K’NAAN

Es ist wirklich nicht einfach für einen Künstler wie K’NAAN eine kurze Einleitung zu schreiben. Es naht einer Beleidigung, sich kurz fassen zu müssen für jemanden, der so eine lange Geschichte hat wie der Philosoph mit den staubigen Füßen. Kein Wunder, dass die Liste der Medien, die ihre Interviewer ins Dot schckten, ebenfalls alles andere als kurz war. Die Zeit, die man mit dem Troubadour hatte, jedoch umso mehr. Alle fünf Minuten eine Ansage, man soll doch bitte zum Ende kommen. Sehr schade, denn eigentlich hätte ich stundenlang dasitzen und K’NAANs Erzählungen lauschen können. Gespannt auf das Interview mit ihm war ich bereits seit seiner Aussage "Europäer sind die wahren Piraten" in einem Gespräch mit der SZ und kein bisschen weniger wurde ich in der kleinen Zeitspanne mit guten Berichten aus dem Leben des Somaliers, der seit seinem 13. Lebensjahr in New York beziehungsweise Kanada wohnt, bedient.


rap.de: Ich habe heute deinen Twitter Status gecheckt. Du hast geschrieben, dass Berlin für dich die interessanteste und die am meisten unterschätzte Stadt in Europa ist.

K’NAAN: Ja, obwohl so ein Hype um die Stadt ist, ist die Stadt so nett und bescheiden. Gleichzeitig aber auch sehr lebendig. Es hat so einen einfangenden Vibe, das ist auf jeden Fall einzigartig.

rap.de: Was macht es für dich so anders?

K’NAAN: Das sind so Sachen, die man schlecht in Worte fassen kann. Letztes Mal als ich hier war, bin ich fast jede Nacht ausgegangen oder essen gegangen und mit der Bahn überall hingefahren. Vielleicht ist es die Bahn oder die Kunst überall an den Hauswänden. Omar aus meiner Band war mal hier mit Jay-Z und empfand es genau so. Es ist einfach der interessanteste Ort in Europa. Magst du es nicht hier?

rap.de: Ich bin in den letzten drei Jahren nicht umgezogen. Das bedeutet viel in meinem Fall. Ich habe mich hier niedergelassen. Ich wohne nicht weit hier vom Dot.

K’NAAN: Ja? Hier ist es echt schön.

rap.de: Du bist von Somalia nach New York und dann nach Kanada.

K’NAAN
: Ja, aber ich bin mehr in New York als irgendwo anders. Es ändert sich aber oft und es ändert auch viel, und doch ist es egal wo man sich aufhält.

rap.de: Manche Leute sagen, Berlin erinnert sie an ein jüngeres New York. Siehst du das auch so?

K’NAAN
: Ich habe eine ganz andere Beziehung zu New York als zu Berlin. Ich habe schon mal in NY gelebt und hier bin ich einfach nur ein Tourist. Ich sehe diese Parallelen nicht so sehr. Aber ich kann verstehen, was die Leute meinen, wenn sie so was sagen. Ich bin nach New York gekommen, da war ich 13. Das war 1991. Meine Eltern sind damals mit uns aus dem Bürgerkrieg geflohen.

rap.de: Wieso hast du Rap als Ausdrucksform deiner Geschichte gewählt? 


K’NAAN
: Rap hat seinen Bezug zur Poesie. Und es ist ein bisschen stärker als andere Musikgenres. Wenn du R’n’B machst oder Pop dann erwartet keiner, dass du eine gute Geschichte zu erzählen hast oder dass du gute Metaphern einbauen wirst in deinen Song. Im Rap, zumindest zu der Zeit, in der ich damit in Kontakt kam, wurde von dir erwartet, dass du was zu berichten hast. Abgesehen davon, gibt es keinen "Uh Baby"-Weg für eine Geschichte wie meine.

rap.de: Wie kommt es, dass es so leicht für dich scheint, deine Flucht, dein Leben als Flüchtlingskind, zum Thema deines Raps zu machen? Ist das so natürlich für dich?

