Marteria

Marteria – bekannt geworden durch sein kiffendes Alter Ego Marsimoto, Ex-Fußballspieler, Ex-Model und die deutsche Stimme von Jesus. Was sich erst mal liest wie die unglaubliche Erfolgsgeschichte eines Jungen aus der Nord-Ost-Deutschen Provinz geriet in den letzten Jahren irgendwie zu einer Karriere im Wartezustand, oder wie heißt es so schön im Eröffnungstrack "Endboss" vom neuen Album "Zum Glück in die Zukunft": "Nichts hat so richtig geklappt".
Doch die Stoßrichtung ist klar. Das Ziel heißt: "Nächstes Level geschafft" und mit den Krauts im Rücken als Produzententeam ist Marteria ein Album gelungen, das in dieser Form wahrscheinlich einzigartig ist im Deutschen Hip Hop 2010.
In einem sehr persönlichen Gespräch sprachen wir über Trennungsschmerzen, spirituelle Erfahrungen im Drogenrausch und über die Hartnäckigkeit, die man braucht, um künstlerisch zur Hochform auflaufen zu können.          

rap.de: Wenn man das Album so hört, dann denkt man, du bist durch eine harte Zeit gegangen. Ist das richtig?

Marteria: Ja. Also in vielen Punkten auf jeden Fall! Klar, man musste ja viel einstecken und viel anders machen, als es eigentlich geplant war und dann ist es halt auch extrem hart und nervig, wenn dein Kind irgendwie nicht da ist und man, versucht eine Musikkarriere zu starten, die Frau diese Kariere aber nicht akzeptiert. Dann stehst du vor der Frage: Machst du das jetzt, oder haust du jetzt ab und lässt das alles liegen? Im Endeffekt hab ich mich dann entschieden das nicht zu machen, sondern es weiter durchzuziehen, weil der Plan ja von Anfang an war, in Berlin zu bleiben. Da muss man dann eben hinnehmen, dass man dafür bei anderen Sachen verkackt hat. Ich würde auch nicht ruhig schlafen können, würde ich irgendwo im Footlocker in Rostock arbeiten.

rap.de: Aber sie hat dich doch als Künstler kennen gelernt?

Marteria: Klar, aber im Endeffekt ist es halt schwer, wenn das Kind auf der Welt ist und der Mann dann Freitags bis Sonntags weg ist, weil irgendwo Auftritte sind. Dann steht er ja auch nicht ganz entspannt und ausgeschlafen am Sonntagabend wieder vor der Tür. Gerade in der Anfangsphase, wenn das Kind sehr klein ist und man sehr viel Zeit braucht und wenig Schlaf hat, ist es halt nicht wirklich angenehm. Ich versteh es ja auch komplett, dass sie wieder nach Rostock gezogen ist, weil da die Omas sind, weil das Wetter geil ist, da ein Strand ist und meine Mutter da wohnt. Das Umfeld ist perfekt und viel geiler, als in der Falkensteinstraße, Ecke Schlesisches Tor, zu wohnen, was halt für so ein kleines Kind, das gerade erst geboren wurde, nicht SO angenehm sein könnte. Da ist es viel zu laut und hektisch.
Im Endeffekt habe ich dann aber hier die Arschkarte und da muss man sein Ego schon zurückschrauben und sagen: Ok man fährt da halt hin und versucht halt da, wenn man mal ein paar Tage Zeit hat, soviel Zeit und soviel gute Momente mit seinem Sohn zu verbringen. Das ist halt schwer, aber man denkt ja auch immer, dass alles besser wird. Dass es später dann geiler wird und man hofft natürlich, dass sie dann bald wieder kommt und dann vielleicht mal mit ihrem neuen Superfreund meinetwegen gerne wieder irgendwo hier in der Stadt wohnt. Dass man sich das teilen könnte, wäre natürlich das absolute Optimum.

rap.de: War sie denn ein bisschen deine Traumfrau?

Marteria: Nee, also wir haben uns schon geliebt, am Anfang auf jeden Fall, aber dann waren da einfach viel zu viele Sachen, die nicht gepasst haben. Und wenn man dann ein Kind hat, dann sieht man eh etwas anderes, denn sie hat dann ja einen Platz, sie ist dann ja die Mutter und sie wird immer einen Platz haben. Das ist dann aber einfach nicht mehr als "Beziehung“ zu sehen, weil es halt einfach vorbei ist. Damit muss man leben. Man weiß ja auch nicht, was noch kommt. Es kann ja auch passieren, dass in den nächsten drei, vier Jahren noch mal jemand vor deiner Tür steht und sagt: "Hallo.. Zwei blaue Striche auf den Tests!“ Kann ja immer sein, also das weißt du ja nicht!
Es war ja auch nicht so, dass wir gesagt haben: "Wir kriegen jetzt ein Kind".

