MC Bogys zwanzigjährige Karriere ist geprägt von Aufs und Abs. Dass das Berliner Urgestein aktuell ordentlich Wind in den Segeln hat, entgeht aufmerksamen Augen, die sein Tun verfolgen, wohl nicht. Dass der Atzenkeeper mit „100%“ das zweifelsfrei beste Album seiner Vita vorlegt, ist allerdings doch eine kleine Überraschung.
Neuer Höhepunkt
Bei einer derart langlebigen Laufbahn neigt man häufig dazu, die „alten Sachen“ auf ein nostalgisch verklärtes Podest zu stellen, das nie wieder erreicht werden kann. Gerade bei einer Kultfigur wie Bogy, der sich mit unzähligen Spitznamen schmückt und schon durch sein stets authentisches Auftreten den Ruf einer schillernden Straßenlegende genießt, trauern die Anhänger gerne vergangenen Zeiten und Klassikern wie „Willkommen in Abschaumcity“ nach. Macht ja auch Spaß, für sich, als Fan, so ein Kleinod zu hegen. Aber wenn wir ehrlich sind: Bogys Schaffen war immer wieder von Krisen geprägt, auch künstlerischer Natur. So tief der Lankwitzer allerdings schon gefallen sein mag, so hoch fliegt er mit „100%“.
Sein nunmehr neuntes Soloalbum als solches zu bezeichnen, wäre allerdings beinahe schon unfair. Unfair B-Lash gegenüber, der, wie schon beim Vorgänger „Biographie eines Dealers“, als Produzent, Executive Producer, regelmäßiger Gast und – am wichtigsten – moralische unterstützender Coach maßgeblich an der Entstehung beteiligt war. Dieser Arbeitsdynamik des Duos ist es wohl geschuldet, dass das Album aus Bogy herauskitzelt was draufsteht: 100 Prozent!
Präzise wie ein Uhrwerk
MC Bogy präsentiert sich inbrünstiger, pointierter und geistesgegenwärtiger als je zuvor. Er ist präsenter und selbstbewusster denn je, alle Flows sitzen treffsicher. Stolperer, verrutschte Silben und überladene Zeilen gehören der Vergangenheit an. Bogy rappt präzise wie ein Uhrwerk, ohne seinen markant-behäbigen Signature-Flow zu verlieren oder anderweitige Abstriche zu machen. Es ist schlichtweg besser als je zuvor.
Klar, technisch war der Atzenkeeper nie eine Offenbarung, aber das will er nach wie vor auch überhaupt nicht sein. („Medien dissen mein‘ Rap, denn sie zählen nur die Reime“) Wenn Bogy „Cool“ auf „Pool“ reimt, dann liest sich das hier wie eine mittelschwere Katastrophe, fällt wegen des souveränen und charismatischen Vortrags beim Hören aber überhaupt nicht ins Gewicht. Stattdessen entlockt einem das darauffolgende „ich will große Domizile“ unweigerlich ein Grinsen, weil Bogy seinen eigenen Swagger so herrlich befreit und erfrischend neu erfunden hat. „Ein Atzenkeeper zum Verlieben“ halt.
100% Atzenkeeper
Dass der Präsident von Lankwitz allerdings nicht plötzlich in coolen Pools und großen Domizilen dem Highlife frönt, wird direkt zu Beginn von „100%“ mit der Dampframme klargestellt. „Der sympathische Psycho“ eröffnet sein Album mit einer Handvoll beklemmender Straßenreprenter, die von einem erdrückenden Synthiegewitter begleitet werden. Grundtenor: Wenn Bogys Geduldsfaden reißt, ist Schluss mit lustig. Dass Bogy sich in seinem gewohnten Metier wohlfühlt, ist aber keine Überraschung.
Viel spannender wird es, wenn Bogy die Ohrwürmer auspackt. Davon gibt es auf „100%“ einige. Die Ballade „Mein Baby“ ist zwar dezent käsig, aber spätestens ab „Fickt euch alle“ jagt eine eingängige Hook die nächste. Dabei wird sich nicht verstellt oder bieder Richtung Radio geschielt, Bogy pflastert die Parts mit trockenen, gewitzten Ansagen („Ich beiße, du bellst / Keine Leiche im Keller, denn die Leiche bin ich selbst“), Gesangstalent B-Lash trällert eine Hook, die sich direkt in den Gehörgängen einnistet und diese auch nicht mehr so bald zu verlassen gedenkt. Das passiert nicht nur einmal. Das darauffolgende „Bam Bam Killa“ ist ein OG-Hit der Königsklasse. Ein Beat, der sich anfühlt wie ein Seidenbademantel, ein herrlich ignoranter Part von Frauenarzt und ein MC Bogy, der smoother nicht sein könnte, werden mit einem geradezu absurd gefälligen Refrain, wieder von Onkel B, garniert und fügen sich zu einem makellos runden Ohrwurm zusammen, der sich in keinem Taktschlag verbiegen muss, um zu gefallen und zu zeigen, wie melodisch Straße klingen, ohne an Härte einzubüßen.
Highlight auf Highlight
Auf „100%“ folgt Highlight auf Highlight. Seien es die melodischen Momente, sei es „Schockwelle“ mit vitalem Bay Area Ratchet-Sound, auf dem Kool Savas dem Gastgeber allerdings ein bisschen die Show stiehlt. Das ist in Anbetracht eines der stärksten KKS-Parts der letzten Jahre aber keiner Schande, zumal Bogy hier höchstselbst für eine brutal markante und lässige Hook sorgt. Mit Unterstützung von Veysel wird sich danach auf „Lost Boys“ sogar in trappige Gefilde gewagt, was Bogys schwerfälligem Flow hervorragend zu Gesicht steht und klingt, als hätte er derlei Styles schon mit der Muttermilch aufgesogen.
Gegen Ende der 14 Anspielstationen begibt der Atzenkeeper sich noch einmal in düstere Gefilde und widmet seiner unterkühlten Seite neben dem Possetrack „Underdog“ ein paar finstere Brecher. Krönend schließt er „100%“ mit dem von Horrorfilm-Hommagen durchzogenen „Scarescrow“ und hinterlässt einen bleibenden Eindruck.
Magnum Opus
„100%“ ist ohne Frage MC Bogys Meisterstück. Ein Album, das nicht mit Höhepunkten geizt, sich aber kaum Schwächen erlaubt. Bodenständige Classic-Kost wie die Azad-Verbeugung „Krankwitz“ stellt Fans zufrieden, wagemutige Experimente und lupenreine Hits sorgen für Überraschungen und Abwechslung. Nicht nur, dass das Format des Albums in Zeiten von Streaming und Singles mit gebührendem Respekt behandelt wird; Bogy klingt wie ausgewechselt und übertrifft sich immer wieder selbst.
So klingt ein Magnum Opus nach 20 Jahren Rap, das mit erstaunlicher Zielstrebigkeit den Balanceakt zwischen Zeitgeist und eigenen Prinzipien meistert, sich zwar nicht auf Trends stürzt, aber auch nie anachronistisch anmutet und der Figur des MC Bogy eine nie dagewesene Souveränität mit frischen Facetten verleiht.