Creutzfeld&Jakob

Ganze sieben Jahre ist es her, dass die beiden Wittener ihr zweites und letztes Album "Zwei Mann Gegen Den Rest" veröffentlichten, trotzdem wird nach wie vor aufgehorcht, wenn der Name "Creutzfeld & Jakob" fällt. Insbesondere im Westen der Rapublik ziehen Flipstar und Lakman trotz Mangel an neuem Material immer noch die Massen an und treten regelmäßig bei Großereignissen, wie der Bonner Rheinkultur  Festival auf. Kein Wunder, schließlich zählt ihr Track "Fehdehandschuh" samt Savas-Feature und "Clockwork Orange"-Sample zu den deutschen Hip Hop Hymnen überhaupt. Dementsprechend gefreut haben wir uns auch, als die beiden Herren nach längerer Zeit mal wieder in der Hauptstadt zu Besuch waren und haben sie natürlich sofort zum Gespräch gebeten. Herausgekommen ist dabei ein definitiv interressantes Interview über Witten, Flipstars Zusammenarbeit mit Bushido,  die Planbarkeit von kommerziellem Erfolg und warum Flipstar sein Geld nicht mit Musik verdienen will.  Die Fotos stammen übrigens aus dem persönlichen Tour-Fotoalben der beiden Rap-Heroen. In diesem Sinne: "Schreit ‚Aight‘, wenn ihr bereit seid."

rap.de: Wie kann man sich Witten vorstellen?

Flipstar: Witten ist halt unsere Heimat. Eine bessere Version von Berlin, nur in ganz klein. Eine Attraktion ist die Zwiebelkirmes. Die findet Anfang September statt, dauert ein paar Tage und da treffen sich die Leute mit einem Zwiebelsack auf dem Rücken und rennen so eine bestimmte Strecke, um Mädels zu imponieren. Back Country Style. Ansonsten…. Witten ist sicherlich eine Geburtsstätte des deutschen Rap. Das macht Witten schon besonders.

rap.de: Wie sieht denn eine Jugend in Witten aus?

Flipstar: Die sieht so aus wie eine übliche: Größer werden, älter werden, Freunde, Freundinnen, Schule, das Leben, all diese Sachen. Das ist ne schwierige Frage, denn meine Jugend war sehr verschieden, sehr bunt.

rap.de: Dann gibt es aber Leute, die werden Bankangestellte irgendwann und Leute, die machen Rap.

Flipstar: Es gibt ja nicht nur Bankangestellte und Rapper. Wir sind ja ganz normale Leute und keine extremen Stereotypen. Vieles vermischt sich in unserem Leben, wir machen halt nicht nur HipHop. Ich hab ja einen Job, der mich eigentlich voll einnimmt. Ich hab mir als Jugendlicher überlegt diesen Weg zu gehen. Aber ich mach trotzdem weiter Musik, weil das ein Teil meines Lebens ist, seit 15 Jahren. Ich kann ja gar nicht anders. Deshalb sitz ich auch seit fünf Jahren an einem Soloalbum. Und das überschneidet sich alles, die Musik und unsere Jobs, die Erfahrungen spielen gegenseitig ins jeweils andere rein. Ich glaube das schließt sich nicht aus, das sind beides sehr lehrreiche Wege, manchmal kreuzen sie sich auch.

rap.de: So ein Medizinstudium ist ja nun aber etwas sehr Zeitaufwendiges, das dauert auch relativ lange. Warst du nie an dem Punkt, wo du dich entscheiden musstest?

Flipstar: Nee, ich hab beides immer gut unter einen Hut bekommen. Weil mir beides viel bedeutet, konnte ich beides weitermachen. Das eine mach ich jetzt neun oder zehn Jahre und das andere seit ich Kind, also so 13, 14 bin. Ich find das jetzt auch nicht so außergewöhnlich. Bei mir ist das halt so. Und es gibt noch ein, zwei andere Sachen die mir einfallen würden, die ich gerne machen würde. Aber ich denke, ich habe jetzt einen ziemlich schön ausgefüllten Tag. Obwohl, klar, wenn ich nur Musik machte, hätten wir wahrscheinlich schon ein drittes Album veröffentlicht. Insofern habe ich mich schon entschieden an einem Punkt.

rap.de: Es gibt halt auch viele Leute, die ihre Musik zu ihrem alleinigen Beruf machen wollen. Und dann trifft man die zehn Jahre später wieder und die leben von Hartz IV, weil es mit Musik nicht geklappt hat. Insofern ist das ungewöhnlich.