War ja dann auch irgendwie ein Unfall, wo man sich für ja oder nein entscheidet. Im Endeffekt haben wir als Männer da sowieso das große Glück, da total raus zu sein und diese Entscheidung nicht mit treffen zu können. Ich muss ja selbst entscheiden, ob ich sechs Monate mit einem dicken Bauch rum renne, keine Luft mehr kriege und keine Treppen steigen kann und nachts um vier Käsewürfel essen will.Wenn da dann deine Frau heulend vor dir steht und fragt: "Ja oder nein?“, dann sagst du halt: "Ja, klar, ja wir schaffen das!“. Im Nachhinein sagt man sich dann: Ok, das war eigentlich die falsche Zeit, aber es ist natürlich auch super, wenn man weiß, dass man da halt jemanden hat und alles. Aber ich glaube ja, heutzutage entstehen viele Kinder so.

rap.de: Hat dich das als Künstler gereift?

Marteria: Hm, natürlich… Ja sicherlich, also es hat mich von den Alben oder der Musik die man halt macht, in all den Jahren sehr auf etwas fokussiert, was für diese Platte sehr "nah“ ist. Es ist halt eine Platte von einem 27-jährigen Typen, nicht von einem 20- oder 40-Jährigen. Ich hatte gleichzeitig ja auch sehr viele positive und negative Sachen. Auf der einen Seite das Superhotel, auf der anderen Seite das 1,60€-die-Woche-für-ein-Toastbrot-Leben. Man reift dadurch, ohne dass man währenddessen reif war. Es ist halt eine andere Platte, als wenn es eine Marsimoto-Scheibe mit 30 Songs übers Kiffen geworden wäre, wo man 22, 23 war. Wo man studiert hat, wo alles egal war, wo man keine Freundin hatte und man gerne mal gekifft und Rotwein gesoffen hat, obwohl man das eigentlich gar nicht wollte. Einfach nur, weil diese ganzen bescheuerten Schauspieler halt gerne kiffen.

Jetzt aber ist es ganz anders und es gibt ja auch nichts schlimmeres, als eine Platte zu wiederholen oder das gleiche zu machen. Ich mache jetzt sehr straight und direkt Songs über Themen aus meinem Umfeld. Ob ich an den Kudamm fahre und reiche Russinnen sehe, oder ob ich nicht pennen kann, weil 500 Spanier am Schlesischen Tor rumlaufen und Teile fressen. Das ist dann das Leben, was man sieht und gerne als Musik hören würde. Wo ich dann selber sagen würde, dass es ein guter Song ist. Das ist dann für mich auch zeitlos, weil ich es ja selbst geschrieben habe und es genau mein Gefühl getroffen hat. Ohne, dass ich dann bei jedem Song das Wort "Seele“ und das Wort "Träne“ und das Wort "Blut“ benutzen muss. Ich glaube, man muss nicht über Gefühle reden, um sie zu zeigen und das ist eben, was diese Platte ausmacht. 

rap.de: Man muss also nicht die Worte "Gefühle“, "Trauer“ und "Schmerz“ benutzen, um Schmerz, Trauer oder Gefühl auszudrücken.

Marteria: Ganz genau, und das ist halt auch etwas, was man der so Platte anhört.

rap.de: Da wo viel auf der Verpackung draufsteht, ist ja selten was drin. Warum nur 12 Songs? Gab’s nicht mehr, oder…

Marteria: Doch es gab drei mehr. Es gab 15 Songs oder so, aber dann hab ich halt geguckt was passen könnte. Ich wollte von Anfang an wenige Songs machen und meine Grenze war 14. Aber die Songs die ich noch hatte, die haben mir nicht diesen Vibe gegeben, dass ich die immer wieder hören wollte, auch wenn es ein guter Song ist, oder so. Ich wollte einfach Songs machen, die ich immer cool finde, die lange für mich halten können. Wenn eine Platte gut ist, dann hörst du sie eh immer wieder und du holst dir deine Songs raus, die die du gerne hörst und eigentlich sind 12 Songs auch gar nicht so wenig. Hip Hop hat natürlich viel Scheiße gebaut in Sachen viele Songs, so dass ich sogar bei einem Drake, der halt einen super Hype hat, ab dem neunten Song einfach nicht mehr weiterhöre, weil es sich dann für mich wiederholt.