K’NAAN: Natürlich. Jetzt schon, aber einfach war es noch nie. Ich gewöhne mich mich daran, mehr und mehr jeden Tag. Zumindest versuche ich das. Anfangs war es eine Art Symptom. Als ich anfing Reime zu schreiben, litt ich an der posttraumatischen Belastungsstörung. Ich dachte, ich bin völlig irre, meine Eltern machten sich unfassbare Sorgen. Ich hatte fast 15 Panikattacken pro Stunde. Ich war monatelang in einem Zimmer mit geschlossenen Fenstern und alles. Sie brachten mich irgendwann zum Arzt und nach einigen Untersuchungen war klar, dass ich an dieser posttraumatischen Belastungsstörung litt. Leute, die einen Krieg mitbekommen haben oder schon mal einen schweren Unfall erlebt haben, bekommen so was öfter. Manchmal auch erst fünf oder zehn Jahre später. Bei meinem älteren Bruder zum Beispiel, war es so. Ich dachte immer, mein großer Bruder wäre unbesiegbar und nichts würde ihm jemals zustoßen. In Mogadischu waren wir die verrücktesten Kids. Während die meisten Menschen bei Schusswechseln weg gelaufen sind, rannten wir darauf zu. Wir sammelten dann Kugeln und entladene Granaten in einer Plastiktüte und verkauften sie auf dem Markt an Leute, die Metall verarbeiteten. Mein Bruder wurde mit 14 beinahe zum Tode verurteilt, weil er den Bundesgerichtshof in die Luft gesprengt hat. Er schaffte es aber abzuhauen und zu entkommen, einen Tag vor der Verhandlung. Er hatte ein sehr bewegtes Leben. In meinen Augen war er einfach unbesiegbar. Ich war immer derjenige, der Depressionen haben könnte, der sehr emotional war, der Musik schreiben konnte. Er hingegen war immer der Starke, ihm ging es gut, egal was passiert ist. Nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen und vor etwa drei Monaten hat es ihn erwischt. Er ruft mich weinend an, es ist verrückt, er weiß nicht was er machen soll. Er erzählt mir, dass er in Eiseskälte sein T-Shirt auszieht. Um wieder zurückzukommen auf deine Frage: Mein erstes Album war das Resultat einer Therapie. Ich habe es geschrieben, als ich durch diese Genesungsphase ging, denn ich durfte keine Medikamente nehmen.

rap.de: Wieso durftest du keine Medikamente nehmen?

K’NAAN: Meine Mutter wollte es nicht. Sie wusste ja nicht, was in diesen Medikamenten drin ist und hat ihnen nicht getraut, also war die Musik meine Therapie im wahrsten Sinne des Wortes. 

rap.de: Dein aktuelles Album trägt den Titel "Troubadour“. Soweit ich weiß, ist ein Troubadour eine Art reisender Erzähler.

K’NAAN: Das Wort Troubadour hat mehrere Bedeutungen. Die Wurzeln des Wortes reichen tausende von Jahren weit zurück und es gibt einige Gründe, warum ich das Album so genannt habe. Ein Erzähler, der reist und seien Geschichten verbreitet, bringt in den nächsten Ort in den er kommt neue Ideen, neue Eindrücke. Er erzählt den Leuten von Dingen, die sie noch nicht kannten. Wenn ich so arrogant sein darf, möchte ich sagen, dass mein Album eine Art Vorstellung eines neuen Sounds ist. Ich glaube nicht, dass es je so etwas gab, wie das was ich auf "Troubadour“ zusammengestellt habe. Es ist ein Vorhangöffner.

rap.de: Wie alt bist du jetzt?

K’NAAN: 31.

rap.de: Was? Du siehst aus wie 12.

K’NAAN: (lacht) Ich weiß. Meine Mutter denkt auch, dass was nicht stimmt. Sie sagt auch immer zu mir: "Guck dir mal deine Haut an, du siehst aus wie ein Kind!“ Und ich benehme mich auch wie eins. Ich stampfe mit den Beinen auf den Boden, wenn ich mich aufrege und so Sachen.

rap.de: Mit 13 bist du aus einem Kriegsgebiet in die USA geflüchtet und mit 31 gibst du weltweit Interviews über deine Musik. Erwischst du dich manchmal in Situationen, in denen du dich von außen betrachtest und dir denkst, "Mein Gott, wie ich bin hierher gekommen“?

K’NAAN: Die ganze Zeit. Siehst du den Typ da drüben, er heißt Ray und ist auch aus Somalia. Er und ich lachen oft zusammen darüber. Es ist einfach so unglaublich, dass man einfach darüber lacht. Letztens waren wir im Studio mit Nas und er hat das wohl bemerkenswerteste über meine Kunst gesagt, das je ein Mensch auf dieser Welt darüber gesagt hat. Ich will dir nicht genau sagen, was er gesagt hat, denn ich will nicht, dass du es schreibst. Ich will es für mich behalten. Für ihn bildet meine Musik die Weichen für die Zukunft, so was in der Art, ohne überheblich klingen zu wollen. Er sagte auch, dass er weiterhin schreiben wird wegen diesem Sound, den ich mache. Er gab ihm die nötige Inspiration weiterzumachen. Ich habe Englisch gelernt, da war ich 16 und habe zu Nas aufgeschaut. Das ging mir in dem Moment durch den Kopf und hat mich echt umgehauen.

rap.de: Beeindruckend. Ich habe gelesen, dass du keine Features machst, wenn du Anfragen bekommst.

