Die Künstler stammen hierbei vornehmlich aus dem erweiterten Mellowvibes Umfeld, neben Colos und Sneezy von Hammer & Zirkel sind dieses Mal aber auch Bacapon und Sleepwalker aus Hamburg angereist. Ganz in "Four Elements Of Hip Hop“-Manier haben die Jugendlichen und Kinder die Möglichkeit, sich sowohl beim Texten, Streetdance und Graffiti auszuprobieren, als auch im Bereich des Musikproduktion. Schnell füllt sich der Raum, in dem das Reim-Coaching angeboten wird. Unter dem Thema "Ich wünsche mir“, sollen die Schreib-Interessierten zwischen 12 und 18 Jahren (so zumindest die angepeilte Altersspanne) lernen, ihre Gedanken, Gefühle und Wünsche auf den Punkt zu bringen. "Ich würde mich freuen, wenn ihr so was wie "Hurensohn“ nicht erwähnt“, sagt der Rapper Bacapon, der in Hamburg eine große Vorbildfunktion für die Jugendlichen auf den Straßen eingenommen hat, während Colos Kugelschreiber verteilt. In seiner Stadt suchen junge Menschen Trost und Rat bei ihm, hier in Berlin kennt ihn niemand. Zum Beat von Massivs "Wenn Der Mond In Mein Ghetto Kracht“ wird die ein oder andere Zeile zu Papier gebracht, in einer anderen Ecke des Raums lauschen weitaus weniger Jugendliche dem ehemaligen Sprüher Ben. "Graffiti ist Kinderkacke“, erklärt dieser resolut, während er mit zwei Stiften in einer Hand Buchstaben aufs Blatt malt. Kein Writer hat direkt mit spektakulären und großen Bildern angefangen ist die Grundaussage, die die Jugendlichen erst einmal verstehen müssen. "Du musst zuallererst eine schöne Handschrift haben, dazu macht man Tags. Da bekommt man einen Blick für die Proportionen.“ Schon hier lässt die Konzentration der Nachwuchs-Künstler nach. Das hatte man sich offensichtlich alles ein bisschen einfacher und weniger langwierig vorgestellt.
Der Tanzraum hingegen, in dem zeitgleich auch Grundbegriffe des Beat-Machens erklärt werden sollen, wirkt nahezu verwaist. Eine junge Frau in Jogginghose macht mit knapp fünf Kindern Aufwärmübungen, Sneezy und Sleepwalker sitzen am hinteren Ende der winzigen Turnhalle mit ihrem Equipment an einem Tisch und starren ins Leere. Viele wollen rappen, niemand scheint sich jedoch dafür zu interessieren, wo die musikalische Untermalung eigentlich herkommt. Auch die zaghaften Gesprächs-Versuche des Hamburger Produzenten, der mit zunehmend motzigem Gesicht an seinem Laptop herumfummelt, werden von einem blonden Mädchen in Nazar-T-Shirt zurückgewiesen. Der Berliner Kollege hingegen ergibt sich seinem Schicksal. Schließlich ist er nicht zum ersten Mal hier und hat als hauptberuflicher Erzieher vermutlich schon Schlimmeres erlebt. Die selbst gebastelten Diskokugeln aus Alu-Folie werden kurz darauf allerdings Zeuge eines denkwürdigen Abgangs, denn die Situation Tanzgruppe-Produzentenduo eskaliert. Als die Streetdance-Lehrerin fragt, ob man nicht mal ein bisschen Musik anmachen könne, verlässt Sleepwalker wutentbrannt den Raum. Fast erwartet man noch ein pubertäres Türenknallen.
Bei den Schreibern hingegen ist mittlerweile etwas Ruhe eingekehrt. "Die Texte sind sich alle ziemlich ähnlich“, sagt Bacapon, während er nachdenklich den Blick über die Jugendlichen schweifen lässt. "Die wünschen sich alle eine glückliche Familie und Geld.“ – die Dinge also, die ihnen im Alltag zumeist verwehrt bleiben. In der Arche bekommen sie aber zumindest Aufmerksamkeit, jemand interessiert sich für ihre Probleme. Insbesondere mit Rap lassen sich sozial benachteiligte und schwierige Kinder gut erreichen, meint Colos. Gerade das Verpacken eigener Probleme in Songtexte könne eine selbst therapierende Wirkung haben, die Dinge aufzuschreiben falle vielen leichter, als sie auszusprechen. Nach gut eineinhalb Stunden Vorbereitungszeit haben die Engagiertesten nun die Möglichkeit, ihre Texte den restlichen Jugendlichen vorzutragen. Wenig überraschend folgen nur vier Jungen der Aufforderung, den wenigen Mädchen war schon während der Ausarbeitungs-Phase die Motivation ausgegangen. Direkt der erste Akteur, mit eingezogenen Schultern und unsicherem Lächeln, sich mehr auf der Bühne versteckend als stehend, schafft es, zumindest die erwachsenen Zuschauer im Innersten zu treffen. In einem poetisch wie raptechnisch simplen Vortragsweise, erzählt er vom Tod seiner Mutter und schließt mit dem Satz "Ihre letzten Worte waren ‚Mach dir keine Sorgen!’“ Applaus brandet auf und in der nachfolgenden Stille scheint niemand so wirklich zu wissen, was nun zu sagen ist. Als der nächste Nachwuchs-Rapper das Mikrofon ergreift und darüber spricht, seinen Weg von unten nach oben zu schaffen und dabei trotzdem hart und true to the Street zu bleiben ("Gehe durch die Straßen und das auch in der Nacht – YO!“), scheinen die Verantwortlichen erleichtert aufzuatmen.
