sido

Alles neu. Neues Outfit. Neues Label. Neues Leben. Am letzten Freitag erschien das neue sido Album mit dem vielsagenden Titel "Aggro Berlin“, mit dem der König wohl noch einmal betonen wollte, dass die alte Labelheimat ohne ihn wohl nie das gewesen wäre, was sie war: Die stilprägendste Plattenfirma der neueren, deutschen Rapgeschichte.
Wie es dazu kam, wie überhaupt alles angefangen hat und warum sido so lange mit seiner, erst jetzt veröffentlichten, Ost-Vergangenheit hinterm Berg gehalten hat, klären wir mit ihm in einem sehr persönlichen Gespräch, das es hier auch als extended Videointerview für einen schönen Fernsehnachmittag gibt.

rap.de: Wir stehen hier in Ostberlin vor einem Plattenbau. In diesem Block bist du groß geworden? Wie ist das, wenn man es jahrelang unter der Decke hält, dass man im Osten groß geworden ist, Pionier war und das alles kannte, und dann plötzlich auspackt?

sido: Jetzt gerade ist es lustig, weil ich weiß, dass das hier auch die Leute gucken, die mich von "Westberlin“ her kennen. Ich habe viele Interviews gegeben, bei denen die Leute meinten, das wäre doch egal. Ist es ja eigentlich auch, aber gerade Du (zu Staiger) warst ja auch mittendrin in dieser Zeit und…

rap.de: Das war so ein krasser Ostlerhass damals, das war der Wahnsinn!

sido: Und ich war mittendrin und habe mitgespielt! (lacht) Vor den Ostlern kam ich mir da manchmal schon komisch vor, vor Gauner zum Beispiel. Aber ich wollte mich auch auf keinen Fall mit ihm identifizieren.

rap.de: Aber ihr habt ihn dann mal gefeatured auf einem Tape. War das dann so ein bisschen geheime Ostlersolidarität?

sido: Nene, das hatte damit gar nichts zu tun. Ich weiß gar nicht mehr, wie das zustande kam.

rap.de: Hast du den Eindruck, dass du irgendwas mitgenommen hast aus dieser Erziehung?

sido: Von hier? Ich weiß  nicht, ich glaube, ich habe mir von hier ein bisschen Fleiß mitgenommen.

rap.de: Und dieses Solidaritätsdenken?

sido: Ich weiß es nicht, ich habe das ja nicht bewusst als Solidaritätsdenken wahrgenommen. Ich musste in die Schule, meine Kameraden sind meine Kameraden, die Lehrer sind die Lehrer und ich weiß nicht, ob mir das am Ende so viel gebracht hat.

rap.de: Aber Loyalität und so was ist dir schon wichtig, oder?

sido: Ja, das ist mir schon sehr wichtig und ich hoffe, das merkt man auch.

rap.de: Warum ist dir die Gruppe so wichtig?

sido: Weil ich viel Zeit in der Kacke verbracht hab damals. Da ist das sehr stark gewachsen, weil wir nichts anderes hatten als uns und wir haben sehr auf uns aufgepasst. An Bobby und mir merkt man glaube ich am stärksten, wie wichtig es mir ist, Freunde von früher immer noch zu haben. Das Ding ist: Wir haben ja ganz unten angefangen und so tief ist es nie wieder gegangen. Schlimmer als das kann es glaube ich nicht werden. Ich kann durch Höhen und Tiefen gehen mit meinen Jungs, jederzeit.


rap.de: Hast du Angst, dass es mal wieder so tief wird?

sido: Ja. Ich habe zwar keine große Sorge, aber ich habe Angst davor. Ich meine, die Wahrscheinlichkeit, dass es ganz nach unten geht, ist nicht so groß. Aber es kann passieren und wenn es passiert, hätte ich auf jeden Fall einen Grund für den Galgen. 

rap.de: Echt? Das wäre wirklich ein Grund für Dich, aufzuhören?

sido: Ich würde es halt genüsslicher machen, mit irgendwelchen neuen Drogen, die es zu der Zeit auf dem Markt gibt. Aber ich würde es machen, auf jeden Fall. Ich will da nicht wieder hin.

