Roger

Blumentopf, künstlerisch wie kommerziell eine der einflussreichsten und erfolgreichsten Crews der letzten zehn Jahre, ist seine musikalische Heimat. Doch nun ist Roger ausgezogen, die Leute auch alleine vor der Bühne und den Boxen zum Toben zu bringen. Der Mann hat eine Mission und mit "Alles Roger" aktuell sein erstes Soloalbum auf dem Markt. Grund genug, sich mit ihm in München zu treffen und ein Gespräch zu führen. Über Fußball, Blumentopf und nicht zuletzt die Musik an sich.

Rap.de: In den letzten beiden Wochen wart Ihr als Blumentopf im Zuge der Raportage besonders in das EM-Geschehen involviert – die Finalniederlage verdaut?

Roger: Ich muss sagen, die EM-Niederlage war so was von verdient herausgespielt, dass es gar nicht so schwer zu verarbeiten war- war ja nicht so ein ungerechtes Ding. Natürlich  wünscht man sich, wenn die Jungs schon im Finale stehen, dass sie das Ding auch gewinnen sollen. Man möchte ja auch vor allem die Raportage machen und nach Hause gehen und sich dann sagen, dass es geil war- und so war es halt eben nicht beim Endspiel. Aber eigentlich war es ja schon krass, dass die Mannschaft im Finale war. Das ist ja mehr als die meisten erwartet haben….

Rap.de: Die Geschichte hat ja einen gewissen Kultcharakter bekommen, auch in Erster Linie bei Leuten, die überhaupt nichts mit HipHop zu tun haben…

Roger: Ich glaube ehrlich, wir haben uns als Band mit der Raportage etabliert, auf einer ganz wahnsinnigen Art. Ich nehme an, wir bekommen von der ARD auch das Angebot für die nächste WM. Ich hab auch keine Ahnung, ob wir das machen, aber ich glaube wir hätten prinzipiell die Möglichkeit dazu. Soweit möchte ich mich mal aus dem Fenster lehnen.

Rap.de: Keine Bedenken, dass Ihr als „die Fußballrapper“ in eine Schublade gesteckt werdet, aus der ihr so schnell nicht mehr rauskommt?

Roger: Eigentlich besteht diese Angst nicht. Für mich ist das eine ganz andere Disziplin und ich würde das nicht als Konkurrenz zu unserer musikalischen Karriere sehen. Das Fußballding bei EM/WM läuft so nebenher und hat mit unseren grundsätzlichen musikalischen Schaffen wenig bis gar nichts zu tun. Das wird nicht in unsere Platten einfließen und umgekehrt auch nicht. Natürlich zeigen wir unsere Skills wie normal auch, aber wir gehen die Geschichte ganz anders an, als wenn wir normal Musik machen würden. Zum Ersten Mal produzieren wir kundenorientiert – das ist etwas, was wir beim Musik machen normalerweise grundsätzlich außen vorlassen. Wir bemühen uns, die Beiträge für die breite Masse verständlich und zugleich unterhaltsam zu gestalten. Bei unseren eigenen Dingen ist es primär wichtig, dass wir selbst es unterhaltsam finden und wir es verstehen, ob es jemand anders tut ist eigentlich Wurst. Aber wenn du für die ARD tätig bist, ist das schon eine ganz andere Geschichte. Du möchtest das ja vernünftig und cool machen und  bist gezwungen dich bei der Umsetzung nach den TV-Bildern zu richten. Da kann man auch nicht die illsten Vergleiche machen, das würden ja die Wenigsten nachvollziehen können. Auch muss man zum Beispiel mit einer Niederlage ganz anders umgehen. Man darf zwar nennen, woran es gehapert hat, aber du kannst nicht anfangen die Mannschaft zu beschimpfen, wie du es vielleicht privat machen würdest. Aber grundsätzlich habe ich  keine Angst, dass wir die Sportschaurapper werden. Manche  Typen fanden uns schon immer Scheiße und die werden uns danach auch nicht cool finden.