K’NAAN: Ja, stimmt. Ich denke nämlich nicht, dass das effektiv ist, wenn da kein wahrer Austausch stattfindet. Ich glaube, da kann nur ein schlechter Song bei rauskommen, wenn ich einfach was mache und ein anderer was dazu gibt oder andersrum und dann schmeißt man es zusammen. Egal wie gut der Künstler ist. Es muss aus einer Inspiration heraus passieren. Wie beim Song "America“. Mos Def war da im Studio und wir spielten das Album. Er hörte den Song, er gefiel ihm und er schrie "Spielt den Song noch mal!“ Und ich spielte ihn rauf und runter. Ich ging raus und holte mir einen Tee und als ich zurückkam, saß er da und schrieb. Er sah mich an und fragte "Hast du was dagegen, wenn ich was darauf schreibe?“ Ich hatte natürlich nichts dagegen und so entstand der Track. Ich muss ein gewisses Gefühl haben, es muss einfach stimmen. Es gibt so viele Menschen, die mich und Lupe Fiasco auf einem Track hören wollen. Ich kann nicht verstehen wieso. Er und ich sind befreundet und er erzählt mir, dass er das auch ständig hört, aber ich verstehe einfach nicht, was die Leute daran so toll fänden.

rap.de: Vielleicht passt es einfach toll zusammen für die Leute.

K’NAAN: Aber warum? Was ist das?

rap.de: Ein zusammen passendes Paar, das ist alles. So wie wenn ich mir Pommes hole und Ketchup drauf mache oder eine Jeans anziehe und denke "Ey, kombiniert mit dem T-Shirt da wird mein Outfit heftig aussehen.

K’NAAN: Richtig. Aber Lupe ist auch alleine toll. Er ist wunderbar. Die Leute wollen uns zusammen sehen, weil für sie da was zusammenpasst in ihren Köpfen und deswegen wollen sie uns zusammenlegen. (Pause) Wenn ich so darüber nachdenke ist es irgendwie eine Art Perversion. (Gelächter)

rap.de: Ich habe da was gesehen auf deiner Webseite. Ein Bild von Lil Wayne und daneben eins von dir und der Untertitel war so was wie, "Was ist Hardcore? Ein volltätoowierter Typ mit einem Styroporbecher oder ein Afrikaner, der auf Bongo Sounds rappt?“

K’NAAN: Habe ich gesehen. Ja, ein Fan hat das gemacht.


rap.de: Und was ist die Antwort darauf? Ich habe gehört, du empfindest viele Rapper als unnötig.

K’NAAN: Ich? Ja, wenn sie nicht gut sind. Wenn ich etwas höre und mir denke "Oh mein Gott, der Typ kriegt keinen vernünftigen Satz auf die Reihe“, dann ja! Aber Wayne ist gut. Du musst nicht einer Meinung sein, mit dem was er rappt oder sagt, aber er hat unzählige Lines, bei denen du dir denkst "Oh shit, er hat’s gesagt“. Er sagte, er ist "Tougher than Nigerian hair“. Da steckt eine Menge Wahrheit und Ahnung drin. Das mag ich.

rap.de: Dein Sohn heißt Salaam – was Frieden bedeutet. Was tust du für den Frieden in deinem Land?

K’NAAN: Das Interesse, nach Somalia zurück zu gehen, besteht. Aber ich will mich nicht politisch einbinden, nur kulturell. Ich war seitdem wir geflüchtet sind, nicht mehr da. Es ist progressiv schlimmer und gefährlicher geworden und momentan ist es das wohl gefährlichste Land der Welt, schlimmer als der Irak. Also werde ich wohl nicht so bald zurückgehen.

rap.de: Du hast ja auch bei einer Veranstaltung der UNO gespielt. War das ein erster Schritt?

K’NAAN: Das Bedürfnis etwas zu tun, war schon immer da. Hoffentlich kann ich das bald auch.

rap.de: Was wäre denn realistisch? Also, was könntest du tatsächlich tun?

K’NAAN: In meinem Land ist es möglich, dass ein Lied oder ein Gedicht alles ändern kann. Mein Großvater ist anerkannt dafür, dass er einen Krieg zwischen zwei großen Clans beendete, mit nur einem Gedicht. In diesem Land ist das möglich.