rap.de: Wie baust du vor, damit das nicht passiert?

sido: Ich bin jetzt nicht gerade ein sehr sparsamer Mensch, das kann man nicht von mir sagen. Aber ich weiß, dass ich mit Musik nicht mehr all zu viel Geld verdienen kann und lege mein Hauptaugenmerk mehr auf andere Sachen. Man guckt sich mal ein paar Wohnungen und Häuserchens in Berlin an, oder so. Die Musik ist mein Startkapital für ein ordentliches Leben später. Die Musik wird irgendwann vorbei sein, das weiß ich. Auch wenn ich als Akteur jetzt nicht aufhöre, aber es ist bald vorbei, dass man sich davon ein dickes, reiches Leben machen kann.

rap.de: Hast du mal daran gedacht, eine Ausbildung zu machen, oder Dein Geld auch in Bildung zu investieren?

sido: (lacht) Nee! Was heißt Ausbildung? Du meinst, dass ich dann irgendwie der neue Postbank-Manager werden kann oder was? Da habe ich gar keine Ambitionen zu. Ich habe sehr, sehr viel Zeit in meine Ausbildung als Musiker investiert und eine Zeit lang auch sehr viel aufgegeben dafür. Zum Beispiel meinen Sohn nicht gesehen, weil ich gedacht habe, Musik ist wichtiger. Aber ich habe in dieser Zeit sehr viel gelernt und wenn ich noch mal so viel Zeit in eine Ausbildung stecke, bin ich ein alter Mann. Ich kann das gut, was ich jetzt mache.

rap.de: De Facto hast du aber etwas gelernt, was man nicht mehr braucht. Womit man kein Geld mehr verdienen kann.

sido: Aber es ist was, was einen trotzdem erfüllt und glücklich macht.

rap.de: Keine Frage. Mal ein ganz anderes Thema! Eine Ex-Freundin von dir war Prostituierte?!

sido: Wo haste das denn gehört?

rap.de: Das stand heute auf Bild.de und Du meintest, Du hättest sofort mit ihr Schluss gemacht?

sido:
Nee, das habe ich auch nicht gesagt.

rap.de: Es stand da, dass du normalerweise nicht gerne Schluss machst, weil du Probleme damit hättest, die Frauen weinen zu sehen, aber in diesem Fall hättest du sofort Schluss gemacht.

sido: So steht das da? Guck mal, das resultiert aus einem Lied, das auf meinem Album ist. Da geht es darum, dass ich die Frauen nur so schwer loswerden kann und da ist es natürlich sehr BILD-artig, mich so was zu fragen. "Was machst du denn mit Frauen?“, "Wann willst du denn heiraten?“ und so weiter.

rap.de: Du warst also noch weiter mit ihr zusammen, nachdem Du erfahren hast, dass sie als Prostituierte gearbeitet hat?

sido: Verkaufst du das hier auch an die BILD?

rap.de: Nein, das ist nur eine Frage! Ich frage mich natürlich, warum kann man ehemalige Nutten nicht heiraten?

sido: Nee, das könnte ich auf keinen Fall.

rap.de: Warum nicht? Warst du schon mal bei einer Nutte?

sido: Ich war in meinem Leben noch nie bei einer Nutte ficken. Ich war aber schon mal im Puff. Ich bin einer von den Leuten, die nicht im Puff waren, um zu ficken. Am Ende war ich zu besoffen. Wir waren auch zu viele Leute. Mir war nicht nach Ficken. Ich bin sowieso nicht so ein Ficker.

rap.de: Ansonsten hätte ich nämlich gesagt: Wo ist der Unterschied? Wenn man ficken geht mit einer Nutte, kann man sie auch heiraten.

sido: (entrüstet) Nee! Würdest Du das tun, Alter?

rap.de: Ich hätte ernste Schwierigkeiten damit, aber generell möchte ich es nicht ausschließen. Wenn ich diese Frau liebe, ist es doch egal, was sie vorher gemacht hat.

sido: Im Grunde müsste es egal sein, aber es wird immer in deinem Kopf sein und es wird dich immer verfolgen. Das habe ich auf jeden Fall gemerkt.

