Media College on Tour

„Okay wir machen das hier zwar nur im Schnelldurchlauf, aber ich muss echt sagen ihr seid die Geilsten. Ihr habt von allen Stationen die besten Ideen. Ihr seid echt die Geilsten. Welches Bild würde eurer Meinung nach denn noch passen?“ Wer hier spricht?: Martin Persiel, freier Regisseur und angeworben beim sogenannten O2 Media College. Wo?: In einem Raum der Jugendeinrichtung Eastend Berlin in Hellersdorf. Zu wem?: Zu einer Gruppe von 10 Jugendlichen, verschiedenen Alters, die sich hier eingefunden haben um gemeinsam eine Videoidee für die neue Kool Savas Single „Sky Is The Limit“ zu entwickeln.

Beim O2 Media College handelt es sich um ein Programm der Telefónica o2 Germany zusammen mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, um randständigen Jugendlichen mediale Kompetenz zu ermöglichen. Das klingt ein bisschen sperrig, bedeutet aber im Klartext Kool Savas hat einen Track für die Aktion geschrieben und Jugendliche sollen dafür ein Video erstellen.
Jeder Interessierte zwischen 16 und 21 Jahren darf teilnehmen, zu dem Song ein Storyboard erstellen, völlig frei ganz ohne Vorgaben oder aber mit der dazugehörigen Software auf o2thinkbig.de. Die fertigen Beiträge werden dann genau dort, auf Youtube oder teilweise hier bei rap.de vorgestellt und eine Jury, der unter anderem Kool Savas selbst angehört, wählt dann die besten 80 Ideen aus. Deren Schöpfer werden dann wiederum Ende Oktober zu Workshops eingeladen, bei denen die Ideen dann professionell umgesetzt werden. Das allerbeste Video wird dann zum offiziellen Videoclip der Single ernannt und garantiert dem klugen Kopf dahinter wahrscheinlich unendlichen Fame.
 
Tina Uhlemann und Ralf Walter  von der deutschen Kinder und Jugendstiftung begleiten die Aktionen des Mediacollege. Von ihnen erhielten wir noch ein paar wichtige Hintergrundinformationen zum Projekt.

rap.de: Wie seid ihr denn auf diese Einrichtung hier gekommen?

Tina: Ich wohne selbst in Hellersdorf und war ganz oft auch im Eastend unterwegs und das ist halt ein toller Club, so wie es in Marzahn-Hellersdorf eigentlich kaum einen gibt. Mit der ganze Tontechnik, mit dem tollen Basketballplatz oben auf dem Deck und den ganzen Graffitis, das passt halt einfach total zum Thema Hip-Hop und deswegen haben wir uns für das Eastend entschieden.

rap.de: Seid ihr mit der Resonanz zufrieden?

Tina
:
Ein bisschen mehr Leute wären natürlich immer super, aber solange die hier Spaß dran haben, mit den Leuten Videos zu drehen, dabei was rauskommt und die wirklich was lernen, ist das immer noch toll.

rap.de: Was ist denn das Ziel und die Hoffnung des ganzen Projektes. Worum geht es?

Ralf Walter: Wir wollen mit der Tour, den Jugendlichen zeigen, dass sie etwas können und dass es wichtig ist, was sie können. Die meisten Jugendlichen wissen das ja gar nicht und in der Schule bekommen sie eigentlich nur gesagt, was sie NICHT können. Dem wollen wir etwas entgegen setzen und wir wollen ihenen zeigen, dass man auch mit wenig Mitteln etwas schaffen kann.
Natürlich wollen wir den Teilnehmern auch technische Fertigkeiten vermitteln. Worauf muss man achten, wenn man mit dem Handy filmt, welche Einstellungen muss man beachten? Deshalb arbeiten wir auch mit einem multiprofessionellen Team, das aus mindestens einem Pädagogen und Profis besteht, wie zum Beispiel Regisseuren und Kameraleuten.

 
Soweit sind wir hier in Hellersdorf aber noch lange nicht, schließlich befinden wir uns gerade auf einem von 24 Tourstopps des Media Colleges, das verschiedene Standorte in Deutschland besucht. Mit einem sechsköpfigen Team aus Medienexperten werden die Anwesenden bei der Ideenfindung und der passenden Skizzierung eines Storyboardes unterstützt. So auch hier. Die Teilnehmer sitzen an Tischen, vor ihnen eine große Leinwand, auf der die Laptopoberfläche von Martin Persiel wiedergegeben wird.
Mehrmals wird der Song von Savas abgespielt und der Text analysiert. "Worum geht es hier?“,  "Welche Stichwörter fallen euch ein?“, "Welche Bilder habt ihr im Kopf?
 

