Wie neoliberal ist Deutschrap?

Im Jahr 2017 erschien in einem Sammelband über die deutsche HipHop-Kultur ein Kapitel über das sogenannte „neoliberale Paradox des deutschen Gangsta-Raps“. Was die Autoren Alexander Bendel und Nils Röper damit meinen und wie neoliberal Deutschrap ist – darum geht es in diesem Artikel.

Stark verkürzt gesagt ist der Neoliberalismus eine Ideologie, die eine extrem kapitalistische Wirtschaftsordnung befürwortet. Ein paar Schwerpunkte zur Einordnung: Es geht um harte Konkurrenzlogik und finanziellen Profit um jeden Preis. Also Ellenbogen raus, wenn man kein Verlierer sein will. Jede*r muss sich zu verkaufen wissen.

Was hat das mit Rap zu tun?

Gangsta-Rapper seien die „kompromisslosesten Neoliberalen unserer Zeit“, schreiben die beiden Sozialforscher. Sie argumentieren, dass es in keiner Musikrichtung so viele neoliberale Konstanten gäbe wie im deutschen Straßenrap. Ohne Frage fällt bei den aktuell erfolgreichsten Rappern schnell ein ungehemmter Materialismus auf.

„Nur noch Gucci, Bratan, ich trag‘ nur noch Gucci“ (Capital Bra„Nur noch Gucci“)

„Sitze im AMG und mache Business auf dem iPad, Hightech, Mic Check.“
(Shindy feat. Bushido„Springfield 2“)

Back to the Roots

Dass es im Rap viel um Statussymbole geht, ist allerdings nun wirklich keine Neuentdeckung. Also schauen wir mal auf die weiteren Punkte von Bendel und Röper.

Ein weiterer Aspekt, auf den die beiden Autoren eingehen, ist die Konkurrenzlogik des Neoliberalismus. Auch, dass viele Rapper nicht unbedingt gemütlich beim Kaffeeklatsch zusammensitzen und sich über das Wetter unterhalten, ist keine Überraschung. Die Einstellung lässt sich mit folgendem Bushido-Zitat von 2003 schnell zusammenfassen:

„Wer ist so fit wie ich? Wer ist mein Feind?
Ich bin der, der dich fickt, wenn die Sonne nicht mehr scheint“
(Bushido„Bei Nacht“)

Auch das Ideal körperlicher Überlegenheit, gepaart mit hartnäckigem Konkurrenzgehabe und Alphamännchen-Gepose passt hier ins Bild.

„Erfolg ist kein Glück“

Auffallend ist auch der Gedanke der vermeintlichen Leistungsgerechtigkeit, der sich in vielen Rap-Lyrics finden lässt. Das beste Beispiel dafür ist Kontra K. Die Message vieler Lyrics des Charlottenburgers ist: Wenn du hart kämpfst, wirst du „mit Blut, Schweiß und Tränen“ an die Spitze gelangen – ein klassisches Kernstück der neoliberalen Ideologie.

„Erfolg ist kein Glück
Sondern nur das Ergebnis von Blut, Schweiß und Tränen
Das Leben zahlt alles mal zurück
Es kommt nur ganz darauf an, was du bist“
(Kontra K„Erfolg ist kein Glück“)

Die Erzählung vom sozialen Aufstieg durch Leistung ist auch keine neue: Spätestens mit Bushidos „Vom Bordstein bis zur Skyline“ (2003) ist das amerikanische Vorbild („from rags to riches“) auch im Deutschrap angekommen.

Die Gegenseite

Natürlich gibt es auch unzählige Deutschrap-Tracks, in denen die ökonomische Denke kritisiert wird: Vor allem in politischen Raps werden eben solche „AMG-und-Rolex-Texte“ oft kritisiert, aber auch von Künstler*innen die selbst absolut im Mainstream stattfinden.

„Du bist gerade im Club, auf Nase, mit den Mädels
Und ich ritze diesen Text in deinen AMG Mercedes“
(K.I.Z.„AMG Mercedes“)

„Wie viel Alben du verkaufst ist kein Argument für dich
Dass du dich darüber definierst ist ein Armutszeugnis
Deine Fans folgen einem momentanen Trend, mehr nicht“
(Waving The Guns„Armutszeugnis“)

Was WTG hier kritisieren, ist nicht weit hergeholt. Deutschrap ist aktuell eine der beliebtesten Musikrichtungen Deutschlands und dass viele junge Fans auch eher einen Trend verfolgen, ist eine legitime Vermutung. Schließlich hat die Zusammensetzung der Zielgruppe von Deutschrap sich komplett verändert.

Ein aktuelles Beispiel einer kritischen Distanzierung ist „Nicht die Musik“ von Kummer„Weder Rap über Businessmoves noch Motivation/ Kein ‚Steh wieder auf'“, rappt er  und erteilt damit eine klare Absage an die neoliberalen Lyrics anderer Rapper.

Wo liegt das neoliberale Paradox?

Zurück zum Ausgangspunkt. Bendel und Röper schrieben ja nicht nur, dass deutsche Gangsta-Rapper neoliberal sind, sondern auch über das Paradox des Ganzen.

Damit meinen sie den Widerspruch, dass Rapper sich einerseits als die krassesten Banger darstellen, die es mit ihren Plattenverkäufen, Premiumboxen und ausverkauften Hallen an die Spitze der Charts und der Gesellschaft geschafft haben. Aber dass sie auf der anderen Seite zu Recht anklagen, aus dem Ghetto zu kommen und kaum Aufstiegschancen gehabt zu haben.

Schon komisch, dass genau die Leute, die vorher vom Scheißsystem im Stich gelassen wurden, genau dieses System weiter promoten. Es wirkt wie eine verzweifelte Suche nach gesellschaftlicher Anerkennung und dem Versuch der Abgrenzung zugleich.

Und nun?

Die Masche der zahllosen neoliberalen Textinhalte zieht. Die breite Masse von Jugendlichen hört genau diese Art von Rap. Jugendliche, die ohne Geld aufwachsen, hören es, weil sie auch nach Reichtum streben. Die mittelständige und gutsituierte Jugend hört es, weil sie sich auch nach der Ghetto-Coolness sehnen – Marken, Autos und Geld haben sie ohnehin.

Die Rapper bedienen das, was bei den Hörer*innen ankommt. Wenn Kritiker*innen also diese Art von Rap-Texten verlachen, sollten sie sich lieber Gedanken machen, warum die Masche bei so vielen Leuten wie nie zuvor zieht. Eventuell, weil diese Werte einen Grundpfeiler unserer Gesellschaft darstellen.

Grundlage:

Bendel, A./ Röper, N. (2017): Das neoliberale Paradoxon des deutschen Gangsta-Raps. Von gesellschaftlicher Entfremdung und der Suche nach Anerkennung. In: Martin Seeliger, Marc Dietrich (Eds.), Deutscher Gangsta-Rap II: Popkultur als Kampf um Anerkennung und Integration. Bielefeld: transcript Verlag, 105-131.