Flipstar: Na ja, aber da kenn ich niemanden. Ich glaube, je nachdem wie ernsthaft man was betreibt, muss das Ende nicht so aussehen, aber ich wusste immer, dass ich nicht nur Musik machen werde. Ich möchte nicht in den Zwang kommen, mit Musik meinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen. Das habe ich bei einigen erlebt und das hat mir nicht gefallen. Aber  beides gibt mir viel, ich möchte auf keins der beiden verzichten. Obwohl ich natürlich zu 99,9 %  meinem Beruf nachgehe – zeitlich gesehen. Aber vieles was ich durch unsere gemeinsame Musiklaufbahn gelernt und erfahren habe fließt ja auch darin ein. Das ist vielleicht das ungewöhnliche.

rap.de: Habt ihr das Gefühl, dass die Leute auf eure Songs immer noch genau so abgehen wie früher?

Flipstar: Ja, auf jeden Fall. Also das ist zwar natürlich immer unterschiedlich. Das kommt auf den Abend, einen selbst und die Location an. Aber prinzipiell gibt’s immer noch Gänsehaut-Moment wie am Anfang unserer Karriere. Es gibt ja auch neue Leute, die alte Songs wiederentdecken. Zwar immer seltener, weil die Musik sehr schnelllebig ist, aber prinzipiell gibt’s immer wieder viele Überraschungen und solche Moment. Manchmal sogar öfter, weil wir jetzt selten spielen und da ist es halt was besonderes, sowohl für uns, als auch für die Zuschauer. Ich glaube die Leute sind fasziniert von der Welt des old-school Rap. Zumindest von dieser Live Atmosphäre. Wir spielen zwar nicht mehr viele Gigs, aber die wenigen sind dafür meistens was ganz besonderes.

rap.de: "Fehdehandschuh“ ist ja mittlerweile schon eine Deutschrap-Hymne, die eigentlich jeder kennt. Wenn man so einen Song aufnimmt, weiß man in dem Moment, was man damit ins Rollen bringt?

Flipstar: Bei dem Song gar nicht, weil wir den eigentlich auf einen anderen Beat aufgenommen haben. Dann ist der DJ von Too Strong, Funky Chris, angekommen und hat angefangen zu mischen und ist mit der neuen Version des Beats angekommen, also der mit dem Sample von Clockwork Orange. Ich fand das im ersten Moment gar nicht gut, weil ich halt was anderes erwartet habe und dachte erst so "Mhh, Okay“. Aber er hat sich dann halt durchgesetzt. Wenn ich jetzt andere krasse Hip Hop Hymnen höre, "Nas Is Like“ oder "Code Of The Streets“ von Gang Starr, dann glaube ich schon, dass die Leute wussten, das wird ein Hit. Aber bei "Fehdehandschuh“ war das nicht so, da habe ich das nicht erwartet.

rap.de: Stört das eigentlich, wenn man auftritt und weiß, dass die Leute vor allem auf diesen einen Song warten?
 
Flipstar: Nee, gar nicht. Das ist ja eigentlich das Schöne. Ich find’s halt cooler, wenn die Leute die Songs kennen und da auch die Texte mitrappen können.

Lakman: Wir haben ja allgemein weder mit dem Erfolg von dem Song, noch mit dem vom ersten Album gerechnet. Wenn wir das davor gewusst hätten, hätten wir das Album selbst raus gebracht.

Flipstar: Wobei ich das im Nachhinein gar nicht so sehen würde. Wir waren ja schon sehr froh bei Put Tha Needle und Peter Sreckovic zu sein. Das war das Beste für uns. Das war das Label. wo alle hinwollten.

Lakman: Eigentlich wollten wir weg, nachdem Savas seinen Deal platzen ließ. Der Übernahmedeal von Peter war ja daran gekoppelt, dass er in so und so viel Jahren so und so viele Alben rausbringen muss. Aber aufgrund unserer Beziehung zu Peter haben wir dann gesagt: Okay. Wir bringen noch ein Album über euch heraus, wenngleich wir auf Konfrontationskurs und unter Zeitdruck waren. Nichtsdestotrotz: Wenn es heute ein Label wie Put Tha Needle gäbe, würde man sich darüber freuen. Für uns war das eine schöne Zeit.

rap.de: Es gab mal dieses Interview von euch mit Falk, in dem ihr über Universal gesprochen habt. Danach wurdet ihr raus geschmissen. War das euer Plan?