Ein etwas verschüchtert wirkendes junges Mädchen meldet sich zaghaft, durch den Zuspruch und das bekräftigende Nicken von Martin bestärkt, wird ihre Stimme aber immer fester. Ein Video schwebt ihr vor, in dem Savas erst alleine rappt und dann immer mehr junge Menschen zu ihm stoßen. Eine Art Flashmob also. Das gefällt Martin Persiel und auch andere Ideen werden immer enthusiastischer vorgetragen und teilweise von spaßigen "Streber“-Zwischenrufen kommentiert.
Die Leute, die sich hier treffen, sind nicht ganz zufällig hier. Sozialpädagogen haben die Jugendlichen angesprochen und zu dem Workshop eingeladen, da das Stammpublikum des Hauses nicht unbedingt Interesse daran hatte. Woran das liegt erklärt der Leiter der Einrichtung Eastend-Berlin Michael Plönzke ganz einfach folgendermaßen: "Das Projekt als solches finden wir total toll. Was uns ein bisschen als schwierig aufgefallen ist, ist die Handhabe dessen. Also nicht wie es organisiert ist – es ist absolut gut organisiert – aber gerade die Bewerbung. Gerade hier in Hellersdorf, wo es schwer ist an die Leute ranzukommen. Die Zusagen der Leute waren größer als die Besucherzahlen im Endeffekt. Die älteren, die interessiert sind, sind nicht gekommen, weil die Altersgrenze bis 21 lag. Die waren 23, 24. Und dann haben wir wiederum einen großen Teil von Kindern und Jugendlichen, die bis 14 sind, die fallen leider auch aus dem Programm aus.
 rap.de: Was haltet ihr selber von dem Song?
Ralf Walter: Ich bin total begeistert von dem Song. Savas hat instinktiv und ohne, dass wir vorher groß mit ihm geredet haben, genau verstanden, worum es geht. Jugendliche zu motivieren selbst etwas zu tun, Ihr eigenes Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wenn du an Dich selbst glaubst, dann kannst Du es auch schaffen. Das ist die Botschaft, denn Jugendliche wissen oft gar nicht, was sie alles können. Sie zeigen es zwar ihren eigenen Leuten, ihren Freunden, aber von anderen Gruppen bekommen sie halt oft gar kein Feedback. 
rap.de: Sind denn noch mehr solche Projekte geplant oder war das eine einmalige Geschichte?

Ralf Walter: Also das Mediacollege on Tour läuft jetzt nur noch bis zum 18. Juli, aber man kann bis zum 1. August alles einreichen und hoch laden.  Wir bleiben aber dran und das Ganze ist darauf ausgelegt, dass es eine mehrjährige Aktion werden wird. Das heißt im nächten Jahr auf jeden Fall wieder.

rap.de: Wie waren die bisherigen Workshops.

Ralf Walter: Also wir waren sehr begeistert von der Kreativität, die wir gesehen haben.  Wir hatten Jugendliche, die meisten sind ja Hauptschüler, die total talentiert waren und unglaublich viel konnten. Die sind sehr kreativ, das war richtig super.

rap.de: Ist es denn so, dass nach so einem Projekttag wirklich ein vorzeigbares Ergebnis entstanden ist oder nur Skizzen.

Tina:

Also es entstehen schon sehr gute Sachen. Außerdem ist ja auch die Idee, das hier die ersten Ideen für die Videos entwickelt werden und dann in den nächsten zwei Wochen umgesetzt und dann hochgeladen werden aufs Portal, damit sich das dann alle angucken können.

rap.de: Vielen Dank für das Gespräch.

Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Lehrkräfte von den Teilnehmern, die dann letztendlich gekommen sind, hellauf begeistert sind. Der Regisseur Martin Persiel spricht wiederholt davon, dass es sich bei der Veranstaltung in Berlin um den bislang "besten Workshop auf der Tour“ handelt und das ausgerechnet in Hellersdorf.

