Marc Reis
Marc Reis: Das ist traurig, oder? Es gibt wahrscheinlich viele Gründe dafür. Erstens war es tatsächlich nicht so, dass ich es mir erlauben konnte oder meine Mutter sagen konnte, fahr in Urlaub. Meine Mutter ist viel, viel älter und die war noch nie irgendwo, außerhalb von Mannheim.
Ich finde das nicht verrückt, sondern wirklich traurig, dass man sich keinen Urlaub leisten kann oder dass man gar nicht in Erwägung zieht, dass man in den Urlaub geht. Dass man sich schon zufrieden gibt, mit allem, was man so um sich rum hat.
Das war bei mir genauso, aber HipHop hat mich einfach dazu gebracht, über meinen Schatten zu springen und wegzugehen und das war das Beste, was mir passieren konnte.
Marc Reis: Bestimmt, natürlich. Ich hab mich ja immer „Mannheims Eins“ genannt, alleine dadurch hab ich die Leute dort schon provoziert. Ich denke, es ist so aufgeteilt: Ein Teil will mich gar nicht rappen sehen für Mannheim, und die anderen nehmen mir übel, dass ich gegangen bin. Aber ich bin denen ja keine Rechenschaft schuldig, keinem einzigen dort. Ich mache, was ich machen möchte, und das mache ich einfach konsequent. Fertig. Mit den Folgen muss auch nur ich leben.
Klar ist da Feindseligkeit dabei! Für viele ist das einfach so ein unvorstellbarer Schritt – was macht der Sprachtot, Marc Reis, jetzt in Berlin? Macht er jetzt einen auf Berliner?
Ich hoffe, dass die Leute mit der Zeit einfach erwachsen werden oder so einen Blick dafür bekommen, dass man nur für sich selbst gerade stehen muss. Ich bin ja hier in Berlin und trotzdem Mannheimer. Ich bin kein Berliner oder so. Ich wohn hier gerne, alles schön und gut, aber ich weiß, woher ich komme.
Ich hab mich entschieden, HipHop zu machen, in die Öffentlichkeit zu treten. Ich muss damit leben, dass ein paar Leute mich bei jeder Gelegenheit ficken wollen. Der Punkt ist der: Ich bin 28, mich hat noch niemand gefickt. Ich bin weder sexuell missbraucht worden, noch hab ich ein Messer in meinen Bauch bekommen, noch fühle ich mich irgendwie unsicher.
Ich bringe jetzt ein Album raus, auf dem ich bestimmt zehn Mal Mannheim erwähne. Darauf könnten die eigentlich stolz sein, und das macht mich ein bisschen traurig. Andererseits: Wer hat erwartet, dass die Leute nach dem ersten oder zweiten Album gleich mit Dir feiern müssen? Vielleicht muss ich den Mannheimern mit dem zweiten, dem dritten, dem vierten, vielleicht auch erst mit dem sechsten Album beweisen, dass ich es wert bin, hinter mir zu stehen.
rap.de: Hat Dir das eigentlich wehgetan, dass Du Dich nicht mehr „Sprachtot“ nennen durftest?
Marc Reis: Ja. „No homo“ an dieser Stelle, aber das hat mir ein Stück Identität genommen. Das hört sich jetzt ganz blöd an, aber… Du machst irgendwie fünf Jahre als Sprachtot Musik, und irgendwann sagt jemand: „So, Du machst jetzt nicht mehr als Sprachtot Musik. Weil ich hab die Rechte an Deinem Namen. Entweder Du nennst Dich anders oder wir gehen in einen Rechtsstreit.“ (zögert)
Das tut schon weh, klar. Aber im Endeffekt war’s gut. Ich hab meinen Namen geändert und so nochmal Energie gefunden. Ich bin aus diesem Sumpf wieder aufgestiegen und laufe jetzt wieder. Das war eine Krise, die ich überwunden hab. Ist okay, passiert im Leben.
Marc Reis: Ich war hin- und hergerissen. Ich hab gedacht, dass ich nie mehr Musik machen kann, weil die meinen Namen geklaut haben. Ich wusste zuerst gar nicht, wie ich mich nennen sollte. Dann hockst Du da und denkst Dir: „Fuck it, Alter. Thema abhaken, willst Du weiter Musik machen?“ Antwort: „Ja.“ – „Unter welchem Namen?“ – „Marc Reis. Das ist mein Name.“ Fertig, los geht’s.