Marc Reis: Für mich waren damals in der Schule die ersten zwei Reihen einfach nur Streber. Für mich war ganz klar, dass man immer hinten in der Ecke hockt und wenn der Lehrer guckt, dann wirft man ihm ein Lineal an den Kopf. Die ganze Klasse lacht und man ist der Clown. Das ist das, was für mich normal war. Das waren meine Heldenrollen, von denen ich dachte, das ist cool. Einfach, weil ich keinen Horizont hatte. Ich hatte auch keine Bildung, bis zu einem gewissen Grad.
Auch Neid und Wut auf die anderen, dass sie es können. Tief in einem ist es einfach Neid. Man ist neidisch, dass jemand vorne hockt und einfach alles in Mathe weiß und alles in Physik oder dass er schon in der siebenten Klasse sich anguckt und weiß, dass er Finanzberater wird, während du zu Hause hockst und einfach gar kein Plan vom Leben hast. Du willst einfach nur in den Tag leben und keine Verantwortung für nichts übernehmen – so war ich.
Ich kann es zeitlich nicht mehr ganz genau sagen, aber ich habe auch erst ganz spät mein erstes Buch gelesen.
Ich hab auch früher geredet wie ein Bauer. Mehr als „Fick dich!“ hast du gar nicht aus mir rausbekommen. Heute ist es so, dass ich auch Gespräche mit Fremden suche und wirklich probiere, meine Stellung klar zu machen. Wenn ich die Worte beim ersten Mal nicht finde, hole ich halt noch mal aus. Früher war mir sowas einfach nicht wichtig.
rap.de: Du hast dann irgendwann alles auf die Karte Musik gesetzt, das ist heutzutage nicht unbedingt die stärkste Karte. Was passiert, wenn es nicht klappt? Wir waren vorher auch beim Träumen, welche Träume hast du?
Marc Reis: Ich hab ja den großen Traum einfach so im Lotto zu gewinnen.
rap.de: Einer der realistischsten Träume.
Marc Reis: Ja genau. Deswegen spiele ich auch ab und zu Lotto. Ich bin da ganz realistisch: Ich hab so einen offenen Dreijahresplan und wenn der nicht fruchtet, dann werde ich weiterhin Musik machen, aber nicht mehr denken, dass ich davon leben könnte. Man sieht ja ganz schnell, ob ein Plan aufgeht oder nicht. Wenn es nicht aufgeht, werde ich arbeiten, ganz einfach. Dann werde ich mir irgendwas suchen, von dem ich denke, dass es cool ist und mit dem ich mich vereinbaren kann. Dann werde ich damit Geld verdienen und Musik einfach ehrenamtlich machen, wie es Streetworker machen.
rap.de: Könntest Du Dir tatsächlich vorstellen, Sozialarbeiter zu werden?
Marc Reis: Vielleicht bin ich dafür zu egoistisch. Vielleicht bin ich einfach der Meinung, dass jemand keine Hilfe braucht, um sich zu ändern.
rap.de: Glaubst du das wirklich? Hättest Du nicht Hilfe gebraucht?
Marc Reis: Das ist ja so die Sache. Es wäre vielleicht leichter gewesen, aber ich hab mich doch auch geändert ohne Hilfe. Wenn du Heroin nimmst und willst damit aufhören, dann musst du selbst damit aufhören, Heroin zu nehmen. Wenn du rückfällig wirst, wirst du rückfällig und nicht die Person, die neben dir hockt und sich das Zeug auch spritzt. Vielleicht bin ich dann in der Sache dann wiederum zu sehr Realist, um anderen zu helfen, weil ich mir ihr Gejammer nicht anhören kann.
Ich bin der Meinung, ich hatte selbst kein allzu leichtes Leben und ich hasse Leute, die jammern. Ich hasse Rapper, die wegen ihrer Verkäufe und der vielen illegalen Downloads jammern. Dann hört auf, Musik zu machen oder erschießt jeden, der downloadet. Mach irgendwas dagegen, aber ich mag dieses Jammern nicht. Ich glaub Leute, denen man hilft, jammern erstmal. Ich hab immer Scheiße gebaut, aber dafür gerade gestanden. Ich war immer zu den Konsequenzen bereit. Ich mag einfach nicht, wenn jemand Scheiße baut und einfach so tut, als wüsste er nicht, was ihn erwartet. Ich mag das nicht, wenn ich Dir ´ne Ohrfeige gebe und Du mir dann auch ins Gesicht schlägst, dass ich sag: „Wie kommt das jetzt? Wie ist denn das passiert? Warum hast Du zurückgeschlagen?“ Ich mag solche Menschen nicht. Ich weiß nicht, ob ich genug Herz oder Engagement dazu hätte, um denen zu helfen.