I.G.O.R.

rap.de: Wie war die erste Zeit für dich in Deutschland, als du hier angekommen warst?

Igor: Sehr unangenehm. Asylbewerber halt, das Wort sagt eigentlich schon alles. Wir kamen 1990 hier an, da war ja Berlin auch gerade richtig am Abgehen. Im Osten war eigentlich gar nichts mehr los, da hat sich mehr verantwortlich gefühlt. Wir wurden gleich in ein Heim nach Lichtenberg gesteckt. Die Heizungen waren aus, in einem Zimmer waren gar keine Fenster drin. Das waren die ersten zwei Wochen Deutschland für mich. Dann hatten wir aber Glück, denn wir sind in ein anderes Heim in Wannsee gekommen. Ich war auch der erste von den ganzen Leuten, der auf eine deutsche Schule gegangen ist. Meine Mutter war die erste, die arbeiten gegangen ist und so waren wir dort nach eineinhalb Jahren weg. Wir hatten vorher null Deutschkenntnisse, null. Ich saß da mit meinen acht Jahren, meine Mutter hat mich wirklich gezwungen, Deutsch zu lernen. Heute bin ich ihr dankbar dafür, denn ich spreche besseres Deutsch, als manche richtigen Deutschen. In der Schule immer Deutsch Eins, Grammatik Eins, Zwei, kein Problem. Ich hab Abi gemacht.

rap.de: In deiner Bio steht, dass "die Straße nicht weit war“…

Igor: Ja, was heißt die Straße nicht weit. Straße ist für mich nicht Gangsterdasein. Natürlich geht man auf die Straße und macht Scheiße aber wenn ich jemandem ein halbes Kilo verkaufe, heißt das nicht, dass ich Gangster bin. Für mich ist ein Gangster was ganz anderes. Manchmal arbeitet man mit Gangstern zusammen, aber ich würde mich niemals als krassen Typen bezeichnen, auch wenn man mit solchen Leuten sogar in derselben Branche tätig ist. Man war als pubertärer Jugendlicher auch mit Kumpels unterwegs und hat natürlich probiert, irgendwie Cash zu machen. Man hat vielleicht auch ab und zu nicht so schöne Dinge gemacht, aber ich hab ein reines Gewissen. Ich hab keine Leute fertig gemacht oder irgendwie abgezogen. Man hat versucht, aus nichts irgendwie Geld zu machen.

rap.de: Was waren denn die nicht so schönen Sachen?

Igor: Sachen, wo ich jetzt zurückdenke und finde, dass es nicht hätte sein müssen, weil ich ja jetzt auch einen Sohn habe und so. Das war auf jeden Fall diese ganze Drogengeschichte, ein bisschen da verticken, ein bisschen da verticken und so. Das muss nicht sein, weißte? Da schmück ich mich auch nicht, damit.
Ansonsten haben wir ja eher verkauft. Sachen kaufen und verkaufen. Nummer Eins Marketing Move. Du kaufst was Billiges ein und versuchst, irgendeinen Dummen zu finden, der dir das teurer abkauft. Man verkauft geklaute Ware, verkauft jemandem das mit Rechnung, sorgt für alles und dann hast du offizielle Ware. Das ist auch kein Problem, da hast du einen Gewinn von dreihundert Prozent.

rap.de: Wurdest du dafür mal belangt?

Igor: Ich war ein einziges im Knast, in München, für 40 Stunden wegen meinem Pass. Ich habe meinen deutschen und meinen israelischen Pass vorgezeigt und die meinten nur: "Bist du behindert, so was darf man nicht besitzen, zwei verschiedene Reisepässe.“ Die deutschen Behörden haben mir einfach einen Reisepass gegeben, obwohl ich israelischer Staatsbürger bin und ich bin da zur Passkontrolle gegangen und die so: "Ja, komm mal kurz mit.“ (lacht) Das war auch lustig und ist auch ein bisschen Filmreif. In meiner Zelle saß da noch ein Kubaner, der hatte irgendwas mit Kokainschmuggel zu tun. Ich dachte nur: "Ist das euer ernst, Alter?

rap.de: (lacht) Dieser jüdische Russenstyle oder russicher Judenstyle, ist das eine Identität von dir?

Igor: Was heißt Identität, es ist ja Tatsache, dass ich das bin. Ich bin ja hier auch mit diesen Leuten aufgewachsen und von daher hat mich das natürlich auch stark geprägt.
Da hat das angefangen, dass man dann auch mit 15, 16 in Lederjacke mit den erwachsenen Männern gechillt hat. Aber ich habe Gott sei Dank gemerkt, dass das eigentlich nicht mein Ding ist, sondern im Endeffekt etwas, vor was meine Mutter mich auch immer gewarnt hat. Meine Mutter hat da ganz stark auf mich eingewirkt. Wir haben damals auch solche Sachen gemacht, dass wir mit 30, 40 Mann in einen Club gegangen sind, das Lokal war plötzlich voll, man chillt zwei Stunden und auf einmal steht diese Masse auf und geht. Der Kellner steht dann da und weiß nicht, wen er ansprechen soll. Er fragt dich und du sagst dann: „Ja, ja, der da hinten bezahlt“ und der nächste sagt dann dasselbe und immer so weiter. (Gelächter)

rap.de: Was glaubst du, was man für eine Mentalität mitbringen muss, um in einem Geschäft zu arbeiten, wo man die schwarzen Lederjacken trägt?

Igor: Man müsste einfach komplett abschalten können. Ich müsste jetzt so dasitzen können und dir das blaue vom Himmel erzählen können, obwohl ich weiß, es ist eigentlich der totale Dreck. Ich müsste dich wirklich verarschen und mit diesem Gefühl dann auch leben können. Ich kann das nicht, ich konnte auch zum Beispiel meine Exfreundin nicht belügen oder fremdgehen.
Wenn dein Chef sagt: "Geh mal dahin, der schuldet mir noch Geld“ und dann gehst du hin und der Typ sagt, dass er kein Geld hat und seine Frau steht weinend daneben, dann musst du es dir trotzdem nehmen. Ich bin das nicht und ich hab damit nichts zu tun.