Man setzt sich ja nicht hin und sagt: "Ich mach jetzt einen Classic oder ich mach jetzt das neue Illmatic“ oder so was. Oder RAG, die halt zehn Songs hatten und dann sieben Jahre gewartet haben und dann noch mal zehn Songs hatten. Ich find den Gedanken von einem Klassiker ganz spannend. Wo du dann sagst: Es ist deine Platte und es ist dir scheißegal, ob die anderen da draußen sehen, dass es ein Klassiker ist. Es muss für DICH ja ein Klassiker sein. Ich kann einen "Marteria Girl“ Song nicht noch einmal machen, weil es ihn nur einmal geben kann. Allein schon wegen der Wortspielerei oder dem Songnamen. Auch über meinen Sohn wird es da nicht mehr geben, weil er da halt so drauf ist, wie er ist! Wenn man so was für sich macht, ist man ja auch selber sehr berührt und hat etwas sehr Persönliches geschaffen. Das finde ich halt spannender, als da jetzt irgendwie auf diesen Computer-mit-Party-Track, Frauentrack und Bitches-Boom-Knopf zu drücken. Das ist halt noch nie das gewesen, was ich gemacht habe.

rap.de: Wie viel Angst hast du davor, bloßgestellt zu werden?

Marteria: Hm, gar keine. Also bloßgestellt werden bedeutet ja, sich auf Albumlänge auszuheulen und das tun wir gar nicht auf dem Album. Wenn man sich nicht ausheult und nicht in irgendeine Schublade reindrängen lässt, dann kann man nicht bloßgestellt werden. Dann ist man frei und hat den Freifahrtschein und das ist halt dann irgendwie relativ egal.

rap.de: Also es gibt diese eine Stelle aus "Louis“, wo es heißt, "Er kommt wie sein Vater viel zu früh“. Ist natürlich auch ein Witz, aber ist das nicht irgendwo sich selbst Schellen zu geben?

Marteria: Ja, wobei sich selbst Schellen zu geben ist auch was Großes. Leute, von denen ich Musik gehört hat, die auch einen gewissen Humor haben und sich selbst Schellen geben…. Das ist eins der spannendsten Elemente im Hip Hop. Das ist was, was mich berührt und das macht den Künstler mehr zugänglich, ohne dass man jetzt sehr nahbar und für alle der Kumpel ist.
Das sollten wir auch nicht als Künstler sein.  Wenn man jung anfängt, dann ist das so und so und umso älter man wird, desto unnahbarer wird man und kann sagen, dass man Künstler ist. "Ich muss und ich bin keiner mehr von dir und deinen Bongkiffern“. Das zu betonen ist auch wichtig und dementsprechend ist die Musik auch ein Medium, in dem man selbst ironisch ist.
Für mich ist das ein fester Bestandteil, sonst geht das Interessante an der Musik verloren. Die komplette Facette des lächerlich Machens verliert die gesamte Farbe.

rap.de: Welche Farben sind denn noch da auf deinem Album? Also was willst du noch abdecken?

Marteria: Auf jeden Fall ist die Platte sehr düster. Sie ist schon irgendwie witzig, aber nicht nach dem Motto "Ich mach jetzt einen Witz“, sondern es ist sarkastisch oder bitterer Humor. Wobei Humor ja immer das ist, was man selbst empfindet. Gibt ja auch genügend Leute, die sich gegen viele Sachen wehren und sagen: "Oh die ganzen scheiß Berghain-Elektrowichser-Drogennehmer“. Ich wehre mich aber nicht dagegen, weil ich oft genug ein Teil davon bin.
Ich würde die Stadt halt nicht so feiern, wenn man das nicht so miterleben würde. Ich finde es einfach sehr wichtig, sich alles anzugucken, in einer Subkultur zu sein und – um auf die Farben zurückzukommen – dort gibt es halt einfach so viele Farben, die dir um die Ohren ballern. Dort ist so viel dunkel und so viel hell. Das sieht man auf den Straßen, wenn man abhängt wo wir wohnen und leben. Die Farben die man dann nachts sieht, sind dann halt das Album. Das ist dann kein pink – okay, vielleicht die Hosen der Spanier –, sondern eher dunkel und hell und dieses Gegenspiel von Licht. Vom Grundtenor her ist es auf jeden Fall kein fröhliches, leichtes Album.

rap.de: Du beschreibst mythologische Orte des modernen Menschen.

