Review: Enemy – Lebendig begraben

Am Freitag hat Enemy sein Debütalbum „Lebendig begraben“ veröffentlicht. In 12 Songs ohne Featuregäste gibt er uns einen Einblick in seine Gefühlswelt. „Außer mir zu schmeicheln gibt es keinen Grund zu reden“ trällert Enemy in seinem Track „Fatigo“ zum Beispiel. Diese Ansicht hat er eindrucksvoll untermauert, als er in seiner Instagramstory zwei Kollegen von hiphop.de aufs Übelste beschimpft, weil diese ihn in einem Video für sein Auftreten (eher milde) kritisieren. Angesichts dieses… nun ja, emotionalen Ausbruchs entbrannte bei uns in der Redaktion die Debatte, ob wir das Album überhaupt besprechen werden. Derlei verbale Übergriffe gegen Journalisten kommen nicht selten vor und werden auch als Druckmittel benutzt, um unliebsame Meinungen zu unterdrücken. Da der Inhalt dieser Review zu diesem Zeitpunkt bereits zum größten Teil stand, haben wir uns aber entschlossen, diesen Text dennoch zu veröffentlichen.

Von der Lyrik zum Rap

Enemy war eines der ersten Signings auf Haftbefehls zweitem Label Generation Azzlack. In Interviews erzählt er, dass er über Lyrik zur Musik kam. Bevor er sich an Rap gewagt hat, habe er viele Gedichte geschrieben. Diese Roots schlagen sich in seinen Songs definitiv nieder. Mit seinen Worten malt er viele starke Bilder und zieht Vergleiche, an die sich nur wenige andere Künstler*innen herantrauen. In seinen Texten vereint er zwei Welten: Seinen Alltag als Rapper sowie sein oft erwähntes Medizinstudium. Kein Problem fürs „Genius Universalis“, wie er sich selbst beschreibt:

„Ich bringe die Dinge ins roll’n, so wie einst die Erfindung des Rades
Ich bin der Bringer der kalten Erkenntnis wie die Nächte am Ende des sonnigen Tages“ („Simonetta Vespucci“)

Seine fast göttlich anmutende Unfehlbarkeit ist eines der Hauptthemen der Platte. Am liebsten wäre es Enemy, wenn diese dumme Rasse aussterben würde und er als einer der wenigen Gebildeten übrig bliebe, um das Fortbestehen der menschlichen Elite zu sichern. Sein Medizinstudium, das das Wunderkind offenbar in ungewöhnlich jungem Alter angetreten (und abgeschlossen?) hat, wird mindestens genauso oft erwähnt wie die Unterlegenheit aller anderen Menschen ihm gegenüber. Andererseits zeigt er in vielen Songs eine sehr sensible, weiche Seite und benutzt hierfür Worte, die in eine angeschlagene Seele blicken lassen:

„Bitte verletz mich, ich liebe die Narben
Ich denk‘ nur an Schlechtes, an düstere Tage“ („Billie“)

Zwischen Unnahbarkeit und Weltschmerz

Dieser Spagat zwischen Unnahbarkeit und fast depressiv anmutendem Weltschmerz führt dazu, dass es schwer fällt, ihn als Kunstfigur einzuschätzen. Seine elegant formulierten Gedanken würden sicherlich greifbarer daherkommen, würde Enemy sie nicht mit dieser übertriebenen Arroganz transportieren, die er zu seinem Markenzeichen macht. Dabei kann er auch anders, wie er etwa auf „Versuch es“ demonstriert. Mit gebrochener, fast schon weinerlicher Stimme sinniert er übers Anderssein. Er rappt vom Leiden und davon, niemanden zum Reden zu haben. Abgründe, die sich auch in augenscheinlich weniger tiefgründigen Songs wie „Ich glaube nicht“ auftun: Was hier auf den ersten Blick wie reiner Größenwahn wirkt, entpuppt sich bei genauer Betrachtung als Zeugnis von lähmender Einsamkeit.

Der letzte Song auf „Lebendig begraben“, „Grund“, konkretisiert diese abgründigen Gedanken: „Schau mir in die Augen und du siehst ein kleines Kind, das in der bösen Seite eurer heilen Welt ertrinkt“. Enemy fühlt sich missverstanden, alleine und fehl am Platz. Angesichts anderer Lines wie „Ich bin schlauer als ihr alle mal zehn und ich rede nicht“ ist das aber auch irgendwie nicht verwunderlich. Ob ihn seine herausragende Intelligenz und seine Art, die Welt zu betrachten, einsam machen oder ob das doch eher auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass er sich als überheblicher Kotzbrocken gibt, wird wohl nur er herausfinden können.

Außerordentliches Album, außerordentlicher Auftritt

Insgesamt hat es Enemy in seinem Debütalbum nicht darauf angelegt, seine Hörer zu unterhalten oder in Feierlaune zu versetzen. Die Platte zeigt Neues, ist fast schon experimentell, kaum ein Track ähnelt dem anderen. Moderne Einflüsse ziehen sich zwar durch, dennoch wurde auf „Lebendig begraben“ keine Trendreiterei betrieben, sondern experimentiert und gewagt. Enemys straighter und versierter Rap wird immer wieder von markantem Singsang aufgelockert, manchmal verschmilzt auch beides zu einer spannenden Symbiose.

Seine wortreichen, teilweise wunderschön trübseligen Texte sind ehrlich und tabulos, mit der eigenen Arroganz zu hausieren braucht außerhalb von Battles zugegebenermaßen auch ordentlich Eier. Wenn sich dieses Verhalten aber ins echte Leben überträgt und in respektlosen Insta-Storys entlädt, dann wird aus dem spannenden Charakter schnell ein Unsympath.