Haszcara im Interview über Selbstliebe, Vorurteile, Süchte und „Nein“-sagen

Haszcara denkt viel darüber nach, warum die Welt so ist, wie sie ist. Zum Beispiel darüber, warum „Du bist schwul“ eine Punchline ist, aber „Du bist homophob“ nicht. Weil sie herausfinden wollte, wie weit sie bei einem Rap-Battle kommt, ohne sexistisch und homophob zu dissen, macht sie 2015 beim VBT mit – und kommt bis zur Zwischenrunde. Ein Jahr später disst sie das komplette Format, weil sie nicht zur „VBT Elite 2016“ zugelassen wurde.

Dass sie weder diese Plattform noch sonst irgendjemanden braucht, beweist die 23-Jährige, indem sie zwei Jahre später mit dem Debüt-Album „Polaris“ um die Ecke kommt, auf dem sie alleine und zu eigens produzierten Beats die Fahne hoch hält. Kritisch, differenziert und fast immer empirisch rappt sie über ihre persönlichen Probleme und Erfahrungen und stellt diese in den Bezug zu strukturellen Systemen in einer verdrehten Gesellschaft. Was genau ihr beim Schreiben zu fünf von der Redaktion ausgewählte Songs durch den Kopf gegangen ist, erzählt sie im Interview.


Die Welt ist so verrückt, dass Haszcara (rechts) und Krissi Kowsky (links) nur lachen können.

1. Worum geht es in „Nachtdepression“?

Ich gehe oft nachts spazieren, vor allem, wenn ich nicht schlafen kann. Zu dem Zeitpunkt ging es mir echt scheiße und ich dachte bei einem dieser Spaziergänge, dass ich nie wieder Texte schreiben kann. Dann setzte ich mich noch am selben Abend hin und begann, den Track zu schreiben. Ich habe sehr viel Zeit damit verbracht, mich selbst zu reflektieren und gemerkt, dass depressive Gefühle aber auch ganz viel Wut in mir stecken. Ich habe mich unfrei gefühlt und gemerkt, dass Freiheit bedeutet, Platz für sich selbst zu machen und zum Beispiel über die eigenen Witze zu lachen. Ich hab nie wirklich gelernt, selbstbestimmt zu handeln oder kritisch zu denken und bin damit ganz sicher nicht alleine. Sei es in der Schule oder in der Familie: Diese Eigenschaften lernt man dort nicht.

Zur Selbstbestimmung gehört auch, „Nein“ sagen zu können. In einer Line rappst du: „Ich dachte, dass mich keiner mag und dachte das kommt vom Nein-Sagen.“ Hast du lange zu allem immer „Ja“ gesagt?

Ja, habe ich. „Nein“ sagen ist sehr schwierig. Ich glaube gerade für Frauen, da Menschen, die „Nein“ sagen, schnell als zickig oder als Spaßbremsen wahrgenommen werden. Nein zu sagen ist aber total wichtig. Grenzen zu ziehen hat ganz viel mit dem Wert, den man sich selbst zuschreibt, zutun. Wenn man diesen Wert für sich definiert hat, ist es fast egal, was andere Menschen einem für einen Wert zuschreiben.

Gerade dem Genre Rap wird oft vorgeworfen, besonders sexistisch zu sein. Was glaubst du, woran das liegt?

Ich glaube das hängt damit zusammen, dass gerade im Rap Klischees oder Stereotype immer wieder reproduziert werden. Die Rapper, die erfolgreich in den Charts laufen, repräsentieren ein bestimmtes Bild von Männlichkeit durch Dinge wie Autos oder indem sie ihre Muskeln zeigen. Die materialistischen, immer wiederkehrenden Symbole stehen quasi übergreifend für die Eigenschaften, die eher dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden. Zum Beispiel: logisches Denken = Maschine, sprich: Auto. Das mag im Rap etwas extremer sein, kommt aber auch in anderen Genren vor.

Hast du das Gefühl, dass sich da aktuell etwas verändert? 

Ja, auf jeden Fall. Juicy Gay mit „Wasserpistole“ oder Danger Dans „Sand in die Augen“ sind gute Bespiele dafür. Allerdings kriegen davon nur Leuten etwas mit, die krass im Rap-Game drin sind. Die meisten, die Rap nur im Radio hören, kriegen das eher weniger mit.

In der Sexismus-Debatte wird die Frau meistens als Opfer und der Mann als Täter dargestellt. Für Männer ist es aber bestimmt auch gar nicht so leicht, dass ihnen suggeriert wird, sie dürften keine Gefühle zeigen und müssten immer hart sein. 

Voll! Sexismus betrifft alle Geschlechter und alle Menschen. Für viele Jugendliche sind Musiker die größten Vorbilder überhaupt. Wenn die dann sehen, wie Sex oder Männlichkeit aus der Sicht ihrer Vorbilder geht – frei nach Gzuzs „Wichs‘ ihr in die Fresse und frag‘ sie, wie’s schmeckt“ – kann es schwierig werden. Für Erwachsene mag das lustig sein und ja, geiler Reim, aber wenn nur eine Form von Männlichkeit gezeigt wird, macht es das für Jugendliche nicht unbedingt einfach, sich selber zu finden.

2. Worum geht es in „Lauter Rapper“?

Es geht um fehlende Authentizität. Als ich mal bei Rap am Mittwoch im Publikum saß, war ich echt schockiert, was für Leute da teilweise auf der Bühne waren. Der eine hat mich dann auch noch in seine Show mit einbezogen von wegen: „Ich klär mir die Süße aus der ersten Reihe“. Danach hab ich spontan mit einem anderen Zuschauer draußen gecyphert. Der war großer Finch Asozial-Fan und hat seine eigenen Texte vom Handy abgelesen. Die waren so schlecht und klangen eins zu eins wie Finch – nur noch schlechter gereimt, schlechter geflowt und unkreativer. Da hab ich richtig Bock bekommen, den allen einen rein zu drücken und sie alle zu dissen.

Mich flasht Rap vor allem, wenn die Performance gut ist. Juicy Gay ist zum Beispiel nicht schwul, macht seine Sache aber gut und ich sehe einen Sinn hinter dem, was er tut. Wenn aber ein 15-Jähriger auf der Bühne über Analsex rappt, finde ich das schwierig. Gzuz kaufe ich ab, dass er im Backstage Groupies bangt und damit habe ich, solange das einvernehmlich ist, auch gar kein Problem. Es nervt mich aber, wenn Leute einfach nur irgendwas nachplappern.