Marteria: Du hast Recht, es sind auf jeden Fall die Impressionen eines 27-Jährigen und was der in den letzten zwei Jahren gesehen hat. Viele die das gehört haben, sagen dass man sich identifizieren kann mit den Themen. Man kann das nachvollziehen und sich hinein versetzen und das ist der Unterschied zu vielen anderen Rappern. Da höre ich einen Song, den ich lustig oder nicht lustig finden den ich gut oder schlecht finde. Aber dieses hineinversetzen, das ist eine Sache, die ich geil und wichtig finde. Das kannst du nicht mit Themen im kleinen Spektrum wie beispielsweise Marsimoto machen, sondern da musst du Themen haben, von denen du weißt: Das geht vielen anderen so.
Natürlich erleiden viele Schlaflosigkeit. Natürlich gibt es viele, die sich mit Sachen rumquälen und das irgendwie ausgleichen wollen. Das ist halt so. Und ich komm da nicht mit dem Zeigefinger und sag "Das ist so und so!“, sondern ich bin halt 27 und ich hab noch nicht das Recht, mit dem Zeigefinger zu kommen und andere zu belehren. Ich will keine Musik machen, in der ich sage: "Ich bin total geil“. Das können andere machen. Natürlich macht mir  das total Spaß, aber würde ich das machen, wäre ich nicht gut darin. Weil es halt einfach fünf oder zehn andere gibt, die besser in diesem "Ich bin der Geilste und fick euch alle“ sind.

Das ist halt wie mit der Schauspielerei. Damals hab ich auch gemerkt, als ich einen Penner spielen musste, der am Kotti rumhängt: Es gibt in meiner Schauspielklasse andere, die wirklich mal am Kotti rumgehangen haben und das dementsprechend besser spielen können, weil mein Leben halt einfach anders war. Mein Leben bestand aus Sport und normalem Mittelstand – und nicht aus Kotti. Dementsprechend ist meine Rolle eine ganz andere. Man sollte sich stets darauf besinnen, was man am besten kann und wo die Stärken liegen.

Als Beispiel: Wenn so ein Nate oder Haftbefehl da rappen, dann macht mir das Spaß, das zu hören und es gibt mir ein gutes Gefühl. Aber es ist einfach wichtig, dass man seine Sicht zeigt. Leute wie Xatar feiern meine Musik ja auch. Da soll man auf keinen Fall rausbrechen, um irgendwo aufzuspringen. Die wirklich gute, lang anhaltende, erfolgreiche Musik ist authentisch.

rap.de: Hast du den Eindruck, dass du auf den alten Platten dieses Prinzip nicht verfolgt hast, dass du jemand sein wolltest, der du nicht bist?

Marteria: Es gab nur eine Marteria-Platte. "Base Ventura“ war okay. Im Nachhinein sag ich: Es gab vielleicht fünf Song, die nicht cool waren, die nicht drauf gemusst hätten. Aber das ist so ein typisches HipHop-Phänomen, was man am Anfang der Karriere hat, dass man sich selbst abfeiert. Also haut man also alles raus, es gab nie einen Song, der nicht draufkam und man hat nicht darauf geachtet, konzeptionell zu sein und einen roten Faden zu haben. Man hatte einfach Bock auf Mucke, so Liveband-mäßig. Das war quasi Freestyle. Die ersten Scheiben sind Freestyle, außer der ersten Marsi-Scheibe. Die hatte halt wiederum diesen "30 Songs übers Kiffen aus allen Perspektiven“-Vibe und dementsprechend war das cool und hat mir einen großen Zugang gegeben. Das war ja nicht Marteria, das hat ja Marsimoto geschafft, indem Peter Fox gesagt hat: "Das ist geil!“ und Jan Delay mich mit auf Tour genommen hat. Dass ich da mit diesen Kiffersongs vor 5000 Leuten stehen konnte, das hat ja Marsi geschafft.