Rap.de: Wann hat sich bei Dir die Erkenntnis durchgesetzt, dass du Solo als Roger was rausbringen solltest?

Roger: Ich muss sagen, es war nicht so, dass ich seit Jahren den Traum hatte ne Soloplatte zu machen. Das hat sich einfach so ergeben die Platte zu machen. Ich hab halt immer Musik gemacht. Früher habe ich auch immer dafür lange gebraucht. Das lag vor allem daran, dass ich im Studio prinzipiell abhängig war von jemandem, der Beats macht oder ich hab einfach etwas über Amisachen gerappt. Irgendwann hab ich angefangen, selber Beats zu schrauben und dann ging das mit dem Aufnahmen eigentlich ratzfatz. Habe Tracks gesammelt über einen Zeitraum von bestimmt drei Jahren, dann aber alles weggeschmissen, weil das insgesamt so ein Misch-Masch mit meinen neueren Dingen gewesen wäre. Irgendwie habe ich mich auch nicht mehr repräsentiert gefühlt von der Art und Weise, wie ich die alten Sachen musikalisch angepackt habe. Vor einem Jahr hab ich dann halt wieder angefangen an ein paar Sachen zu arbeiten, aber ohne den festen Plan, zu diesem genauen Zeitpunkt bringe ich das Album heraus und zu diesem Termin sind dann die Strukturen und Kapazitäten für einen Release vorhanden. Aus dem Umstand, dass der Wunder gerade seinen Doktor in Physik macht, hat sich eben eine kleine Bandpause ergeben und dann waren wir anderen der Meinung, dass dies der richtige Moment sei, seinen Soloaktivitäten nachzugehen.Wenn nicht jetzt, wann dann? Es gab einfach keine faulen Ausreden mehr, schon davor hat mein Umfeld mich bestärkt, meine Sachen rauszubringen, aber ich hab niemanden eigentlich glauben wollen. Nicht, weil ich mir unsicher war, sondern weil mir das Ganze einfach zu actig war. Aber jetzt hat es einfach gepasst.

Rap.de: Der Albumtitel „Alles Roger“ ist ja durchaus wörtlich zu verstehen. Du bist von der Produktion bis zur Umsetzung überwiegend eigenverantwortlich.

Roger: Das  hat sich eigentlich schon bei der vorletzten Topfplatte ergeben. Ich hab da ein bisschen reingegriffelt und versucht meine Vorstellungen einzubringen. Davor hab ich immer versucht zu erklären, was ich gerne haben wollte und es ist relativ schwer Musik zu erklären, so nach dem Motto “Mach mal, dass der Chorus geil ist“ und dann hieß es immer „Danke Roger – das ist ja ein sehr guter Tipp!“ Man hat halt seine Gedanken im Kopf und möchte sich daran beteiligen, es ist halt nur schwer, das konstruktiv umzusetzen, wenn man sich nicht mit den Geräten auskennt und man nicht mit den technischen Möglichkeiten vertraut ist. Das wollte ich einfach ändern. Dass das gar nicht so einfach ist, hab ich dann auch gemerkt. Aber das produzieren macht halt Sauspaß. Schon beim nächsten Album "Musikmaschine“ hab ich mit dem Cajus zusammen viele Tracks für die Band erarbeitet und vorbereitet. Ich war halt langsam auf dem Level und jetzt kann ich selbst eigenständig produzieren und nicht nur so „Wow toll der Rapper der jetzt auch selber produziert“–mäßig sondern das, was ich abliefere, ist auch richtig amtlich. Texten tun wir eh schon selbstverständlich immer alle selbst und für die Grafik war ich  bei den Blumentopfsachen schon immer persönlich zuständig. Aus diesem Grund war es für mich auch klar, dass ich jedem Bereich selbst gestalten will, wenn ich das Projekt Soloplatte anpacke, damit mir da keiner reinquatschen kann. Ich wollte das einfach alleine durchziehen.