rap.de: Aber Ex-Freunde verfolgen einen immer, oder?

sido: Ja, ok, doch. Das verstehe ich auch ein bisschen, weil man sich ja zwangsläufig mit denen vergleichen muss. Man denkt sich dann "Man, das ist doch ein Opfer! Bin ich jetzt auch ein Opfer, passe ich in dein Schema?

rap.de: Genau. Man hat keine Möglichkeit, die auszuradieren, weil sie sind ja da, aber sie sind weg. Aber in der Erinnerung sind sie trotzdem präsent.

sido: Das ist mir zu schlau.

rap.de: Bist du manchmal gerne unschlau?

sido: Ich bin manchmal sehr überfordert. Ich schalt das dann aus, also ich meine, ich hab grade mitgekriegt an Deinen ersten zwei Sätzen, dass mich das, was Du da sagst, nicht interessiert. Dann hat mein Gehirn ausgeschaltet und dann war’s mir zu viel.

rap.de: Dann existierst Du nur noch als Hülle?

sido: Ja. Hülle, die gerade chillt und diese zwei Sekunden ausnutzt, um Energie zu tanken. 

rap.de: Warum brauchst Du viel Energie? Du hast mir neulich geschrieben, dass Du so was wie ein Familienoberhaupt sein möchtest. Warum? Hast Du so was Väterliches schon früh in Dir gehabt?

sido: Ja, also ich war damals bei der Sekte derjenige, zu dem alle aufgeschaut haben. Der, der immer nach Rat gefragt wurde, deswegen hieß es am Anfang auch sido und die Sekte oder die Sekte und sido. Ich hab die Crew zwar mit gegründet, aber ich hab am Anfang noch zu denen gesagt “Ich möchte nicht in der Sekte sein, weil ihr mich sonst zu eurem Anführer macht. Das möchte ich nicht.“ Aber es ging trotzdem nicht. Auch wenn ich nicht in der Sekte war, wurde ich trotzdem immer wieder nach Rat gefragt.
War auch n komischer Plan von mir. Ich hab mittlerweile einfache eingesehen, dass ich’s bin. Ich bin der Typ, den alle nach Rat fragen, zu dem sie aufschauen oder was auch immer und dann mach ich was draus.


rap.de: Du meintest aber auch, dass alle an Deinem Tisch sitzen dürfen, solange Du bestimmst, was da passiert.

sido: Ja, weil es mein Tisch ist! Also, ich lass gerne mit mir reden, dass man was ändert am Speiseplan, oder so, aber letztendlich bestimme ich. Aber ich muss es so sagen, ich muss da auch mit einer  gewissen Strenge vorgehen, weil es da wirklich auch um ein bisschen was geht. Ich möchte nicht, dass gewisse Leute sich einfach in ein gemachtes Nest setzen. Jeder, der seinen Teil davon möchte, muss seinen Teil dazu tun. Ist doch OK, find ich.

rap.de: Das ist eher FDP als bedingungsloses Grundeinkommen, oder? Du hast aber Links gewählt, hab ich gehört? Das ist dann eher so Solidarität mit allen und auch mit den Schwachen.

sido: Ja, das ist auf jeden Fall meine Intention, die Linken zu wählen. Wenn ich mitkriegen würde, die Linken hätten eine Chance darauf, das Land zu regieren, würde ich ganz schnell wieder SPD wählen. Aber ich finde die Linken eine sehr gute Opposition und je mehr Plätze die in der Opposition haben, desto mehr frischer Wind wird im Bundestag wehen.

Ich pack jetzt mal aus mit meiner Politik Intelligentheit. Mir war klar, dass es schwarz-gelb wird und ich wollte dann eine schöne Opposition wählen. Weil schwarz-gelb, das sind nicht meine Parteien. Ich wollte eine schöne Opposition. Mir war klar, dass die SPD Arschkriechen wird, also das werden wir jetzt beobachten können die nächsten vier Jahre. Ich lass mich gerne eines Besseren belehren.

