Die Rapkritikerin #2: Haszcara, Farid Bang & Tami

Was versteht ihr unter dem Wort „kritisch“?
1. Einen als jugendgefährdend und bedenklich eingestuften Inhalt
2. Eine reflektierte Auseinandersetzung mit bestehenden Missständen

Egal, was ihr darunter versteht: Im Rap gibt es genug Beispiele für beide Einsatzgebiete des Wortes. Deswegen stellt unsere Redakteurin Krissi Kowsky in ihrer Kolumne Die Rapkritikerin regelmäßig drei Songs vor, die entweder zur einen oder anderen Definition des Wortes passen. 

Haszcara – Keiner außer mir feat. DJ Bulet

Es sind die wenigsten, die mich verstehen, wenn ich was sage/
ich bin die meiste Zeit allein‘, weil ich das nicht ertrage.
Sie reden immer davon, dass sie gern gemeinsam leben/
doch ich denk‘ das liegt daran, dass sie sonst einfach einsam wären.

Selbstbestimmt zu Leben und das zu tun, was man will, ist schwer und erfordert viel Mut. Man eckt schnell an, stößt auf Abneigung und Unverständnis. Trotzdem ist es der einzige Weg, langfristig glücklich zu werden. Haszcara hat das verstanden. Sie macht, was sie will, sagt, was sie denkt und bestärkt andere darin, es ihr nach zu tun.

Das Video ihres Tracks „Keiner außer mir“ wurde im Gefängnis aufgenommen. Ein Ort, an dem Menschen ein Großteil ihrer Selbstermächtigung entzogen wird. Denn selbst wenn man Selbstbestimmt handelt, muss man sich, um ein anerkannter Part dieser Gesellschaft zu sein, an gewisse Regeln halten und „den Job“ erfüllen. Ansonsten wird man schnell ausgestoßen und gilt als Verlierer*in.

Was für ein Zwiespalt.

Die zu befolgenden Regeln werden allerdings zum Teil von der Gesellschaft selbst auferlegt. Keine Drogen nehmen und nicht zu klauen sind Werte, die von vielen Menschen hoch angerechnet werden. Doch was, wenn die eigene Vorstellung von wichtigen Werten nicht mit denen der Mehrheitsgesellschaft übereinstimmt? Was, wenn man Drogen konsumieren möchte? Oder kein Geld für Essen hat und deshalb klauen gehen muss?

Früher folgten bei Missachtung Körperstrafen, wie das Abtrennen von Händen bei Dieben oder das Hängen von Sündern. Wer sich heute nicht an Regeln hält, kassiert eine Geldstrafe oder muss ins Gefängnis.

Menschen im Gefängnis sind von der Gesellschaft abgeschnitten. Natürlich ist es besser, in Gefangenschaft zu leben, als vor der Dorfgemeinschaft gehängt zu werden. Doch es kommt immer wieder vor, dass Menschen unschuldig eine lebenslange Haftstrafe antreten müssen. Deutschland Justiz beruht zwar auf einem Rechtsstaat, in dem jeder an die selben Gesetze und Regeln gebunden ist, dennoch gewinnen oft die, die den besseren Anwalt bezahlen können, gute Kontakte haben oder wissen, wen sie bestechen können.

Außerdem steht meistens nicht im Vordergrund, was genau die Täter oder Täterinnen dazu bewegt hat, straffällig zu werden. Anstatt daran zu arbeitet, Probleme an der Wurzel zu packen und aus der Welt zu schaffen, wird so getan, als wären kriminelle Gruppen das Hauptprobleme, welche durch Einsperren beseitigt werden könnten. Ein ewiger Kampf.

Selbst nach Absitzen der Haft geht das Leben nicht unbedingt normal weiter. Eine Resozialisierung braucht Zeit. Mit einem gewissen Ruf wird es schwierig, einen Job oder eine Wohnung zu finden. Die Hürden sorgen dafür, dass eine erneute Straftat begünstigt wird. Frei nach dem Motto: Einmal kriminell, immer kriminell. Dabei verdient jeder Mensch eine zweite Chance und Unterstützung in einer schweren Lebenssituation. Man sollte niemals über jemanden urteilen, dessen Geschichte man nicht kennt.

Keiner außer mir muss mein eigenes Leben leben/ 
(Das gehört nur mir)
Nur ich selber kann entscheiden, welchen Weg ich geh/ 
(Ich will euch nichts beweisen sondern so sein, wie ich bin 

Haszcara hat es mit dem Video und ihrem Auftritt im Gefängnis geschafft, den Insassen ein Gesicht zu geben und sie nicht als homogene Gruppe abzustempeln.

Natürlich möchte ich mit diesem Artikel keine Straftaten legitimieren oder verharmlosen, sondern lediglich darauf aufmerksam machen, dass nicht alle Gefängnisinsassen Schwerverbrecher*innen sind, die für immer hinter Gitter gehören und nicht jeder Mensch auf freiem Fuß zwangsläufig ein Engel ist.

Ich will nicht haten, ich vertrete nur den Standpunkt/
dass es jeder Mensch es merkt, wenn man ihn blöd und lange anguckt/
Also denk mal drüber nach, wie du den anderen gegenübertrittst/
vor allem wenn ihre Art für dich unbekannt und nicht üblich ist.

Im Interview mit rap.de erzählt Haszcara, was hinter den Songtexten ihres Albums „Polaris“ steckt.