Aber man war da sehr unkonsequent. Ich glaube selbst, das zieht sich so bei ganz vielen Künstler durch, wenn man sich alte Platten anhört. Diese Inkonsequenz hat Spaß gemacht, aber umso weiter man kommt, desto mehr geht das zurück. Ich konnte das halt nicht machen, weil das gar nicht geht, wenn man Themen vertonen will, die einen wirklich berühren. Deswegen hat diese Platte so lange gedauert. Es hat 2,5 Jahre gedauert, alle Beats zu arrangieren, bis ich vollkommen glücklich damit bin. Hätten wir das vor einem Jahr rausgebracht, hätten wir wieder denselben Fehler gemacht. Und nach dem Bundesvision Songcontest eine Platte rauszubringen, was sicherlich ein Label sehr gerne gesehen hätte, wo man auf Knopfdruck hätte was machen müssen, das wäre der größte Fehler meines Lebens gewesen. Danach bist du einfach weg.

Man hat nur wenige Chancen. Die, die man hat, sollte man gerade heutzutage, wenn man industriell Aufmerksamkeit bekommt, nutzen. Egal wie oft das Label und die Manager einem auf den Sack gehen, muss man standhaft bleiben und erst dann veröffentlichen, wenn die Platte wirklich fertig ist. Wenn es zwei Jahre dauert, dann dauert das so lange. Wenn es fünf Jahre dauert, dann ist es halt so. Natürlich gibt es auch die Künstler, die das einfach können, wobei dann oft nur drei, vier Songs von der Platte gut sind.

rap.de: Fühlt sich das so an, als hätte man künstlerisch mit der Platte ziemlich viel erreicht? Was würdest du wirtschaftlich gerne noch sehen?

Marteria: Es  wäre natürlich super wenn die Leute einfach die Platte hören. Wirtschaftlich sehen ist immer bei mir extrem zweitrangig und extrem untergeordnet, weil man immer was machen kann, was irgendwie Spaß macht. Es wäre natürlich super, wenn man davon lebt, Songs zu schreiben und zu rappen. Das war immer so meine Konstante, egal was ich sonst im Leben gemacht habe. Dementsprechend ist es logisch und auch schön da jetzt drin zu sein und die Krauts zu haben für eine Platte. Die haben nach dem "Stadtaffen“- und Miss Platnum-Erfolg tausend andere Sachen abgelehnt, um meine Platte zu machen, weil sie das gut finden und daran glauben. Das macht mich stolz, aber ich weiß auch, dass ich nicht nur eine sondern fünf Stufen überspringen muss, um da oben mitzuhalten.

Die alten Sachen haben ja Dead Rabbit und Robot Koch produziert und die Krauts sind dann halt Fans von den Beats gewesen, fanden das geil, dass sich da was getraut wird und man auf gewisse Sachen achtet, die cool sind. Was bei so einem Hip Hop Standart-Beat mit diesem Synthi-Geplärre halt nicht mehr stattfindet.
Bei  dieser Platte ist es halt so, dass die auch raufgucken und sagen "Ey das muss so und so sein, das und das gefällt uns nicht oder muss anders gemacht werden“. Das ist dann Teamwork. Wie bescheuert wäre man eigentlich, wenn man nicht drauf hören würde? Ich habe ja deswegen meine Identität und meinen Sound nicht komplett verändert. Es sind immer noch die Amys Weinhaus‚, immer noch die Kate Moskaus und immer noch diese verfrickelten Wortspielsachen, von irgendwelchen Vorstellungen, irgendwelchen Bildern, die man irgendwie aufsammelt. Könnte auch ein Marsimoto-Thema sein. "Amys Weinhaus“, wo Männer, harte Männer, die immer krass sein müssen, hingehen und Geld bezahlen, dann in so einen Mottoraum kommen und dort eine Frau auf der Couch sitzt, bei der du dich ausheulen kannst.

rap.de: Was ist das jetzt genau für ein Ort, den du da beschreibst?

Marteria: Das ist natürlich ein Puff (lacht)! Natürlich im Endeffekt nichts weiter als ein Bordell.

rap.de: Aber es ist im Endeffekt auch so was, wie ein alter, griechischer Tempel.