Rap.de: Ich stelle es mir trotzdem ein wenig schwierig vor, wenn man, anders als in gewohnter Arbeitsweise, auf sich alleine gestellt ist, ohne prinzipielle Rückversicherung und ohne die Gewissheit, dass die ganze Geschichte in die richtige Richtung läuft.

Roger: Ich hab auch lange genug gebraucht, um mit dem Ergebnis zufrieden zu sein. Ich bin selbst mein größter Kritiker. Es kommt eh immer jemand, egal ob aus der eigenen Band oder jemand anderes, der seinen eigenen Geschmack irgendwie einbringen will, weil jeder sich für den besten Experten hält. Genau das wollte ich vermeiden. Aus diesem Grund habe ich mich auch während der Produktionsphase mit niemandem besprochen. Ich wollt diesmal schauen, was ich so zu Stande bringe, wenn mir da keiner reinredet und ob ich danach selbst  damit zufrieden bin. Ich wollte wissen, ob ich diese Hilfe wirklich bräuchte und welchen Stil ich eigenständig ohne Zutun anderer entwickeln würde. Was mich letztendlich daran eigentlich erstaunt hat ist die Tatsache, dass das, was ich abgeliefert habe, sich nicht Welten vom Topf-Style unterscheidet. Das zu begreifen war auch ein gutes Gefühl und eine Bestätigung dafür, dass ich mich anscheinend ganz gut in das Gesamtprojekt „Blumentopf“ einbringe und die Art, wie ich das insgesamt anpacke, genau mein Ding ist. Wenn du so Typen wie mich fragst, kannst du sowieso keine einheitliche Meinung erwarten. Da frag ich gleich besser gar nicht. Ich hab mich ohne Scheiß mit keinem besprochen bis zum Mix hin, da hab ich mich dann mit dem BuBu-Styles kurzgeschlossen, aber da ging es vielmehr darum, welche Spur bounct. Ich hab nie das Gefühl gehabt, jemanden zu brauchen, der mir sagt, dass ist alles ganz toll, was ich da fabriziere – ich bin da kritisch genug. Ich weiß ganz genau, dass ich das Album nächste Woche hasse und dann die Woche darauf das Album sehr mag. Wie soll ich mich dann da verlässlich auf die Meinung Anderer stützen können?
 

Rap.de: Du hast bis auf Nico Suave, Orange Son und Ferdi wenig Features auf deinem Album. Ich kann mich erinnern, dass bei Topfplatten das Argument gegen viele Kollabos immer der Aspekt war, dass ihr alleine schon vier MC´s seid und jeder seinen Part droppen möchte. Nun warst Du eigentlich alleine…

Roger: Eigentlich ist der Nico das Einzige richtige Rapfeature. Orange Son ist zwar im Chorus bei "Backpacker“ dabei, aber es ist kein richtiges Rapfeature mit Sechzehner und der Ferdi hat eine Hook gesungen. Die wenigen Gäste haben sich so ergeben, weil ich das Ding für mich gemacht habe. Auch bremst ein Feature die Arbeit manchmal sehr, aufgrund der Tatsache, dass es hierzu einiger Abstimmungen bedarf. Das war halt mal ein Album ohne Abstimmungen. Als Nico seinen Part zu "Ab & Zu“ eingerappt hat, hatte ich eigentlich schon alles. Wie haben uns nicht gegenseitig in die Parts reingepfuscht. Er hat mich zwar gefragt, wie ich seinen Part finde, aber wenn er selbst für ihn cool ist, dann ist er es auch für mich, da es Nicos  Part auf der Platte ist. Er ist da kritisch genug. Und wenn mir etwas nicht passt, dann sag ich da schon was. Das war halt das Prinzip bei der Platte, dass es „die-nicht-reinreden-Platte“ ist und damit bin auch zufrieden. Die wenigen Gäste liegen auch an meiner Arbeitsweise für dieses Album. Ich hab die Platte halt in meinem Zimmer aufgenommen, sprich man hat da keine Studiosessions ausgemacht, wo irgendwelche Leute eingelaufen sind. Ich bin halt um drei Uhr Nachts aufgestanden, hab halt was gemacht wenn mir danach war und dann hab ich mich halt danach wieder hingelegt. Da waren Features halt schwer berechenbar. Außerdem wollte einfach ganz frei von irgendwelchen Zwängen recorden, arbeiten einfach ohne Kompromisse. Es ging mir da mehr um diesen gewissen Schnappschusscharakter.