Dann, die Grünen haben ihren Pfiff verloren. Das ist nicht mehr diese aufmüpfige Partei, die sie mal war. Das sind für mich jetzt nur noch die Linken. Wenn du ne Rede im Bundestag guckst, von wem auch immer… Wenn jemand dazwischen ruft, kommt’s aus der linken Ecke. Ob’s jetzt Sinn macht, was der Typ da quatscht, stellen wir mal Beiseite. Es geht darum, dass nicht Ja und Amen zu allem gesagt wird, sondern dass die Opposition frech ist, aufmüpfig und das sind leider nur noch die Linken.

Was heißt leider. Hinter vielen Sachen, die tatsächlich in ihrem Programm stehen, die kann ich tatsächlich unterschreiben, aber alle Soldaten raus aus Afghanistan zum Beispiel nicht. 

rap.de: Also dafür, dass du jetzt zum aller ersten Mal in Deinem Leben gewählt hast, hast Du Dir das doch ganz gut angeguckt. 

sido: Ja, ich wollte da auch keine Scheiße bauen. Mir war das auch wichtig. In dieser Fernsehsendung sah`s noch n bisschen blöder aus, als ich tatsächlich bin. Ich wusste vorher schon, welche Partei für was steht. Ich hab halt genau aus dem Gedanken nicht gewählt, aus dem die ganzen 30 Prozent, die nicht gewählt haben, eben nicht gewählt haben.  

rap.de: Jetzt wo Du Dir das alles angeguckt hast, würdest Du den Leuten wirklich sagen “Geht wählen! Es nützt was!“? 

sido: Ich würde tatsächlich sagen “Geht wählen!“. Ich glaube, wenn die 30 Prozent, die nicht gewählt haben, wählen gehen würden, würde das Wahlergebnis ganz anders aussehen. Und dann müssten sich die beiden großen Parteien auch wirklich mal umgucken. Diese 30 Prozent, die nicht gewählt haben, die würden sehr, sehr viel ausmachen in ne andere Richtung. Da bin ich mir sicher. 

rap.de: Jetzt sieht es ja so aus, als hättest Du Dich ganz neu erfunden wegen dem neuen Album.

sido: Wegen der Rocker Jacke, oder was?

rap.de: …neuer Look, neuer Haarschnitt, alles neu. Du sagt auch, dass Du weg von Aggro wolltest, weil Dir das alte Image zu klein wurde?

sido: Das hat mich einfach mittlerweile dann auch gelangweilt. Ich bin älter geworden und ich pass auch nicht mehr in diese Klamotten, ich pass nicht mehr in diesen Film. Das wär alles so… Das wär nicht mehr echt. Und das ist mein Anspruch.

Auch wenn hier und da mal n Paar Sachen bei Aggro Berlin überspitzt waren und übertrieben waren, war ich trotzdem immer echt authentisch und die Klamotten würden eben nicht mehr authentisch sein. Ich wär nicht mehr ich, wenn ich das noch tragen würde. 


 

rap.de: War das jetzt eine Entwicklung oder war das der Punkt, Aggro ist vorbei und jetzt hab ich die Möglichkeit?

sido: Ne, das wär auch mit Aggro passiert. Bloß bei Aggro hast du dann immer weniger Freunde, also immer weniger Fans an der Sache.

Ich durfte bei Aggro immer machen, was ich wollte. Nur irgendwann hat Specter angefangen, sich rauszuhalten. Die hatten kein Bock mehr. Ich meine, es wär auch unter Aggro passiert, aber sie hätten noch weniger Bock auf mich gehabt, als sie es so schon hatten.

rap.de: Ist das denn ein klassisches Dilemma, dass man sich irgendwann mal auseinander lebt und der Eine verfolgt das Ziel und der andere ein anderes? 

sido: Also, guck mal, die sind ja ne Firma. Wenn eine Sache funktioniert, dann fährt man die so lange tot, bis man merkt, die funktioniert nicht mehr. Und die hätten diesen sido mit der Maske und den Riesenjacken und dem Fell an der Kapuze am liebsten so lange totgefahren, bis es nicht mehr gegangen wär. Aber ich wollte mich weiter entwickeln und nicht noch 100 "Arschficksongs" machen und noch drei mal "Mein Block" und so was. Das hab ich gemacht und wer’s mag, soll mein erstes Album hören, aber mir ist es zu langweilig. Ich hab den Anspruch an mich, dass ich mich weiter entwickle mit meiner Musik. 

