Kalims Mixtape „Sechs Kronen“ war eine überdurchschnittlich starke Hommage an die goldenen Neunzigerjahre. „Odyssee 579“ ein Debütalbum, das an Alleinstellungsmerkmalen und Gänsehautmomenten nicht sparte. Das berüchtigte zweite Album „Thronfolger“ muss also über eine verdammt hohe Messlatte springen. Und es springt.
Kalims Entwicklung ist nicht zu überhören. Auf Fingerübung mit Paukenschlag folgte Statement mit Klassikerpotential und darauf folgt nun die wegweisende Vision. „Thronfolger“ biedert sich nicht an. Kalim ignoriert Trends gekonnt weg und gibt Straßenrap das essenzielle Etwas zurück, das in Zeiten von tanzbaren Hochglanz-Hits abhanden zu kommen droht: Den Dreck. Die Gefahr. Den Hunger.
Dabei agiert er aber keineswegs rückwärtsgewandt. Wühlt nicht wieder in alten Crates und gräbt nach G-Funk-Perlen. Die Produktionen, die stets mit dumpfen 808s unterlegt sind, bauen eine zum Schneiden dicke Atmosphäre auf. Schiefe Pianos und gezerrte, verwaschene Synthies, die in ihrer Machart entfernt an die Handschrift eines Schoolboy Q erinnern, lassen Thronfolger schmutzig, aber dennoch hochwertig klingen.
Die reduzierten, schmucklosen Instrumentals, die teilweise mit nur einem melodischen Klirren im Hintergrund auskommen und dennoch volle Schlagkraft entfalten, könnten nicht besser zu Kalims puristischem und pointierten Vortrag passen. Trotz des vorherrschenden Minimalismus strotzt „Thronfolger“ vor Energie. Kalim und seine zahlreichen Begleiter fühlen sich auf genau diesen stur vor sich hin rollenden Beats heimisch und laufen in Sachen Präsenz und Hunger zu Höchstformen auf, obwohl oder vielleicht gerade weil sie ihnen alles abverlangen.
Leider hat Kalim trotz seines treffsicheren Händchens den großen Fehler gemacht, deutlich zu viele Gastspieler einzuladen. Mit nur vier Solosongs ist die eigene Bühne deutlich zu schmal ausgefallen. Zwar liefern alle Gäste hervorragend ab, nehmen Kalim aber so den Raum, den er braucht, um richtig aufzublühen. Die Show lässt er sich zwar nicht stehlen, auf jedem Song brilliert er und agiert Kalim mindestens auf Augenhöhe mit seinem Spielpartner. Doch die unvergesslichen Momente von „Odyssee 579“ bleiben weitgehend aus.
Denn gerade wenn Kalim alleine loslegt, brennen sich die unschönen Bilder, die der Hamburger so gekonnt zu zeichnen vermag, tief ein. „VVV“, mit dem das Album abschließt“, lässt Kalim mit seinem zurückhaltenden, unaufgeregten Instrumental mehr als genug Leine und so beschreibt der detailgetreu, aber nicht penibel die triste Gedankenwelt als Drogenpusher. Glorifiziert wird hier nichts, nur mit der richtigen Dosis Pathos beobachtet. Aus der Ich-Perspektive und brutal glaubwürdig. Diese Wow-Momente sind es, die „Thronfolger“ ansonsten leider weitgehend fehlen, was einzig und allein der Flut an Featureparts zuzuschreiben.
Dennoch: Durch das kluge Tracklisting ist „Thronfolger“ ein in sich geschlossenes, spannendes Album, wie es im Buche steht. Ein kurzer Trip in die kalte und gefährliche Welt einer fast verlorenen Seele, so hart und authentisch, dass es einem die Nackenhaare aufstellt. Für die gelegentlichen Atempausen, etwa das idyllische „Heimgehen“ mit Bausa oder dem dadurch doch nicht ganz ausbleibenden Ausflug an die Westküste mit Ace Tee ist man dann fast schon dankbar. Deutscher Straßenrap sollte Kalim ohnehin danken: Für sein erfrischend beklemmendes zweites Album.
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