Hiob

rap.de: Du fühlst dich also nicht zum Klassenkämpfer berufen?

Hiob: Ich glaube, es ist sowieso eine logische Entwicklung. Der Kapitalismus, wie er jetzt ist, ich nenne es mal die plutokratische Diktatur, muss und wird gegen die Wand fahren. Wenn sich Geld und Macht immer mehr in den Händen immer weniger verteilt, gibt es irgendwann bürgerkriegsähnliche Zustände. Da muss ich weder etwas dagegen noch dafür tun. Ich habe auch ehrlich gesagt gar keinen Bock, dass es so kommt, ich glaube, dass es nicht lustig wird. Gerade für Leute wie mich, die nicht viel Asche haben. Die, die ihre Schäfchen im Trockenen haben, werden sich schon früh genug absetzen können. Deshalb muss ich da nicht auch noch Öl ins Feuer gießen. Ich sehe halt, dass es eine unumkehrbare Entwicklung ist.

rap.de: An eine Revolution oder daran, dass etwas Besseres kommen könnte, glaubst du nicht?

Hiob: Ich hoffe schon, das wäre natürlich toll. Meine Eltern gehören ja zu der Gruppe, die die DDR mit zu Fall gebracht hat. Mein Vater war Schriftsteller und wurde aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen, weil er damals gegen die Ausbürgerung von Biermann unterschrieben hat. Meine Mutter war Umweltschützerin – du hast halt für jeden Scheiß damals Stress gekriegt. Wenn du nur eine Unterschriftenaktion gemacht hast, war das schon ein Affront gegen den Staat. Denn das hätte die SED ja auch selber machen können.  Gut, ich will die beiden Zustände gar nicht vergleichen, die DDR war noch mal eine andere Geschichte. Obwohl ich manchmal auch denke, so weit auseinander ist es gar nicht. '89 wurden die ganzen Videokameras auf dem Alex abgebaut, jetzt, ein paar Jahre später, sind sie überall. Jedenfalls würde es mich freuen, wenn sich der gesunde Menschenverstand durchsetzen würde. Aber die Frage, die man sich immer wieder stellt, ist ja die, ob es das überhaupt wirklich gibt. Der Mensch wird ja immer als vernunftbegabtes Wesen betitelt…

rap.de: Begabt vielleicht schon. 

Hiob: Ja, ich bin auch begabt (lacht). Wäre schön, wenn alles ohne großartigen Krach und Blutvergießen über die Bühne gehen würde. Aber ich bin auch ein beschissener Pessimist, das kommt noch dazu.

rap.de: Um die Verfallserscheinungen unserer Kultur geht es in deiner Musik ja auch oft, das Wort Babylon fällt immer wieder.

Hiob: Naja, es ist ja so. Zusammenhalt gibt es ja nicht mehr wirklich. Das wird höchstens in den Medien suggeriert, ich erinnere mich da noch an diese wunderbare "Du bist Deutschland"-Kampagne. Es gibt kein Wir. Jeder versucht, das Beste für sich herauszuholen. Das ist eine ziemlich egoistische Geschichte. Und das ist schon ein Werteverfall. Wie die Gewalt heutzutage eskaliert – ich meine, Gewalt gab es in den 90ern auch, ich denke sogar, häufiger als heute. Heute wird es aber viel mehr übertrieben. Die Wedding Colony Boys – das waren richtige Gangs. Aber dass man aus völlig nichtigen Gründen jemand fast zu Tode tritt, das sind so Sachen, ich kann mich nicht erinnern, dass es das früher gab. Diese Abgeklärtheit schon von 16jährigen, die alles schon erlebt und alles schon mal gemacht haben, die auf alles scheißen. Ich habe auch auf vieles geschissen, aber ich habe nie auf alles geschissen. Ein grundlegendes Gerechtigkeitsempfinden habe ich mir immer bewahrt. Auf jemanden, der am Boden liegt, tritt man einfach nicht mehr ein. Einfach zu wissen, was gut und böse ist. Natürlich gibt es immer auch Grauzonen, wo man merkt, okay, ich habe Scheiße gebaut, da habe ich mich nicht richtig verhalten. Aber der Anspruch an sich selber sollte schon sein, dass man am Ende sagen kann, ich habe niemand anderem etwas angetan, was ich nicht will, dass man mir antut. Nach dieser Devise kann man natürlich nicht immer leben. Aber ich sehe, wie das nicht mal mehr als Grundsatz gefasst wird. Es wird einfach auf alles geschissen.

rap.de: HipHop galt lange auch als Gegenkultur zu diesem Egoismus und dieser Rücksichtslosigkeit. Hat es diese Funktion für dich immer noch oder hat HipHop versagt?

Hiob: Im amerikanischen Rap habe ich das, obwohl ich nicht immer alles verstanden habe, durchaus so empfunden. Im deutschen Rap allerdings war es glaube ich schon immer eher eine elitäre Sache. Deshalb war es auch wichtig, dass der ganze Streetrap kam, weil die Leute, für die Rap eigentlich gemacht ist, die, die nichts haben, dadurch eine bestimmte Würde bekommen haben. Deshalb hat es in den USA so gefruchtet: Auch wenn du aus dem Dreck kamst, konntest du trotzdem jemand sein. Diese Funktion hatte es am Anfang in Deutschland glaube ich nicht. Ich will jetzt nicht über die Biographien von den ganzen Oldschoolern urteilen. Aber es war ja schon eher die Mittelschicht. Deswegen war es wichtig, dass es Streetrap gab. Aber: Ich finde, es ist ein Problem, dass die einzelnen Sparten von Rap inzwischen gar nichts mehr miteinander zu tun haben. Jeder hat seinen eigenen Rap. Früher hat sich das mehr gemischt, auch die ganzen Ethnien, das spaltet sich heute alles immer mehr auf. Ich kann mich noch erinnern, du hattest in Berlin diese Backpack-Fraktion, die war auf denselben Jams wie die Araber-Fraktion.

rap.de: Es gab auch die Kaosloge, wo alle möglichen Fraktionen aufeinandertrafen.

Hiob: Genau, ein Schwarzer, ein Jude, ein Pole, ein Kurde… verstehste? Ich weiß nicht, ob das heute noch so klargehen würde. Es hat sich alles spezialisiert. Ich weiß auch gar nicht, ob das jetzt so schlimm ist. Aber dieses integrative und zusammenführende, was Rap mal hatte, hat es heute nicht mehr. Jeder kocht sein eigenes Süppchen.