rap.de: Kannst Du Dir vorstellen, mit 40 noch auf der Bühne zu stehen? 

sido: Ich kann mir das vorstellen, aber ich möchte mit 40 nicht mehr der Typ sein, um den sich alles dreht. Der Typ, der das Sprachrohr der Jugend ist. Hip Hop ist schon ne Jugendkultur, find ich und ich möchte da nicht mehr der Rapper sein, um den sich alles dreht.  Kleine Konzerte, wo ich dann über meine Fingerprothese rede, weil der mir abgefallen ist über die Jahre oder so’n Scheiß. So was ja. 

rap.de: Jay-Z macht mit 40 noch ne Platte. 

sido: Ja, aber da ist es auch legitim. Hip Hop ist in Amerika eine große Nummer. Hier gibt’s zu wenige Leute. Hier muss endlich mal ein neuer kommen, der das alles übernimmt und uns Zeit lässt für die Rente. 

rap.de: Und siehst du den?

sido: Also gut, dass Du das fragst. Weil ich wollte unbedingt sagen, es gibt grade einen Typen im Internet, der interessiert mich sehr: Nate 57. Aus Hamburg. Ich finde bei dem Typen merkt man auch, dass seine Intention zu rappen Hip Hop ist. Es gibt sehr viele neue Rapper, deren Intention leider ist, wie sido oder Bushido zu sein, oder wer auch immer. Diese Autos zu haben, Ketten, Geld zu haben, reich zu sein, ausm Viertel zu kommen. Aber das hat ja mit Hip Hop in erster Linie nichts zu tun.

Das passiert vielleicht, wenn du Glück hast mit Hip Hop, mit dir aber das war nicht mein Grund, dass ich angefangen hab, zu rappen oder mich für Hip Hop zu interessieren. Aber bei diesem Nate merk ich, das ist Hip Hop. Der hat auch so’n paar Biggie Lines die man nur kennen kann, wenn man sich auch für Hip Hop interessiert. Ich wünsch dem Typen auf jeden Fall alles Gute.

rap.de: Jahre lang sah das aber so aus, als würdest Du auch auf Hip Hop scheißen. 

sido: Ja, ich hab ja auch auf Hip Hop geschissen, aber auf den Hip Hop den es bis Dato gab. Diesen Sonnenschein Hip Hop aus der schönen Gegend und Leute, die im Jugendzentrum das dickste Studio haben und einfach mal ne CD rausbringen können. Den deutschen Hip Hop, den mochten wir nicht. 

rap.de: OK, das wissen wir alle, aber dann hat sich das in diese Image Geschichte verwandelt. Für mich war diese Maske immer so ein Symbol: "Naja, so super cool sehe ich nicht aus, deshalb zieh ich mir ne Maske an.“ 

sido: Die Maske war für mich, dass ich nicht erkannt werden wollte. Ich mein, ich hab ja vorher schon CDs gemacht, Platten gemacht, bin live unterwegs gewesen und da lief es auch ganz gut. Warum soll ich jetzt auf einmal denken, ich bin zu hässlich und mir ne Maske aufsetzen? 

rap.de: Na weil Du vielleicht zu weich aussahst für das, was ihr da an Härte repräsentiert habt. Aggro war ja dann schon das Ding: “Wir sind die ganz Harten“.

sido: Mittlerweile glaub ich, dass das Specter seine Intention gewesen sein könnte. Ich meine, vielleicht wollte er mir nicht direkt sagen “Du bist n bisschen äääh… passt nicht so richtig.“ Keine Ahnung. Wie auch immer. Ich fand die Maske ne grundsätzlich gute Idee, um nicht erkannt zu werden, um die Neugierde zu schüren und was auch immer. 


rap.de: Wie war diese Zeit für Dich, als es dann richtig los ging mit fünf Frauen am Schwanz und das, wovon man träumt: Sex, Drugs und Rock`n`roll. 

sido: Das hatte ich ja vorher schon! Die Frauen sahen nur besser aus, als ich erfolgreich wurde. Es waren nicht mehr oder weniger. Ich bin auch gar nicht so ein Ficker.

