„Erst Straße, dann Rap“ – auf den ersten Blick ein ziemlich einfallsloser Titel. Anfang 2000 hätte er wohl noch gezogen, denke ich mir zunächst. Doch nach etwas Nachdenken wird mir klar: Amar hätte keinen signifikanteren und treffenderen Titel auswählen können. Der Mühlheimer brachte 2007 auf seinem ersten Release „Cho! Hier habt ihr euer Mixtape“ schon Straßenrap für Technikliebhaber.
Die nächsten zehn Jahre einmal im Schnelldurchlauf: Auflösung von Optik, Amar verschwindet von der Bildfläche, Albumankündigung, zwei Jahre Haft (2013-2015) und währenddessen erscheint „Amargeddon 2010“ (Ercandize sei Dank!). Irgendwo dazwischen noch ein Beckenbruch und die üblichen Probleme und Krisen im Leben. Doch der 35-jährige hat wie es scheint seinen Glauben nie verloren, ist nun wieder ein freier Mann und hat den Kopf wieder frei für Musik.
Nun erscheint sein zweites Album „Erst Straße, dann Rap“, das sich wie sein Debüt anfühlt und man weiß nicht so recht, was man erwarten soll. Gerade weil Amar noch nie richtig an einem Album arbeiten konnte und sein bis dato geringer Output höchstens als Teaser fungierte, würde man sich als langjähriger Fan wohl die straight gerappten Parts auf selbstgebaute, rough- und halbfertig klingende Beat – nur eben alles in konzentrierter Albumform – wünschen.
Straße bleibt Straße
Auf der anderen Seite gibt es klassische Straßenrap-Alben mittlerweile wie Sand am Meer und 2018 lockt man damit keinen Hund mehr aus dem Ofen hervor. Ob Amar denkt, dass er seinen Fans – zumindest erstmal – ein Album mit dem typischen Amar-Sound schuldig ist oder ob er sich schon auf einem ganz anderen Mindstate befindet, muss wohl herausgefunden werden. Die Liste der Produzenten und Features ist auf den ersten Blick eine Mischung daraus – Freundschaftsdiensten und aktuellen Angesagtem.
Es dauert eine „Intro“-Länge, bis ich die Antwort habe: Es klingt wirklich nach „Erst Straße, dann Rap“ – und nicht nach „Erst Straße, dann Rap über Straße/wie auf der Straße“. Ein Album von einem Rapper mit einem solchen Background sollte doch glorifizierend, düsterer, aggressiv und insgesamt hart klingen? Tut es aber nicht. Bzw. ich habe nicht das Gefühl: Das Charisma des Rumänen ist dafür zu unverkrampft, der Vibe zu verhältnismäßig positiv (auch wenn es die Lyrics nicht sind) und sein Trademark-Flow lässt sich jedem Instrumental der vielen unterschiedlichen Produzenten anpassen, anstatt jeden Sprachfetzen mit aller Gewalt auf die Beats tackern zu müssen.
Stimme, Flow und Experimente
Generell: Mit Stimme, Flow, einem gesunden Maß an Experimentierfreudigkeit sowie der Kenntnis über die eigenen Stärken kann er viel an Redundanz, Überdruss und fehlendem Konzept kaschieren. Hinzukommt diese spezielle Art von Humor und Coolness, die wohl nur entstehen kann, wenn man so viel Scheiße wie er gesehen hat.
Auf dem Titeltrack mit klassischen Trap-Elementen, gibt es mehr Technikgefrickel und Abwechslung als man auf solchen Beats für möglich hält. „Sorry“ mit Haze sowie „Sayajins“ mit Azad sind wiederum genau das, was man erwartet und hören will (gerade von letzterem) und auch wenn ich ein Fan von den bös gespitteten Features von Amar und Savas bin („S&A“, „Protest“, „Skandal“, „Goliath“), ist es auch mal wieder schön zu hören, wenn sie gemeinsam einfach nur am „Teller drehen“ und Savas spontan eine Autotune-Hook (!) singt.
Emotional und ehrlich
Generell scheint es als hätte sich Amar auf den Featuretracks ziemlich locker gemacht und sich (fast) immer auf das Spielfeld des Anderen begeben. Dank seinen erwähnten Stärken kann er sich das auch erlauben und dem Album somit ein gutes Maß an Abwechslung mitgeben. Was bleibt und zu noch unbedingt zu erwähnen ist: Aus einem an sich so totgehörten melancholischen Klaviersample mit den passenden Drums, die in der erwartbaren Hook aussetzen, macht Amar „Aus meiner Brust“ – das emotionalste, ehrlichste und intensivste Stück Musik seiner Karriere. Chapeau!
Als Fan von US-Produktionen der späten 90er und frühen 2000er Jahre schießt Amar aus allen Rohren, was die Ästhetik dieser Jahre angeht: Mal treibend und dynamisch, mal melodisch und verspielt oder mal elektrisch. Bedrohlich wird es allerhöchstens mal auf „I.N.A.“ mit MoTrip, wobei bedrohlich eher im Stile von Oldschool zu verstehen ist. Allerdings hat Amar auch die ein oder andere moderne/zeitgemäßere Note eingestreut, die einem beim ersten Hören durch die erste Single und die Anordnung der Tracks viel größer vorkommt als sie eigentlich ist. Am Ende passt es gut ins Gesamtbild. Selbst das Autotune-geschwängerte „Monkey D Ruffy“ wirkt zwischen dem traditionellen Rap über Rap mit MoTrip und dem Straßenrap-Inferno mit Azad wie eine smoothe Abwechslung.
Licht und Schatten
Die Schattenseite ist hier eher das übliche: Nicht jedes Feature trifft meinen Geschmack bzw. trägt etwas Wahrnehmbares zum Album bei (außer dem eigenen Namen vielleicht). Und selbst wenn ich finde, dass Künstler und Hörer dem oft zitierten roten Faden viel zu viel Beachtung schenken (Stichwort: Single-Business), hätte hier ein loser, im Hintergrund laufender Faden manchen Tracks gut getan. Wie schwer dieser Fakt für den Hörer wiegt, liegt wohl daran, ob das Charisma des Mühlheimers und seine oben erwähnten kumulierten Attribute als Rapper dich kriegen oder nicht.
Losgelöst davon: Abwechslung gibt es genug, nur an der nötigen Prise Innovation fehlt es etwas. Somit lässt nicht jeder der 16 Tracks einen angespannt vor den Boxen sitzen, aber langweilig wird „Erst Straße, dann Rap“ zu keiner Zeit. Dafür ist Amar ein zu guter und starker Rapper, der in Sachen Experimentierfreudigkeit und Hunger wie ein Newcomer agiert, und hat als Privatperson zu viel erlebt und gesehen.
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