rap.de: Diese Ayla sticht ja aus ihrer gesamten Welt heraus und überall ist sie eine Fremde. Ihre Eltern verstehen sie nicht. Wie vielen jungen Türken geht es so wie Ayla?
Sila: Dass die Eltern in einer anderen Welt leben, so geht es ganz vielen. Viele Eltern, sind hierher gekommen aus einer komplett anderen Welt. Ganz andere Kultur, die sind ganz anders sozialisiert worden.
Gerade türkische Kinder, deren Eltern nicht Deutsch sprechen und sich nicht eingefunden haben und ihren Kulturkreis innerhalb ihrer eigenen vier Wände bewahren, die verstehen das da draußen gar nicht. Und die Kids sehen sich draußen in einer Außenseiterposition und handeln draußen komplett anders, als zu hause. Da sind sie dann wirklich eine komplett andere Person.
Ich meine jetzt sind wir in der dritten Generation, jetzt müssten sich die Eltern eigentlich schon sich öffnen und sich deutsch fühlen und die Kinder mehr integrieren.
rap.de: woran liegt es aber, dass die zweite Generation, die jetzt Eltern wird, sich nicht zu Hause fühlt?
Sila: Die erste Generation, die hierher gekommen sind, das sind jetzt nicht unbedingt die Gebildetsten gewesen. Die sind auch hierher gekommen und haben immer gedacht, wir gehen zurück. Die haben ihren Kindern auch nie das Gefühl vermittelt, wir bleiben hier, das ist Euer Zuhause und so weiter. Ich glaube aber auch, dass es mit dem deutschen Staat zutun hatte, dass man nicht wirklich angenommen worden ist.
Guck mal. Da kommt so ein Erdogan und gibt den ganzen Türken hier Ratschläge wie: "Assimiliert Euch nicht und WIR Türken!“, und alle Jubeln. Dabei ist Erdogan wirklich nicht besonders toll. Aber die denken alle, endlich hat uns jemand mal ein "Wir Gefühl“ gegeben. Dabei müsste einfach Deutschland diesen Leuten ein "Wir Gefühl“ geben und sagen: "Ey ihr seid Deutsche. Ihr gehört zu uns, ihr seid UNSERE Kinder!“
Das passiert alles nur deshalb weil hier niemand ist, der diese Leute in die Arme nimmt. Dann kommt noch so ein Sarrazin und dann fühlt man sich automatisch wieder in dieser Außenseiterposition und sucht sich eben das, was man hat. Dabei hat man eigentlich gar nichts, weil wenn man in der Türkei ist, dann ist man nämlich wieder genauso der Außenseiter.
rap.de: Wie viele Aylas gibt es?
Sila: Ich glaube, es gibt schon mehr Aylas als generell gesehen wird. Sex jetzt mal außen vor. Es gibt schon mehr junge Mädchen, die sich als Deutsche fühlen, die aufs Gymnasium gehen und all das. Aber ganz ehrlich, ist es in der BILD interessant, wenn dann da steht, da ist ein ganz normaler Türke, der geht zur Uni. Punkt.
Wenn die was sehen wollen, dann wollen die immer das Ehrenmordmädchen sehen, die Opferrolle.
rap.de: Sind die Ehrenmorde die Ausnahmen?
Sila: Natürlich sind Ehrenmorde eine Ausnahme, aber dass Mädchen in solchen Familienstrukturen leben, die Ehrenmorde möglich machen, das ist nicht die Ausnahme.
Ich bin aber auch nicht die einzige, der es so geht, ich hab Tausende türkische Mädchen und Jungs-Freunde, die mit mir sehr wohl zu Curry36 gehen. Die gehen mit mir zur Uni, die dürfen, wann sie wollen einen Freund haben, die dürfen jeden Beruf machen, den sie machen wollen, aber das wird halt nicht so öffentlich thematisiert. Das ist halt nicht so spektakulär. Da muss man dann schon etwas radikaler sein und…
rap.de: … sagen, ich ficke 50jährige kahlköpfige Männer mit Hängebauch.
Sila: Ja ist leider läppsch, aber ist halt so. die Medien sind leider oberflächlich und dumm.
rap.de: In der Geschichte wird ja auch ganz gut rausgearbeitet, wie schwierig das ist, eine gute Schülerin zu sein, wenn dein ganzes Umfeld kaputt ist und dich nach unten zieht. Rechtsradikale Deutsche und rückwärtsgewandte Ausländer. Wie schwer ist es tatsächlich?
Sila: Es ist schwer, aber ich hatte schon mehrere bei mir in der Straße. Ich glaube wir waren drei oder vier, die aufs Gymnasium gegangen sind. Na gut. Drei oder vier von 200 sind nicht wirklich viel. Der Rest war alles Hauptschule. Früher war das ja so, Muttersprache nicht deutsch, dann Hauptschule. Im Gymnasium waren alle Deutschen und in der Hauptschule waren die Türken.
Ja es war schwer. Ich war bei mir in der Klasse die einzige Türkin und ich habe mir immer gedacht: "Boah, eigentlich will ich gar nicht türkisch sein. Es ist voll abturn. Türkischsein ist etwas, was voll negativ ist.“ Meine Freundinnen wollten nicht mit mir in die Straße, weil die sagen, die Straße sei asozial und die wohnen da alle in ihren schönen Einfamilienhäusern und du bist irgendwie alleine…
Das Eisbein kommt
Sila: Oh wow.
Kellenrin: Jaja. Ich hoffe Sie wissen, was Eisbein ist. (lacht)
Sila: Natürlich. Danke. Es wird bestimmt super schmecken.
rap.de: Also ehrlich gesagt, das essen wirklich viele Deutsche nicht mal.
Sila: Schmeckt aber wirklich super. Das Fleisch ist ganz zart. Perfekt. Aber weiter zum Thema. Ich war ja auch Hauptschule eingestuft. Meine Eltern haben aber gesagt: Nein. unsere Tochter wird es schaffen und die kommt aufs Gymnasium.
Hätte ich meine Eltern nicht gehabt, wäre ich wie jeder andere gewesen. Manche Eltern kennen noch nicht mal den Unterschied zwischen Hauptschule und Realschule. Wenn sich die Eltern dafür einsetzen, dann würden die das auch schaffen.