Flipstar: Nein, das auf keinen Fall. Im Nachhinein hat keiner von uns damit gerechnet, dass das so Wellen schlagen würde. Wir haben uns nur über bestimmte Sachen geärgert, die aus unserer Perspektive nicht sonderlich gut gelaufen sind und das haben wir dann gesagt. Danach wurde der Vertrag aufgelöst beziehungsweise uns fristlos gekündigt. Ich glaube einen Tag später haben wir tatsächlich einen Anruf bekommen, wo es hieß, alle seien sauer auf uns. Und zwei Tage später hieß es dann, der Vertrag sei beendet. Aber wir waren jetzt auch nicht total traurig darüber. Im Nachhinein ärgere ich mich darüber, dass wir nicht direkt mit Peter weitergearbeitet haben. Aber so ist das Leben. Man muss seine Lektionen lernen.

rap.de: Universal hat gesehen, dass euer erstes Album funktioniert hat und dachte, mit euch lässt sich jetzt groß Geld verdienen. Kann man Erfolg planen?

Flipstar: Im Musikgeschäft kann man das in einem gewissen Rahmen bestimmt. Ich glaube, der Erfolg des ersten Albums war nicht zu planen. Das ist einfach passiert. Weil die Umstände so waren und auch die Marktsituation nun mal so war. Die Leute haben das gewollt, es gab wenige Bands damals und das hat sich irgendwie potenziert. Ich glaube aber das hängt viel von Zufällen ab. Trotzdem: Ein Label, das gut arbeitet, kann da eine Menge in die Richtung bewegen. Es gibt aber auch immer wieder Beispiele für total krasse Flops. Wo das Album vielleicht sogar gut ist und man sich denkt: Warum war das so ein Flop? Man kann das nicht wirklich planen, aber man kann hart darauf hinarbeiten, dass es klappt. Gruß an Elvir. Der macht seine Sache, von der Business Seite, sehr gut. Der arbeitet sehr hart und konsequent.

Lakman: In unserem Fall konnte man das vielleicht nicht so planen wie es Leute heutzutage tun. Wir kommen aus einer anderen Zeit. Heute ist der Antrieb bei Rappern, Tracks zu machen, viel höher, das passiert viel frequentierter. Bei uns war es so, dass wir damals zwei Alben aufgenommen haben und davor haben wir Verträge unterschrieben, die uns Vorschüsse zugesichert haben. Danach haben wir das Album angefangen. Die Leute wussten, sie geben dir das Geld und du kannst damit arbeiten, ein Studio aufbauen und so weiter. Ich weiß nicht, wie man das beschreiben soll. Das war ein Oldschool-Märchen. Es gab ganz viele Leute, die das so gemacht haben. Vorschuss kassiert, Vertrag unterschrieben, Studio gebaut. Vielleicht war das das einzig planbare Ding gewesen, dass wir gesagt haben: Wir machen einen Verlagsdeal, wir sichern uns ab mit Verträgen. Das kannst du in einer gewissen Art planen, aber du kannst nicht voraussehen, wie Musik zu einer gewissen Zeit bei den Leuten ankommt.

rap.de: Ist es mittlerweile nicht mehr so?

Lakman: Wir hatten vorhin auf der Zugfahrt das Thema und sind zu dem Punkt gekommen, dass im Zuge der Globalisierung alles viel komplizierter geworden ist. Auf der einen Seite ist das gut, auf der anderen schlecht. Heute ist dieses Youtube-Ding ja eigentlich echt cool. Da stöbert man rum, findet Sachen, hört sie sich an. Das waren früher Gründe, um in den Plattenladen zu gehen. Du hast dir alles besorgt, weil es das halt nicht auf’m Bildschirm gab. Früher war das alles irgendwie überschaubarer.

rap.de: Fühlt ihr euch fehl am Platz?

