wohl oder übel deine gesamte Mediathek löschen. Fortschritt kommt durch Weiterentwicklung und abgesehen davon, dass es diesen Sound auf Deutsch noch nicht in dieser Qualität gibt, LGoony bringt mit seinem sorglosen Style konsequent eine eigene Note in diesen Hybriden aus Trap und Cloud. Und genau deshalb ist das „Grape Tape“ mehr als nur Hintergrundgedudel – der Junge ist voll in seinem Element und das hört man.

Oliver Marquart: Letzteres stelle ich nicht infrage. Auch wenn  – oder gerade weil – es sich um einen Phantasiekosmos handelt, in dem sich LGoony bewegt, nehme ich ihm das durchaus ab. Das ist seine Welt. Finde ich auch durchaus interessant, sich so einen eigenen kleinen Kosmos aufzubauen. Für meinen Geschmack hat er nur ein bisschen wenig Charisma. Das gleicht er halt durch massiven Autotune-Einsatz wieder aus. Ich behaupte aber mal: Ohne diesen Effekt wäre es ziemlich dünn, was er da macht.

Skinny: Das wäre es! Aber nicht, weil er mit Autotune etwas kompensiert, sondern weil es zum zentralen Element wird. LGoony biegt keine gesanglichen Defizite zurecht, Autotune spielt eine wichtige stilistische Rolle in der Stilistik des Tapes. Selbst wenn das Charisma dich nicht catcht, was ich nicht nachvollziehen kann, und er das mit gelungenem Autotune wettmacht, wie du gesagt hast – dann gibt es daran auch nichts zu meckern. Er macht es schließlich wett. Das Endergebnis zählt!

Oliver Marquart: Hm, okay. Das stimmt natürlich schon. Ich glaube auch, dass ich unterbewusst etwas zum Meckern suche, weil mich plötzliche Hypes schon immer abgeturnt und misstrauisch gemacht haben. Und ich bin mir ehrlich gesagt nicht so sicher, dass jeder Redakteur, der das nun zum Mixtape des Monats kürt, dies mit reinem Herzen tut – und nicht, um nur nicht den Trend zu verpassen. Ich persönlich jedenfalls finde es nicht uninteressant und kann mir auch einige Songs, vor allem den ersten, geben. Aber den konkreten Hype darum empfinde ich trotzdem als etwas überzogen, frei nach dem Motto: Viel Lärm um nicht viel.

Skinny: Ob es dem Hype gerecht wird spielt doch keine Rolle. Stichwort: Endergebnis. Der erste Track, „Grape„, gefällt mir übrigens auch am besten. Das liegt natürlich auch an dem Weltklasse-Beat, den Abaz zusammengeschustert hat. Da ist der einzige Wermutstropfen, den ich im Tape finde: Die Qualität der Beats schwankt massiv, auch wenn der Sound durchweg homogen bleibt, ohne zu langweilen – wenn ich „Grape“ mit „Lambo Gallardo“ von Rato vergleiche, dann ist das ein handwerklicher Unterschied wie zwischen Tag und Nacht oder Lean und Robby Bubble. Aber das sind nur wenige Ausfälle, die den Gesamteindruck etwas trüben.

Oliver Marquart: Am besten gefallen mir sonst die Beats von DJ Heroin. Die fressen sich wie Sandwürmer in den Wüstenboden in meine Gehörgänge. Wir müssen auch noch über das Casper-Feature sprechen. Wann macht der endlich ein Trap-Mixtape? Jetzt wäre doch der perfekte Zeitpunkt dafür. Wobei ihm natürlich jeder Trendreiterei vorwerfen würde – was lächerlich wäre. Aber dem liegen solche Sounds doch total. Der Part gefällt mir besser als sein gesamtes letztes Album.

Skinny: Kann ich so unterschreiben! Leicht gehetzt wirkt er, aber der Stil ist wie für ihn gemacht. Überhaupt sind mit Casper, Money Boy, Young Kira und Harry Quintana, von dem ich noch nie zuvor gehört habe, alle Features passend und gut platziert. Mehr hätte dem Tape nicht gut getan – so aber eine willkommene Auflockerung.

Oliver Marquart: True. Für mich bleibt es unter dem Strich dennoch ein eher durchschnittliches Werk, mit einigen Highlights und einem interessanten Konzept. Mal sehen, was LGoony noch so reißen kann.

Skinny: Einiges! LGoony ist motiviert, bereit etwas auszuprobieren, hat Style und ist unverkrampft. Das sagt sich leicht, aber vielleicht ist er einfach seiner Zeit wirklich voraus. Nach diesem Gespräch würde ich den „Deutschraps neue Hoffnung“-Stempel vielleicht doch nochmal rauskramen. Was LGoony ausmacht kann man nämlich nicht lernen – was ihm fehlt schon.