Während draußen die Graffiti-Sprüher in spe unter der fachkundigen Anleitung von Ben mittlerweile mit richtigen Dosen hantieren dürfen, ist auch Sleepwalker wieder aufgetaucht. Immer noch in höchstem Maße erregt, was einem mitgereisten Presseverantwortlichen langsam etwas unangenehm zu werden scheint. "Ich will nicht zusammen mit der Tanzgruppe in einem Raum sitzen! Ich komme extra 300 Kilometer hierher gefahren und gucke denen beim Zweitklass-Armwackeln zu oder was?“. Hauptaufreger ist für den Hamburger wohl das fehlende Interesse an Musikproduktionen an sich und nicht zuletzt auch an seiner Person. "Meine glorreiche Zeit war zwar vor acht Jahren, aber wir wurden hier überhaupt nicht beworben. Niemand wusste, dass Bacapon und ich komme! nIrgendjemand hat Schuld, ich weiß nur noch nicht wer. Eigentlich will ich es auch gar nicht wissen, sonst rege ich mich noch mehr auf.“ Die Frage, ob und warum ein Hilfswerk-interner Workshop eigentlich beworben werden muss, bleibt hierbei leider offen. Zumindest gibt der Ex-Produzent von Samy Deluxe aber zu, derartige Angebote für sehr wichtig zu halten. Schließlich habe Hip Hop auch ihn damals auf die richtige Bahn zurück gebracht.
Darum soll es bei den Workshops hier in der Arche eigentlich auch gehen. Spielerisch einen Weg finden, Probleme und Wünsche auszudrücken. Freude an etwas zu entwickeln, Aggressionen in Positives zu verwandeln und vielleicht auch endlich mal Bestätigung für etwas zu bekommen, was man tut. Der Rapper Bacapon ist für die Kinder seiner Stadt zu einem Vorbild geworden, auf dessen Wort sie hören und dem sie Vertrauen und Respekt entgegenbringen. Noch fehlt Berlin so eine Figur. "Jeder Bezirk hat seine eigene Mentalität. Hier in Hellersdorf sind die Kinder ganz anders als in Neukölln oder Kreuzberg.“, fasst Colos es zusammen. In einem Punkt sind er und sein Rap-Kollege aus Hamburg sich allerdings einig: "Wenn einer ein Vorbild innerhalb von ganz Berlin sein könnte, dann sido. Er denkt viel darüber nach, was er tut und sagt.“ und Bacapon fügt hinzu: "Nur wer Inhalte vermittelt, kann auch ein Vorbild sein.“
Der Tag neigt sich dem Ende zu und die Gäste aus der Musikindustrie verabschieden sich. Vielleicht hat nicht jeder Teilnehmer heute wahnsinnig viel erreicht, einen guten Text geschrieben oder ein beeindruckendes Graffiti gesprüht. Dafür wurden die Jugendlichen in ihren Belangen ernst genommen und ermutigt, etwas Eigenes zu schaffen. Geplant sind die Workshops noch bis Ende des Jahres im zwei Wochen Takt, danach soll der zweite "Deutschlands Vergessene Kinder“-Sampler erscheinen. Ein Tropfen auf den heißen Stein, aber irgendwo muss angefangen werden, wieso also nicht im östlichsten Randbezirk der Hauptstadt? "Wenn es nach dem finanziellen Aspekt geht, dürften wir das hier gar nicht machen“ sagt Ben und lächelt dabei etwas traurig. "Wir machen das für die Kids, wenn die von ihren Eltern schon nichts Gutes mehr mitkriegen, was wird dann, wenn sie mal eigene Kinder haben? Ich nehme das sehr ernst, vielleicht weil ich mittlerweile auch selbst Vater bin.“ Hip Hop, die Kultur, die seit ihren Anfangstagen den schlechter Gestellten und Benachteiligten Trost gespendet und sie zumindest temporär aus ihrem tristen Alltag herausgeholt hat. Wenn man Sozialpädagoge Samuel zuhört, wie er mit glänzenden Augen davon erzählt, dass der gewalttätigste Junge der Gruppe den bisher besten Text geschrieben hat, will man das auch gerne glauben.