rap.de: Ja, hast du schonmal gesagt. Glaube ich Dir auch. Wie familienorientiert bist du?

sido: Sehr! Ich bin jetzt so ein spießiger Chiller (lacht) 

rap.de: Genießt du das? 

sido: Absolut, darauf habe ich es auch früher schon angelegt. Das ist auch der Grund, warum ich so viele Drogen genommen habe, weil ich das früher einfach noch nicht hatte. Und das ist auch ein Traum von vielen aus dem Viertel. Mein Traum ist ja auch so ein kleines Häuschen.

rap.de: Das Haus am See. Ist das süß! 

sido: Es kann auch ein Fluß  sein. Aber jeder Junge aus dem Viertel träumt von Harmonie, davon, nicht mehr hustlen zu müssen und keine Geldsorgen zu haben. Diesen Traum hat jeder. Ich habe ja auch früher gesagt: "Ich will hier nicht weg, das Viertel ist das Beste, auch wenn ich Geld habe, werde ich hier bleiben!“, das ist ein Satz, den man aus reiner Perspektivlosigkeit sagt, weil man eh nicht daran glaubt, aus diesem Elend ausbrechen zu können. 

rap.de: Wenn du heute die Leute, die noch im Viertel leben, so anguckst, ist es dann wirklich Elend?

sido: Ja. Ich kenne viele Jungs von früher, die sind heute so alt wie ich und immer noch wie früher den ganzen Tag besoffen. Die sind verloren. Was soll aus denen noch werden? Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr. 


rap.de: Liegt es an den Personen selbst oder am System?

sido:
Ich glaube, es liegt an beidem. Ich hätte auch so enden können, wäre ich nicht fleißig gewesen und hätte ich mich nicht auf eine Sache fokussiert.
Du darfst dich nicht aufgeben, an dem Punkt, an dem du denkst, jetzt geht es nicht mehr weiter. Irgendein Funken Hoffnung gibt es immer noch. Du kannst dich ja bewegen, du kannst laufen, du kannst gut riechen. Du musst ja nicht besoffen zum Arbeitsamt gehen, du kannst dich rasieren. Wenn es nicht geht, rasier dich 10 Minuten vor deinem Termin beim Sozialamt, meinetwegen auf der Toilette. Stink nicht nach Alkohol. Ab einem Gewissen Punkt bist du selbst an der Sache schuld. 

 

rap.de: An was ist das System schuld?

sido: Das System kümmert sich nicht um die Leute. Keine Arbeit, keine Ausbildungsplätze. Das Märkische Viertel ist ein Sozialbau, da werden Leute kategorisch reingesteckt. Die kriegen ihre Wohnungen von Hartz IV bezahlt. Da sind schon mal die ganzen Leute, die sich gegenseitig runterziehen. Alle saufen, alle sitzen in der Kneipe, alles ist scheiße, alles ist dies, alles ist das.

Ich will nicht sagen, dass es grundsätzlich so ist, aber zu einem Großteil. Und um diese Leute kümmert sich niemand, denen wird auch keine Perspektive geboten. Ich wüsste auch nicht, wie das geht.

Ich glaube, dass man erst der nächsten Generation helfen kann. Der Generation, die jetzt Schüler sind. Die Leute, die jetzt eingefahren sind, die sind eingefahren. Da ist alles vorbei. Aber die nächste Generation, da muss man sich um die Schulen kümmern, um ein neues Bildungssystem. Macht die Klassen kleiner! Macht es den Leuten interessant, zur Schule zu gehen, denn es sind immer noch Kinder! Denen muss man nun mal Sachen interessant machen. Da hapert es. Aber wenn unsere nette, tolle, neue Regierung die Steuern senken will, weiß ich auch nicht, woher das Geld kommen soll für Bildung. Mein Sohn hat das selbe Englisch-Buch wie ich damals.


rap.de. Ist der auf einer staatlichen Schule?

sido: Ja.