Marteria: Es ist auch so was wie ein alter, griechischer Tempel, man hat da auf jeden Fall ein Bild drin und das ist halt das Entscheidende. Am Anfang fand ich es auch richtig geil, so ein Haus zu haben, mit so Mottoräumen, wo man so was machen könnte, die so eingerichtet sind und wo man einfach so… abfucken kann und dafür Geld bezahlt. In dem man einfach der guten, alten Amy seine ganzen Probleme erzählt und man die Thematik des Songs da irgendwie loswerden kann. Männer brauchen ja ein Ventil, wenn sie immer hart sind. Alle brauchen das! Manche gehen halt boxen und andere machen Karate oder so, manche gehen Angeln aber alle brauchen irgendwas. Männer sind sehr gefährdet bei solchen Sachen und werden irgendwann depressiv und binden sich den Strick… Aber im Endeffekt ist es halt schon einfach nur ein Bordell, denk ich mal.

rap.de: Also wäre das vielleicht auch was für Männer, die nicht zum Psychoanalytiker gehen, weil ihnen das zu schwul ist?

Marteria: Auf jeden Fall! (lacht) Kann doch auch mal eine Hip Hop Platte dabei rauskommen, ist doch auch mal geil! Es wird ja auch nicht gesagt "Alles ist scheiße, dies und das“ aber es ist soviel deep… ness… schlimmes Wort, eigentlich. Also, das Album ist sehr deep. Aber du gehst nicht am Ende des Albums raus und sagst dir "Oh scheiße“ und das ist halt das, was ich bei einem guten Song wichtig finde. Wie bei "Veronal“, da denkt man über den Tod nach, geht auf Geburtstage, bei denen Leute 40 und nicht mehr 20 werden. Dann musst du aber aus so einem Song nicht rausgehen und sagen "Ja, wir werden älter und sterben“, nein, du musst rausgehen und sagen "Feier das doch einfach! Feier diese Epochen und all die ganze Scheiße die passiert!" Auch wenn man jetzt noch nicht 1000 Sachen erlebt hat, wie manche andere, die vier Kinder und damit Stress haben, oder die ganz viele beschissene Sachen in ihrem Leben erlebt haben. Es geht ja nicht nur um irgendwelche kompletten Opfer, die diese Platte feiern können, viele Leute haben Probleme. Aber am Ende musst du aus so einem Song rauskommen und denken "Ja!“, finde ich. Es muss immer ein "YEAH!“ sein! Und das ist halt, was ich ganz geil finde und was wichtig ist.

rap.de: Glaubst du den Menschen fehlt Religion? Das sind alles sehr spirituelle Themen, die du da beschreibst.

Marteria: Hm ja. Also Religion würde ihnen wahrscheinlich fehlen, um so ein Gefühl zu haben, dass man besser lebt. Aber damit bescheißt man sich auch extrem.

rap.de: Und wenn man Drogen nimmt nicht?

Marteria: Warum bescheißt man sich damit? Ist doch eine ganz normale Weiterentwicklung der Welt, dass Leute heutzutage feiern und mit jedem Ryan Air-Flugzeug 250 neue Spanier kommen, die sich in Neukölln eine Fünfer-WG einrichten, um hier einfach abzufeiern. Die Menschen sind halt einfach so, dass sie nehmen, was da ist.  Im Osten gab’s zum Beispiel keine Drogen oder so, da konnte man eben auch keine nehmen.

rap.de: Aber auch keine Religion! (lacht)

Marteria: Na ja schon, war nur nicht so angesehen. Aber ich glaube, Religion ist ja auch extrem "ich verstecke mich hinter etwas“. So ein kompletter Mantel und ich kenn so viele Leute, die…

rap.de: Und das sind Drogen nicht?

Marteria: Hm ja, ich bin jetzt auch nicht der große Drogenfan, also man muss sich halt immer ein Highlight im Leben setzen. Manchmal kann man das auf Koks und manchmal eben nicht auf Koks, manchmal kann man komplett darauf scheißen. Ich finde jedenfalls, man sollte es nicht ausschließen. Ich finde, man sollte das nicht in Schubladen stecken. Koks ist das neue kiffen auf jeden Fall. Aber es ist natürlich viel teurer als Kiffen und deswegen auch nicht machbar. Dann geht das halt natürlich in billigere Sachen und du fängst an mit Speed und schon wird’s scheiße. Man macht sich damit kaputt und erwischt sich selber, wie man merkt, das wird nicht richtig gut. Man kann halt probieren, sich gewisse Sachen vorzunehmen. Ich will zum Beispiel mit 30 mit dem Rauchen aufhören.