Lakman: Nee, weder auf Party fühlen wir uns fehl am Platz, noch empfinden wir das für unsere Songs so. Ich hab letztens noch eine schöne Line gebracht: "Ich geh mal ans Mic, wenn es den Leuten was bedeutet“. Bei uns in der Umgebung, da wo wir Musik machen, da wo die Leute unseren Mikrokosmos mitkriegen, haben wir immer noch eine gewisse Relevanz. Unabhängig davon, dass wir seit acht Jahren nichts veröffentlicht haben. Wir sind Leute, die was erreicht haben mit Musik und es gibt immer noch das Phänomen, dass sich Leute damit identifizieren. Wenn Leute aus Witten auf ihre Herkunft angesprochen werden, dann fällt oft unser Name. Mess & Kareem haben jetzt auch ein Album rausgebracht, dass sind die Gewinner der Jamsession. Das ist schon mal schön. Die tragen genau die gleiche Fackel und haben die gleiche musikalische Ausbildung. Bei uns im Ruhrpott machen wir uns keine Gedanken um unser Standing.

rap.de: Wenn ihr jetzt releasen würdet, würde das komplett anders klingen?

Flipstar: Bei allem was man macht, wird man beeinflusst von dem, was um einen herum ist. Da spielen so viele Einflüsse eine Rolle. Von der Musik, die man hört, von den Leute, die einen umgeben, was die hören, dem Musikgeschmack deiner Freundin und so weiter. Wenn wir jetzt ein Album machen würden, würde das ganz anders klingen, klar.

rap.de: Wie?

Flipstar: (beatboxt) So.

Lakman: Vielleicht haben wir uns die Hörner schon abgestoßen an Rap. Es würde wahrscheinlich so klingen, dass ich mich nach dem Hören besser fühle als davor. Nach der Musik, die mich glücklich macht.

rap.de: Würdet ihr auch neue Leute mitnehmen zu eurer Tour?

Lakman: Machen wir ja auch. Mess & Kareem zum Beispiel. Wir tauschen uns gegeneinander aus. Es war auch nie so, dass wir immer nur Leute aus unserer Stadt mitziehen wollten. Bei uns haben wir immer skillsorientiert geguckt und wenn die cool waren, dann haben wir die genommen. Guck mal, ich habe dieses Morlockk Dilemma-Shirt. Das Ding ist, der ist 500km entfernt, aber das findet man trotzdem gut. Ich glaube das Musikphänomen lässt sich einerseits auf lokale Künstler beziehen, aber andererseits ist das ein Flavor, der regionsunabhängig ist. Ob das jetzt in Kassel ist, oder auf einer Jam in Berlin oder im Ruhrpott.

rap.de: Flipstar, du hast 2003, 2004 mit Bushido zusammen gearbeitet.

Flipstar: Ja, wir haben ein oder zwei Songs gemacht. Da war er in einem Wochenende bei uns und ich bin danach mit Elvir nach Berlin gefahren. Ich muss ehrlich sagen: Das erste Album, "Vom Bordstein Bis Zur Skyline“, fand ich faszinierend. Was er da als Charakter repräsentiert hat, fand ich neu- und einzigartig. Und dann hab ich halt gesagt: Lass einen Song aufnehmen. Damals habe ich auch nie gedacht, dass er so erfolgreich wird. Wir waren zwei Underground-Leute, die sich über Musik ausgetauscht und zwei Songs gemacht haben. Danach ist er ja erst erfolgreich geworden.

rap.de: Wie ist der Kontakt zu Stande gekommen?

Flipstar: Weiß ich gar nicht mehr genau, das ist schon so lange her. Damals habe ich ja mit Elvir zusammen gewohnt und dann haben wir eben mal paar Wochenenden im Studio gesessen und zusammen was gemacht. Dann kam das alles mit Universal und den Verträgen und in dem Rahmen ist der Song von uns dann irgendwie auch rausgefallen, was ja auch nicht schlimm war. Und dann … ja, die Entwicklung kennt ja jeder. Kann man auch geteilter Meinung sein, wie man das findet.

rap.de: Abschließende Frage. Glaubt ihr nach all der Zeit noch an deutschen Hip Hop?

Lakman: Ja, klar glauben wir dran. Wobei das die einzige Frage ist, die den Leuten noch einfällt.

Flipstar: Wir glauben an Gott, HipHop…. machen wir einfach. Und die Welt ist ne bessere, wenn das auch noch ein paar andere tun.

rap.de: Vielen Dank für das Gespräch.