 

rap.de: Hast du über eine private Schule nachgedacht?

sido: Ja, habe ich. Aber ich will, dass er so normal wie möglich aufwächst! Ich habe schon aufgepasst, dass er auf keine Rütli-Schule geht. Da sollen aber nicht nur Bonzen-Kinder sein, die alles bezahlt kriegen. Der soll ganz normal aufwachsen. Ich kann es am Ende nicht beeinflussen, aber man kann das ja in eine bestimmte Richtung lenken.

rap.de: Ok, eine Frage zum Schluss. Dieses Haus am See, wieviele Freunde von Dir wohnen auch da?

sido: (lacht) Das Ding ist, dass ich tatsächlich mittlerweile nach einem Mehrparteien-Haus gucke, wo ich ganz oben wohne und Bobby und meine Mutter sollen da auch wohnen.
Das ist eine gute Frage, da kennst Du mich sehr gut. Ich habe meine Leute gerne um mich herum und ich biete denen auch gerne was, wenn ich was habe. Das wäre schon mein Traum. Alle gleichzeitig Urlaub nehmen. Alle gleichzeitig verreisen. Das wäre schon schön.

Ich habe natürlich auch gerne meine Privatsphäre, aber meine Freunde um mich herum zu haben, das wäre wirklich schön.

rap.de: Dann bist du ja eigentlich ein richtiger Hausbesetzer, so mit Gemeinschaftsküche und so.

sido: Ich hätte kein Problem damit, ich muss natürlich auch auf meine Frau Rücksicht nehmen. Aber ich hätte wirklich kein Problem damit, wenn meine Haustür offen wäre, alle können kommen, in meiner Küche kochen und rumhängen. Mama ist da. Ich bin so ein richtiger Kommunen-Typ.

rap.de: Und wieviel Kinder?

sido: Als nächstes hätte ich gerne ein Mädchen, aber das können ruhig ein paar mehr sein. Deshalb will ich ja so ein großes Grundstück und ein Haus am Wasser. Dann könnten wir so einen Riesen-Spielplatz bauen im Garten, aus Holz. Und ich mit einem langen Bart und einem Unterhemd.

rap.de: Das klingt wie ein Lied von Peter Fox. Hat Dir das Peter Fox-Album gefallen?

sido: Das hat mir sehr gut gefallen. Ein paar Sachen habe ich nicht verstanden, die waren mir zu intelligent. Aber das ist für mich großartige deutsche Musik. Ich bin ja über jedes deutschsprachige Album froh und ich kann euch Nate 57 nochmal ans Herz legen und Gunter Gabriel, der hatte gerade die besten Voraussetzungen, das beste Comeback-Album zu machen, aber er hat’s verkackt.


rap.de: Es gibt halt keinen Produzenten wie Rick Rubin in Deutschland, der so was arrangieren könnte.

sido: Nee, das hätte ihm aber geholfen. Das hätte ihn raus aus seinem Alkohol-Film geholt. Wobei, dass finde ich ja eigentlich gut. Für die Kunst! Diesen Film, den man dann fährt. Eminems letztes Album ist deshalb so gut, weil er eine schlechte  Zeit hatte. Und in so einer Zeit entstehen halt großartige Songs. Und Gunter Gabriel hat’s leider verkackt. Ich hätte ihm zugetraut, dass er ein Monster-Comeback macht.

rap.de: Gehts Dir zu gut für großartige Songs?

sido: Nee, man kann ja trotzdem noch Bombensongs machen. Solche Lieder habe ich ja eh nie gemacht. Bei "Mein Block“ ging es mir zwar scheiße, aber ich habe es trotzdem lustig verpackt. Ich hab das Glück, dass ich das nicht mehr brauche.

rap.de: Gut, dann wars das.

sido: Okay. Gibst noch was…Ah, habe ich schon gesagt, das Nate 57 geil ist? "Was ist unsere Aussicht/ Blaulicht!“ Unbedingt rein ziehen! Der Typ braucht ein paar Klicks, ich würde auch Feature mit ihm machen. Wir können ja eine Umfrage machen, "Mit welchen zwei Rappern soll ich ein Feature machen“.

rap.de: Okay, machen wir.

sido: Dann musst Du das aber auch klar machen, dass die dann mit mir rappen. Vielleicht wollen die ja gar nichts mit mir zu tun haben.

rap.de: Versuchen wir.