Xavier Naidoo, Kool Savas und Freunde

"Ich schau nicht zurück und wenn ich’s tu, dann seh’ ich Glück" von Marcus Staiger 
 
Deutscher Hip Hop goes Schlager und alle gehen mit. Ein Abend voller hoffnungsvoller, zukunftsweisender Kopf-Hoch-Phrasen und 10.000 bis 15.000 Menschen kommen und feiern es. Was Kool Savas und Xavier Naidoo am Samstag Abend in der Berliner o2 World (und am Freitag Abend in Hamburg) auf die Beine gestellt haben, war fantastisch. Knapp drei Stunden lang wechselten sich die unterschiedlichsten Künstler aus dem deutschen RnB, Soul und Hip Hop Bereich ab und?… es funktionierte. Das visionäre Konzept des Mannheimers ging tatsächlich auf und heraus kam ein wirkliches Get-Together-Peace-Love and Unity-Happening. 
 
 
Das Publikum, bunt gemischt und eher fixiert auf Adel Tawil’s "Sternenstaub", nahm die anwesenden Rapper Azad, Sido, Marteria und Kool Savas mit offenen Armen in Empfang und man kann fast schon von einer triumphalen Heimkehr des verlorenen Sohns sprechen, wenn man objektiv feststellen muss, dass die Stimmung beim Auftritt von Savas am ausgelassensten war.
 
 
Der Gedanke, dass Freunde hier auf der Bühne stehen, Freunde die sich untereinander kennen und miteinander arbeiten, wurde durch das Konzept der Überblendung verdeutlicht. Mit einer ausgeklügelten "Künstler-Kette" schlängelte sich der Abend von Highlight zu Highlight und so beendete jeder Musiker oder Musikerin seinen oder ihren Auftritt mit einem Stück, bei dem der darauffolgende Künstler mitmachte. Insofern gaben sich die Akteure tatsächlich das Mic in die Hand und durch die ständige Präsenz einer Liveband  gab es keine Umbaupausen, keine Lücken und keine Warterei. Der Abend flutschte so richtig gut durch und es war wirklich keine Sekunde langweilig, ernsthaft! 
 
 
Da alle Künstler nur für ein bis drei Lieder auf der Bühne waren, spielten sie in dieser Zeit natürlich auch nur ihre allergrößten Hits, was dann ordentlich knallte und das Publikum begeisterte. Schade, dass Savas in diesem Zusammenhang auf "Schwule Rapper" verzichtete, weil wir nämlich glauben, dass das noch zu ganz anderen Reaktionen geführt hätte. Solche Ausrutscher waren aber aufgrund der massiven Anwesenheit von Eltern mit Kind wahrscheinlich nicht durchführbar. 
 
Überhaupt Kinder. Mindestens vier der auftretenden Künstler betonten, dass "heute Abend" ihre eigenen Kinder auch im Saal waren und sido führte zu hysterischen Lachkrämpfen bei den Damen vor uns, als er seinen Sohn grüßte, mit den Worten "Papa hat Dich lieb, Alta!".
 
 
Die Tochter von Azad war zwar nicht da, aber anscheinend so präsent im Kopf des Rappers, dass dieser seinen Text vergaß und einen richtigen Hänger hatte. Dafür entschuldigte sich der Frankfurter viele tausend mal und das Publikum sah es ihm nach und feierte die sympathische Faust des Nordwestens. Azad passte übrigens sehr gut ins Gesamtbild des Abends und es war wenig zu spüren von Beton-Klassik und Kanaken Rap, als er zwar harte Rhymes ins Mikrofon spuckte, die aber von den hoffnungsvollen Chören von Adel Tawil und Cassandra Steen aufgelockert wurden. Da dachte man sich: "Gut, das könnte funktionieren. Vielleicht ist es genau das, was die Leute wollen. Ein bisschen Schmerz, Ein bisschen Leid und ganz, ganz viel Hoffnung."
 
 
Auch Kool Savas schlug in diese Kerbe als er Xavier auf die Bühne bat, um mit diesem gemeinsam einen extra für diesen Abend geschriebenen Song zu performen. Da hieß es in der Anmoderation auch, dass man nicht immer auf die Scheißzeit in der Vergangenheit zurück blicken und die Negativität zurück lassen sollte und die Frau mit den kurzen, blond gefärbten Haaren, schräg hinter uns, boxte die Faust in die Luft und schrie laut: "Jawoll". Offensichtlich hatte diese gerade eine solche Scheißzeit hinter sich und sie nickte mehrmals bestimmt mit dem Kopf, als Xavier die Zeilen des Refrains sang: "Ich schau nicht zurück und wenn ich’s tu, dann seh ich Glück" usw, usf.
 
Dieser Pathos kam an und löste wahre Begeisterungsstürme aus und es ist nicht böse gemeint, wenn man feststellen muss: Das ist schlicht und ergreifend Schlagermusik. Ganz einfach Schlagermusik. 
 
Derjenige, der das wohl schon länger erkannt zu haben scheint, war Jan Delay, der sein Stück "Johnny" mit den Worten "einige von Euch kennen den nächsten Schlager vielleicht" ankündigte und der dann fast das gesamte Publikum dazu brachte, "Schals, Tücher, BHs oder kleine Kinder" in der Luft zu drehen, wie ein Hubschrauber. Von oben besehen sah das mal wieder klasse aus, auch wenn der Dandy selbst ein paar Probleme mit seinem Swag hatte. Sein Einstecktuch wollte und wollte nicht an seinem Platz bleiben und fiel ständig zu Boden.
 
 
Die musikalische Klammer des ganzen Abends setzten aber Die Söhne Mannheims die gleich zu Beginn auftraten und auch die allerletzte Zugabe spielten. Ein sichtlich bewegter Xavier Naidoo verabschiedete sich vom Publikum und zeigte sich überwältigt vom Erfolg des Abends, an den wahrscheinlich nur sehr Wenige geglaubt haben. Aber wer ein Publikum hat, das zu zwei Dritteln laut "Ich" schreit, auf die Frage "Wer geht hier seinen eigenen Weg?", der kann alles erreichen, wirklich. Der kann auch Berge versetzen. 
 
Insofern haben wir am Samstag Abend tatsächlich so etwas wie die Zukunft der deutschen Rap Musik gesehen. Ein herzliches Miteinander unterschiedlichster Ansätze Schwarzer Musik auf Deutsch. Denn eines darf man nicht vergessen, die Beats waren natürlich nicht Volksmusik, im Gegensatz zu den Texten. Die Beats waren Black Music, was ja auch ein Grundgedanke von "Wir BEATEN mehr" war, und anscheinend ist es genau diese Mischung, die funktioniert. Insofern, let’s go, homie und vielleicht kriegen wir ja auch noch mal Wolfgang Petry aus dem Keller, damit er gemeinsam mit Snaga und Pillath "Wir sind das Ruhrgebiet" performt. Alles ist möglich und nach diesem Abend glauben wir definitiv an alles, auch an das.