Denn Hellersdorf gilt ja nicht unbedingt als Hochburg der deutschen Kreativlandschaft. Stattdessen ist das von den Medien vermittelte Bild des Viertels eher durch graue Plattenbautristesse, Perspektivlosigkeit und 17-Jährige Mütter mit Kinderwagen geprägt.
Entgegen dieser landläufigen Meinung, scheinen sich in Hellersdorf selbst zahlreiche Gegenstimmen zu formieren. So berichtet Sozialarbeiter Plönzke davon, dass es zwar massig Hartz 4-Empfänger, zerbrochene Familien und andere Probleme im Bezirk gibt, dass dies aber wahrscheinlich auf alle großstädtischen Randgebiete zutrifft. Auch betont er, dass es immer mehr Einwohner gibt, die sich zu Hellersdorf bekennen und das Negativimage abstreifen wollen: "Was mir gefiel, dass jetzt viele Einwohner mittlerweile mit Contra-Stimmen kamen und sagten, sie seien stolz auf Hellersdorf. Das ist kein Witz! Das ist total schön und das macht mich fröhlich, weil ich da sehe, da können wir eingreifen, da können wir sagen, dass wir die Leute unterstützen können.

Schließlich sei das Eastend-Berlin ja auch ein medienorientiertes Jugendhaus und ausgestattet mit drei Tonstudios, in denen bislang unter anderem auch schon zwei Sampler produziert wurden. Ein Umstand der auch dazu beigetragen hat, dass hier ein Projekt wie das Media College sehr gut reinpassen würde.
Auf dem Eastend Sampler 1 findet man durchweg Hip-Hop-Künstler aus dem Bezirk Hellersdorf, für den zweiten Teil wurden dann auch Leute aus Marzahn und Bands aus anderen Musikrichtungen dazu genommen, um so Plönzke, "die Jugendkultur zusammenzufassen." Hauptanliegen der Sampler ist die Menschen und das Leben in Hellersdorf vorzustellen und einen Gegenstandpunkt zum medial verbreiteten Image zu entwickeln.
Dass die Künstler des Hauses diese selbstgewählte Aufgabe sehr ernst nehmen, erkennt man auch daran, dass sie eine Teilnahme an dem Sampler Deutschlands Vergessene Kinder der Berliner Arche Stiftung ablehnten. Laut Plönzke wollten sie nicht das dort verbreitete Negativbild weiter unterstützen.

Wenn es um Rap geht, ist ja oft auch die Zensur ein großes Thema. So musste der Sozialarbeiter desöfteren mit den Akteuren über ihre Texte reden, um allzu krasse Sprachbilder zu entschärfen: "Guckt einfach, dass ihr vielleicht auch einige Sachen nicht so aussprecht, dass alle Leute von vornherein gleich wieder auf die Barrikaden gehen und ihr auf dem Index landet“, lautete dann der salomonische Vorschlag. 
Eine richtige Zensur würde aber nicht stattfinden, denn dann müsste man ja fast alles verbieten. Mittlerweile habe er auch begriffen, dass viele Wortschöpfungen der Jugendkultur gar nicht so negativ gemeint seien, wie sie von Außenstehenden vielleicht aufgenommen werden.
Nach wie vor aber scheint Hip-Hop das Medium zu sein, mit dem sich die meisten jungen Menschen heutzutage identifizieren könnten. Auch wenn Plönzke Rap mittlerweile für absoluten Mainstream hält, so kann er in den Untergrundacts, die er betreut, doch noch eine ursprüngliche und revolutionäre Kraft erkennen und schließlich seien auch schon andere Musikrichtungen den Weg der Kommerzialisierung gegangen:  "Punks, Ois und andere, irgendwann haben sie mitgekriegt, dass sich damit Geld verdienen lässt.

Um Geld geht es beim Mediacollege wie gesagt erst einmal nicht. Wer aber Lust hat, sich selbst auszuprobieren und unter fachkundiger Anleitung seine ersten Schritte in die Welt der Videoproduktion zu unternehmen, der kann dies noch bis 17. Juli in der Stadt seines Vertrauens tun. Alle Termine findet ihr auf der Seite o2thinkbig.de  und natürlich könnt Ihr auch dort, auf eigene Faust ein Storyboard erstellen. Sieht auf jeden Fall ganz einfach aus.