Auf der anderen Seite sind diese ganzen Einflüsse extrem gut zum Musik machen. Um geile Themen zu haben und die zu verarbeiten. Wenn ich den ganzen Tag schwimmen gehen und Fitness machen würde, dann wäre das Album wieder extrem… Wobei es ja auch Leute gibt, die den ganzen Tag Fitness machen… Die machen ja auch Alben! (lacht) Aber das ist nicht meine Welt. Die Deutschen, oder die deutschsprachigen Menschen brauchen einfach einen guten Text und finden es cool, wenn Sachen erzählt werden, worin sie sich einfach irgendwo wiederfinden. Das find ich halt auch immer geil, wenn man das auch schafft. Nur ist das halt nicht immer happy und super, sondern auch mal… böse.

rap.de: Aber du würdest es auch unterschreiben. Also so ein ruhiges, glückliches Leben…

Marteria: Das merkt man doch einfach selbst, wenn du Texte schreibst. Du merkst es ja, wenn du einen Song schreibst, der ein persönlicher Song ist. Über dein Kind, wo du dann aus der Sicht einer Samenzelle, wie bei mir halt, schreibst, wo sie sich dann durch den Bauch fightet bis die anderen nicht mehr da sind, was ja auch eine andere Herangehensweise an einen Song ist, als andere es bei diesem Thema machen würden.
Man merkt halt beim Schreiben, wie man an vielen Stellen kämpfen muss oder wie man überlegt: "Wie krieg ich das Bild am besten hin, damit es die Situation am besten beschreibt?“ Dann merkst du natürlich, dass solche Songs einfach krasser und emotionaler sind und es ist halt auch ein anderes Gefühl, so was zu schreiben.

rap.de: Wie sieht die Hoffnung auf das Marteria-Girl aus? Ist das nicht gestorben, mit dem Ende der alten Beziehung? Wie sieht denn die Traumfrau aus?

Marteria: Die gibt’s nicht! Das ist eine Sache, die ich auch akzeptiert habe. Dass es nur funktioniert, wenn man die Schwächen der anderen akzeptiert und vermindert, indem man darüber redet und sagt, wenn jemand schmatzt. (Gelächter) Man muss aber auch lernen, über diese kleinen Schwächen hinwegzusehen und dann vielleicht noch cool genug sein, um die Schwächen zu feiern. Also das, was einem an der Beziehung so schwer fällt. Dass man sagt: "Ey, das war total bescheuert und du kennst die Hauptstadt von Niedersachsen nicht, was mich ankotzt.“ Also meine zwei Fragen an Frauen sind: "Sag mir alle 16 Bundesländer mit allen Hauptstädten“ und "Zu welchem Land gehört Grönland?“. Das sind meine beiden Fragen. Ich kann einfach nicht davon ausgehen, dass das alle wissen, aber ich bin halt sehr an Geographie interessiert und finde, man sollte einfach wenigstens wissen, dass es 16 Bundesländer gibt und was die Hauptstädte davon sind. Das sollte man auch als Frau wissen. Wenn ich eine Frau frage, zu welchem Land gehört Grönland und die Antwort "Rügen“ ist, weiß ich von vornherein, das wird halt nichts. So.

rap.de: Fällt dir das manchmal während dem Sex ein, dass sie das nicht wusste?

Marteria: Ja. Es würde die ganze Zeit gehen "Rügen, Rügen, Rügen“ und das würde halt nicht funktionieren. Das ist auf jeden Fall eine Schwäche, wegen der es total schwierig ist, eine Beziehung zu führen. Wenn man sich da an Kleinigkeiten so festhält.

rap.de: Vögelst du gerne intelligente Frauen?

Marteria: Ja, das ist auf jeden Fall sexy. Es darf aber nicht verkopft sein. Das Problem bei intelligenten Frauen ist, dass sie so verkopft sind und das ist auf der anderen Seite dann wieder beschissen. Da wünscht man sich dann eben eine Frau, bei der es nicht so ist, die nicht immer fragt und alles analytisch betrachten muss. Auf der einen Seite ist es ein totaler Segen, wenn du mit einer Frau über intelligente, wichtige, coole Sachen reden kannst, die dir selbst Spaß machen. Für mich wäre es bei einer Frau auch ein absoluter Pluspunkt, wenn ich mit ihr beispielsweise über Fußball sprechen kann. Auf der anderen Seite wird dann aber so viel nachgedacht…

Das ist ja auch Sternzeichen-abhängig. Frauen sind da teilweise so verkopft, hinterfragen immer alles und glauben, dass sie schuld an einer Sache sind, an der wir eigentlich immer schuld sind. Weil wir immer von so viel Scheiße abgelenkt sind, dass wir denken, das kann eh nichts werden. Man muss lernen, Sachen zu akzeptieren. Dass sie nicht weiß, dass Grönland zu Dänemark gehört, muss man cool finden. Wenn man das akzeptiert, kann das klappen.

rap.de: Welches Sternzeichen bist du?

