Hiob

rap.de: Also siehst du dich schon als Chronist, der das Leben im Prenzlauer Berg dokumentiert?

Hiob: Das spielt auf dem neuen Album gar nicht mehr so die große Rolle. Natürlich gibt es noch solche Songs, die sind aber alle retrospektiv. Die beziehen sich dann auf das Leben in Prenzlauer Berg in den 90ern. Das war ja die Zeit, wo wir so abgegangen sind. Es gibt aber auch Themensongs, die nichts mit P-Berg zu tun haben. Ich kann mich damit nicht mehr großartig identifizieren. Die Welt, in der ich da groß geworden bin, existiert einfach nicht mehr. Deswegen wäre es auch albern, so zu tun, als wäre alles so geblieben, wie es war. Außerdem verklärt man im Nachhinein auch viel.
 

rap.de: Aber diese Welt besteht in deinen Texten dann doch trotzdem weiter.

Hiob: Ich habe eigentlich mit "99 Karrees" komplett mit diesem Thema abgeschlossen. Ich will einfach nicht mehr diese Gentrifizierungs-Debatte führen, das ist nicht mehr meine Realität. Ich habe vor fünf, sechs Jahren einen großen Teil meiner Zeit auf dem Land verbracht. Dann war ich oft in Leipzig, war auch viel unterwegs, auf Montage. Und wenn ich hierher zurückkam, dachte ich mir, wo bin ich hier gelandet? Es hatte nichts mehr mit der Welt zu tun, in der ich groß geworden bin. Stattdessen Studenten aus aller Welt, die hier Scheibe gespielt haben. Ist ja auch völlig in Ordnung. Ich habe hier mittlerweile meine Ruhe. Wenn ich dieses Berliner Streetlife haben wollen würde, würde ich nach Kreuzberg, Friedrichshain oder Neukölln ziehen, manchmal überlege ich mir auch, das zu tun. Aber ich lebe hier in P-Berg mittlerweile wie überall auf der Welt, ich könnte auch in Leipzig so leben. Ich habe mit meinen Nachbarn nichts zu tun, kann mich mit denen auch nicht identifizieren. Ich komme nach zehn Stunden Arbeit nach Hause, neben mir sind irgendwelche Appartment-Wohnungen, wo irgendwelche Porsches davor stehen, mit diesen Leuten wechselt man natürlich kein Wort. Die kucken einen an, als wäre man der letzte Asi, wenn man mit Farbklecksen auf der Kleidung von der Arbeit kommt. Aber ich habe trotzdem meine Ruhe. Gentrifizierung ist einfach nicht mehr mein Thema. Ich finde es auch albern, wie sich Leute heute noch darüber echauffieren, denn die Sache ist gelaufen, weißte?

rap.de: Aber tut es dir nicht manchmal doch noch irgendwo weh?

Hiob: Nee. Man nimmt irgendwann Abstand. Natürlich kotzt es einen an, aber nicht deshalb, weil es Prenzlauer Berg ist, sondern weil einen die Leute ankotzen. Mittlerweile ist es mir auch zu kleingeistig, auf einen Einzelnen, der da wohnt und durch seinen schwäbischen Akzent unangenehm auffällt, seine ganze Wut zu kanalisieren. Denn es geht ja um das große Ganze, das dahinter steckt und das es erst ermöglicht, dass eine Innenstadt entvölkert wird, zumindest, was die Leute betrifft, die nicht viel Kohle haben. Das ist ja überall gelaufen, nicht nur in Berlin. In Berlin kam es eben später, wegen der Mauer. Die Mauer hat aus der Innenstadt ja quasi die Vorstadt gemacht. Barcelona, London, Paris, New York… wenn man sich ankuckt, wie New York noch in den 70ern, 80ern aussah, das war ja eine entvölkerte Stadt, wo alle nach New Jersey ziehen wollten. Keiner wollte in der City leben.

rap.de: Viel zu gefährlich.

Hiob: Genau. Und deswegen… Ich bin auch nicht mehr so sehr dieser Lokalpatriot, der die Fahne für Berlin hochhält. Mein Gott, Berlin… klar, wenn man drei Wochen weg ist, freut man sich, wieder hier zu sein. Aber ich kann auch woanders wohnen und leben.

rap.de: Du scheinst ja sehr locker in dieser Hinsicht geworden zu sein, während andere sich gerade erst so richtig auf dieses Thema einschießen.

Hiob: Aber kuck mal, wir haben diese Probleme vor zehn Jahren schon thematisiert. Das ist halt wie gegen Windmühlen zu kämpfen. Vor allem kann man nicht diesen Krieg vor der Haustür austragen, indem man beim Café nebenan die Scheibe einwirft.
 

rap.de: Wobei du so etwas früher doch auch gemacht hast, oder?

Hiob: Vielleicht. Aber ich kann mir das auch von der Energie her nicht leisten, ständig meinen Kleinkrieg zu führen. Gegen Sachen, die komplett auf einem anderen Level ablaufen. Außerdem war man vor zehn Jahren einfach auch selbst in einer anderen Situation. Man war unter sich, unter Berlinern, der Feind, der Schwabe oder der Bayer, war ziemlich imaginär, man kannte ja keinen von denen. Mittlerweile kotzt die erste Generation Schwaben, die Mitte der Neunziger hierher kam, ja auch schon tierisch ab, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können und ihnen ein Townhouse direkt vors Fenster gebaut wird. Das sind ja auch Leute, die eine Familie haben und hustlen. Vielleicht ist es nicht derselbe Hustle, den ich in den 90ern hatte, aber ich kann die Motive der Leute durchaus nachvollziehen. Die hatten halt die Schnauze voll von Sindelfingen. Ich komme mit denen eigentlich auch ganz gut klar. Was die richtigen Bonzen machen, ist eine andere Geschichte.