Marc Reis: Das hat sich einfach nicht ergeben. Firstlovemusic ist bislang ja eher eine Künstlerplattform. Das wird zu einem richtigen Label werden mit der Zeit, aber wir rennen jetzt nicht die ganze Zeit rum und sagen, das wir das neue Indie sind und den ganzen Markt überrollen. Da gibt es drei Künstler drauf: Philo, Pay und mich. Als ich mein Album gemacht habe, hatte ich einen Termin mit den Jungs und habe zu denen gesagt, dass ich gerne mit ihnen arbeiten würde. Wir hatten ja schon früher Kontakt, aber ich hatte mich eineinhalb Jahre lang nicht bei denen gemeldet und es hätte auch sein können, dass die sagen: „Fuck you!“ Das haben sie aber nicht gesagt, sondern: „Lass uns das noch mal gemeinsam aufziehen, aber wenn, dann richtig.“
rap.de: Hast Du den Bruch mit Mannheim und mit Deinem Freundeskreis mehr oder weniger mit Absicht herbeigeführt?
Marc Reis: Das stimmt nicht ganz. Ich habe ja meine Freunde noch, aber ich hätte gerne meine Freunde bei mir. Das steht aber wiederum im direkten Konflikt mit dem, was ich musikalisch erreichen will.
Meine richtigen Freunde haben ja auch nichts mit Rap zu tun. Das sind keine Rapper, keine Musiker, keine kunstversierten Leute. Ich bin der einzige, der so einen ausgeflippten Beruf ergriffen hat, wenn man das überhaupt einen Beruf nennen kann. Ich sag ja immer: Ehrenamtliche Tätigkeit.
Das tut mir weh. Wenn ich mit denen telefoniere und merke, ihr Kreis funktioniert dort immer weiter, aber ich bin kein Teil mehr davon. Aber Musik ist mir eben auch wichtig, vielleicht sogar noch wichtiger. Ich habe Musik gemacht, noch bevor ich Freunde hatte und ich werde Musik machen, auch wenn ich ganz alleine bin.
Mannheim ist eine wunderschöne Stadt und ich habe das auch jahrelang genossen, bis ich gemerkt habe, da geht noch mehr, außerhalb der Mauern.
Bis zum Alter von 23 war ich sehr stur und engstirnig und ich hatte ein paar Prinzipien, die ich nie durchbrochen hätte. Ich habe sogar Auftritte abgelehnt, die außerhalb von 50 Kilometern waren. Auch für Geld. Ich hatte einfach Angst, mein gewohntes Umfeld zu verlassen.
Ich kann mich noch an meinen ersten Auftritt außerhalb erinnern. Das war in Göttingen. Ich muss auch sagen, dass ich positive Erfahrungen gesammelt habe. Man lernt Leute kennen und dann kommt man nach Mannheim zurück und denkt: War gar nicht so schlimm, mal außerhalb zu sein. Mit so einem leichten Gänsehautgefühl.
rap.de: Wie? Und vorher warst Du noch nie außerhalb von Mannheim?
Marc Reis: Nein. Nie. War ich nicht.
rap.de: Du warst nie im Urlaub?
Marc Reis: Ne. Ich war nie im Urlaub, ich bin nie geflogen, ich war nie im Ausland. Ich war mal mit so einer Kindergruppe in Frankreich. Da wurde ich weggeschickt und hab auch richtig rebelliert. Den Weg dorthin habe ich gelöscht, der Aufenthalt dort ist in meinem Kopf gelöscht. Ich hab dort praktisch nichts gemacht, ich war einfach nur da und der Junge, der alle angespuckt hat und gesagt hat: „Ich hab keinen Bock auf Euch Wichser!“
Also ich kann behaupten, dass ich bis 20 nicht viel von der Welt gesehen hab, aber wir sind alle so. Mein bester Freund, der hat sich glaube ich ne seelische Narbe zugefügt, als er mich vor ein paar Monaten hier in Berlin besuchen gekommen ist. Ich meine, das sind Männer. Das sind selbständige Typen, aber wir sind halt unser Umfeld gewohnt.
Generell denke ich, dass Mannheim ’ne sehr harte Gegend ist für „nicht-weggehen-zu-wollen“. Es kann schon vorkommen, dass man in Mannheim Probleme bekommt, wenn man sagt: „Geh doch mal nach Dresden. Dresden ist auch schön.“ Da herrscht schon ein sehr großer Stadtpatriotismus, den ich bis zum Alter von 21, 22 auch krass vertreten habe. Ich habe gesagt: „Mannheim ist das Oberste und alles andere kann mich am Arsch lecken.“