Marteria und Casper teilen nicht nur das Geburtsjahr „1982“, sondern auch große Überschneidungen in der Hörerschaft. Beide sind längst aus dem reinen Rap-Kosmos ausgebrochen und füllen mittlerweile Arenen. Ein gemeinsames Album könnte also ein cleverer Marketing-Schachzug sein. Statt abgebrühter Zielgruppen-Buhlerei geht es auf „1982“ aber erfrischend unbefangen zu.
Wie Titel und Artwork eigentlich schon recht anschaulich verraten, geht es auf dem gemeinsamen Album der beiden 35-Jährigen eher retrospektiv zu. Wehmütig gedenkt man vergangenen Lebensabschnitten, die vielleicht nicht unbedingt besser waren, aber dem Duo aus der Distanz betrachtet vorkommen wie die wunderbarste Zeit überhaupt. Insbesondere der Titelsong mit dem Suffix „Als ob’s gestern war“ reißt dabei gleich mit, auch wenn man nicht dabei war. Spätestens Caspers Namedropping löst auch bei mir wohlige Gefühle aus – wann habe ich bitte zuletzt den Namen Affenboss gehört? Hach, das waren noch Zeiten…
An die nostalgische Träumerei von Krümeleistee, Schrottautos und Taschen voller Klimpergeld reihen sich aber auch einige spannende Experimente. Klar, der erwartbare Hymnen-Sound bleibt nicht vollends aus, auf smoothen Synthies und einnehmenden Fanfaren fühlen Marteria und Casper sich eben wohl und zaubern auch die ein oder andere prägnante Hook, etwa das mitreiße „Supernova“, aus dem Hut. Seine stärksten Momente hat „1982“ aber, wenn die beiden sich aus ihrer Komfortzone heraus wagen.
„Willkommen in der Vorstadt“ kommt mit bedrohlich düsterem Instrumental-Anstrich daher und stellt den Kleinstadt-Konterpart zum üblichen Straßenrap der Metropolen dar. Die kornsaufende Dorfjugend schlägt beim Feuerwehrfest eben nicht weniger hart zu als der kampferprobte Großstädter – das wissen der Bösingfelder (ein 4000-Seelen-Kaff bei Bielefeld. S/o Wikipedia) und der Rostocker aus erster Hand zu berichten. Casper und Marteria feiern aber nicht nur ihr Debüt als grimmige OGs.
Direkt darauf folgt „Adrenalin“, das unverhohlen für den Moshpit geschrieben und vor allem produziert wurde. Die wuchtige Kick und der übersteuerte Synthie lassen einen fast schon „Brick Squaaaaaad“-Adlibs erwarten, klingt der Beat doch vermeintlich eher nach Waka Flocka als nach Marteria und Casper. Letzterer macht hier allerdings trotz der weniger voluminösen Stimme eine deutlich bessere Figur. Auch beim anschließenden „Chardonnay & Purple Haze“ liegt der Verdacht auf der Hand, dass beide Songs von Casper vorgeschlagen und konzipiert wurden, der schon seit vielen Jahren seinen Faible für diese musikalischen Gefilde öffentlich zelebriert.
Auf dem verschwurbelten chopped & screwed Beat scheint Marteria sich jedenfalls nicht sonderlich gut zurecht zu finden. Bis auf die großzügige Pausensetzung bearbeitet er das Instrumental wie einfachen 90 BpM-Bummtschack. Das ist schade, gerade in Anbetracht der spannenden Performance von Casper, dessen trippiger Part klingt, als hätte er nie andere Musik gemacht. Wann kommt eigentlich „Lordlevel“?
Trotz des zuweilen etwas unbeholfenen Auftretens macht es aber Spaß, mal wieder einen Marteria zu hören, der sich außerhalb seiner Routine bewegt und daran auch hörbar Freude hat. Überhaupt schien der Spaß an der Sache bei „1982“ eine übergeordnete Rolle für die Protagonisten zu spielen. Ein Befreiungsschlag, der überfällig war. Auf „Absturz“ mit Feine-Sahne-Monchi machen Mar und Cas ihrem Frust sogar Luft. Solche Suffering-from-Success-Songs wirken meistens ziemlich weinerlich und sind oft schwierig nachzuvollziehen, wenn man selbst gerade schaut, wie man diesen Monat über die Runden kommt, während steinreiche Superstars darüber jammern, dass sie ihre Waschsalon-Zeiten vermissen. Unter dem nostalgischen Stern des Albums fügt sich „Absturz“ allerdings hervorragend und unpeinlich ein, statt wie ein wehleidiger Filler zu klingen.
Überhaupt gibt es keinen einzigen Lückenfüller auf „1982“. Mit zehn Songs fällt das Album ohnehin angenehm schlank aus, es wird aber sowieso schnell klar, dass man hier nichts provozieren wollte. Musikalisch werden zwar diverse Stationen der Deutschrap-Historie abgearbeitet, das zieht sich aber eher lose durchs Album und fällt erst auf den zweiten Blick auf. Der Throwback in die Vergangenheit fällt angenehm unverkrampft aus, auf „1982“ wurde nichts kaputt gedacht oder auf Teufel komm raus durchkonzipiert.
Statt bedeutungsschwangerer Metaphern und aufgebauschter Poesie, die das Große im Kleinen beschreiben soll, drücken die beiden sich angenehm schnörkellos aus. Eine Zeile meint hier genau das, was sie sagt. Ein Beat soll keine neuartige Genre-Metamorphose mit zig Ebenen bilden, sondern einfach gut klingen. Umso erfrischender ist das in Anbetracht der letzten Releases von Casper und Marteria. Auf der unermüdlichen Jagd nach dem nächsten großen Klassiker verdienen eben auch die größten Stadionfüller mal eine Atempause – und die haben sie sich mit dem Kollabo-Album genommen, was den beiden hörbar gut getan hat.
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