Marteria: Schütze. Ein sehr gutes Sternzeichen, übrigens. Man passt mit viel mehr zusammen als andere. Ich hatte ja auch schon Beziehungen. Eine 5-Jahres-Beziehung, eine 3-Jahres-Beziehung mit Kind… Jetzt habe ich halt seit zweieinhalb Jahren keine wirkliche Beziehung und das fühlt sich auch gar nicht so wirklich schlecht an. Wenn es kommt, dann kommt es eben wieder, aber es ist auch nicht leicht, wenn man so was macht. Ich kann auch Frauen verstehen, die nicht unbedingt mit einem Rapper zusammen sein wollen. Ich kann mir auch was besseres vorstellen, als mit jemandem zusammen zu sein, der auf irgendwelchen Festivals rumeiert, das ganze Wochenende weg ist und die ganze Zeit nur irgendwelche Texte im Kopf hat. Egal wie sehr man sich vertraut, man denkt doch immer, dass da irgendwas geht. Fünfhundert Groupies warten vor dem Backstage und so eine Scheiße.

Dann hab ich mir überlegt: Ok, dann brauche ich eine Freundin aus dieser Richtung, die eben auch Musik macht oder Designerin ist. Da geht einem aber auch ganz schnell ganz viel auf den Sack und deshalb suche ich mir lieber eine normale Frau, die das alles akzeptiert und cool ist. Man ist aber auch nicht auf der Suche, das bringt auch gar nichts. Es wird sowieso irgendwann wieder passieren und dann wird es auch irgendwann wieder zu Ende sein. Das ist einfach was, was die heutige Zeit bringt: Dass man ganz schnell weg sein kann. Früher konnte man das nicht, heute reicht eine Facebook-Nachricht und schon ist es wieder vorbei. Das war ja auch immer schon bei MySpace so. Erst warst du auf Platz Eins der Topfriend-Liste und wenn du zwei Wochen später viel weiter unten warst, hatte man halt einen krassen Streit.

rap.de: War das früher schon so, dass du viel akzeptieren konntest? Das Wort taucht bei dir ganz oft auf.

Marteria: Das Ding ist, dass ich ja versuche, zu akzeptieren. Aber ich tue es nicht wirklich. Ich entwickle mich ja erst dahin. Ich denke ja so, dementsprechend sollte ich das auch machen. Man ist aber irgendwie trotzdem so, dass man krampfhaft nach Fehlern sucht. Ohne dass man es will, sucht man nach Dingen, die die Partnerschaft verhindern könnten. Das ist aber auch eine Sache, die sich mit dem Älter werden ändert. Dass man nicht mehr Lust hat, immer Weg zu rennen, sondern auch mal schön zusammen mit seiner Frau oder Freundin zu wohnen, wo andere Sachen einfach wichtiger sind. Im Moment feiern wir das Leben einfach noch ab, das wir in diesem Kiez leben.
Man hält es aber nicht ewig aus, wenn man wie wir mitten in diesem Moloch wohnt. Vielleicht bin ich auch irgendwann einer von denen, die jetzt vor dem Kaiser’s sitzen. Das geht ganz fix. Das kommt irgendwie immer mehr, dass man entspannter leben möchte. Man hat immer so viel Action und so viel zu tun… Wenn man am Wochenende zwei Auftritte hat, muss man in der Woche nicht auch noch dreimal weggehen. Irgendwann macht dich das kaputt. Gibt es noch Fragen?

rap.de: Ja, eine noch. Ist "Verstrahlt“ eine Ode an Kokain?

Marteria: Auch. Aber das ist alles sehr schlimm. (lacht) Es kann eigentlich alles sein. Es kann sich ja auch an eine Frau richten.

rap.de: Gut, dann sind wir fertig. Vielen Dank.