Gute Rapalben sind immer auch ein Ausdruck und Spiegel ihrer Zeit. Nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich und damit: gesellschaftlich. In diesem Sinn ist „Wolke 7“ ein gutes Rapalbum. Ein sehr gutes sogar.
Denn es bringt das sich verändernde Lebensgefühl der sogenannten Unterschicht extrem überzeichnet und damit präzise auf den Punkt. Man merkt das schon daran, dass sich das Feuilleton angesichts von so viel Gewalt, Sex, Gewaltsex, Drogen und Scheiß-auf-alles in den Texten entsetzt und angewidert abwendet. Ist das noch Kunst? Oder müssen womöglich wieder Echos zurückgegeben werden?
Keine Gnade, keine Rücksicht
Klar liebt das Bürgertum sowohl die Pose der Provokation als auch die Energie, die Leute, die im Sozialbau aufgewachsen sind, an den Tag legen – und da wird es bei Gzuz eigentlich mehr als fündig. Nur, dass bei ihm Zeilen wie
„Keine Gnade, keine Rücksicht
Wenn eine Gerade dein Gesicht trifft
Wir machen Para mit mei’m Business
Alles andre intressiert nicht“ („Drück drück“)
eben keinen wohligen Schauer mehr auslösen. Zu direkt ist der Nihilismus, zu deutlich der Materialismus, der kein Netz und keinen doppelten Boden kennt. Gzuz verkörpert den Teil der Gesellschaft, der von den Reichen und Schönen ursprünglich nur als Bodensatz, als Dienstbote, als Ein-Euro-Jobber vorgesehen war.
Friss meinen Schwanz
Der aber auf diese Rolle gar keinen Bock hat und sich alle Insignien der Oberschicht holt – mit Gewalt, mit Rap, scheißegal, auf jeden Fall nicht mit bürgerlichen Werten wie Fleiß, Unterordnung und Arbeit.
„Alles unter 100k ist für mich nicht interessant, vielen Dank
Fahr zur Hölle oder friss mein’n Schwanz, mir egal“ („Was hast du gedacht?“)
Gzuz hält der bürgerlichen Mitte mit ihrem Anstand, ihrer Aufgeklärtheit und ihrer Vernunft unbeabsichtigt den Spiegel vor – und darin sieht sie bis zur Kenntlichkeit verzerrt, was unter der dünnen Fassade von westlicher Zivilisation, Marktwirtschaft und Humanismus liegt: Sexismus, Verachtung für alles und jeden, Hass, dumpfer Egoismus. Er ist im Grunde genau wie sie – nur ohne Maske.
Keine Beschönigung
Damit das klar ist: Ich will das weder schönreden noch zu einem irgendwie revolutionären Akt hochschreiben. Die vielen sexistischen Zeilen sind einfach ekelhaft und plump. Witzig sind sie kein bisschen. Das dumpfe Betonen von Status, Geld und Erfolg ist ermüdend. Außer den wie immer hervorragend produzierten Beats ist hier nichts überraschend oder aufregend.
Und doch, der Punk, den das Feuilleton heute im Nachhinein so gerne feiert für seine rohe Direktheit, war ganz genauso wie Gzuz. Es gab bei den Sex Pistols auch keine zweite Ebene. Es gab nur den Hass auf die Verlogenheit der Gewinner in dieser Gesellschaft, auf ihre Doppelmoral, ihren verdeckten Menschenhass – ohne dem etwas positives entgegenzusetzen. Zerstörung war das Motto.
Bei Gzuz kommt eben noch Aufbauen hinzu: Das eigene Vermögen allerdings nur. Sonst nichts. Die Gesetze des Kapitalismus hat er voll verstanden, er lebt nach ihnen, so gut es geht – und es geht ziemlich gut.
Interessieren tut es keinen
Ja, „Wolke 7“ gibt der sogenannten Unterschicht eine Stimme. Aber nein, diese Stimme prangert keine Ungerechtigkeiten an oder fordert Verbesserungen. Diese Stimme sagt einfach nur, wie abgefuckt alles ist und zieht daraus den Schluss, dass Egoismus und die Abwertung anderer die einzig mögliche Antwort darauf ist.
„Früher nur Tränen geweint
Heut ist die Seele aus Stein
Nichts hält für ewig, die Zeiger, sie dreh’n sich
Im nächsten Moment ist das Leben vorbei
Intressier’n tut es kein’n“ („Neuer Tag, neues Drama“)
Hier gibt es keinen Gott, der allem Leid am Ende irgendeinen Sinn gibt, den wir vorher nicht verstanden haben. Keine Gefühle, denn Gefühle machen schwach. Keine Hoffnung, weder auf Erlösung noch auf sonst irgendwas. Niemand schwebt auf Wolke 7. Hier gibt es nur: Ein kurzes, beschissenes Leben, das durch Drogen, Konsum und gewalttätigen Sex ein bisschen weniger langweilig und erbärmlich wird. Hart? Allerdings. Traurig? Sehr. Glaubhaft? Zu hundert Prozent.