Rap.de: Schnappschusscharakter?

Roger: Es kam mir sehr drauf an den Augenblick einzufangen. Egal ob Du wütend bist oder gut drauf, dass Du diese Emotion ohne groß zu reflektieren direkt in einen Track verarbeitest. Du genau in dieser Stimmungslage das Lied machst und dann es in einem Aufwasch fertig stellst, ohne jetzt zu daran denken, dass morgen die Welt anders aussieht. Ich wollte halt diesen einen Vibe innerhalb eines Songs. Das vermisse ich oft an der Musik, dass zu selten klare Aussagen getroffen werden, wie „es ist alles scheiße“. Dann ist halt im Augenblick alles scheiße, obwohl Du genau weißt, dass deine Eltern cool sind  und es uns allen gut geht und blabla! Aber es gibt so Momente, da fühlst Du das trotzdem und dann darfst Du gar nicht soviel drüber nachdenken, sondern musst versuchen, diesen Vibe in ein Lied zu packen. Das ist das, was ich mit dem Schnappschusscharakter meine. Es ist halt etwas passiert und ich hab einfach versucht in dieser Stimmung alles zu machen. Den Beat, die Aufnahme – eben  einfach das Lied fertig in einem Zug…
 

Rap.de: Beim Hören ist mir aufgefallen, dass Du Dich nicht diesem imaginären Wettlauf von Technik-Flows-Fetischismus unterworfen hast. Einige Passagen klingen sehr reduziert. Hattest Du Sorge, dass die Aussage in den Hintergrund gerät oder war es wirklich nur aus der Überlegung heraus, den bestehenden Moment und Gefühl einfacher zu transportieren?

Roger: Ich wollte den einfach den direkten Weg. Das andere ist irgendwie sowie Haken schlagen und genau das war für mich diesesmal nicht drin. Für das nächste Mal vielleicht kann ich mir das wieder vorstellen, ein bisschen mehr den Schwerpunkt auf die Technik und die Flows zu legen. Aber das sind eigentlich Kapriolen. Das ist ähnlich wie der Typ, der das schnellste Gitarrensolo spielt, aber dem einfach die Tiefe fehlt. Technikrapper sind schon geil und da ist auch grundsätzlich nichts dagegen zu sagen. Aber wenn Du ein Busta Rhymes-Album hörst und Du denkst „Wow die Beats sind geil und das geht voll ab“ und Busta geht voll ab, aber wenn Dich jemand fragt, was er denn so erzählt, hast Du leider keine Ahnung und weißt nur noch, dass er irgendwie „.Woo Hah!!“ gesagt hat, dann ist das auch nicht der Sinn. So eine Platte wollte ich nicht haben. Ich steh auf Rapper wie Rasco und so, von ihrem Flow her. Die fassen Doubletime gar nicht an. Das können andere machen und das können viele sehr gut machen. Aber „Alles Roger“ ist keine Technikplatte, es soll vor allen Dingen eine ehrliche Platte sein. Manchmal ist Technik einfach zum kaschieren da und ich weiß wie das geht, ich kenn das – ich bin Zeichner. Mit einer tollen Technik kann ich Dir ein Bild malen, das irgendwie super aussieht, aber eigentlich total scheiße ist, weil ne Zahnbürste drauf ist oder so. Und so ist Technikrap auch ein bisschen. Du kannst Lieder machen, die unglaublich toll klingen mit fünfstimmigem und dreimalgedoppelten Doubletime und hast dann ein Lied und jeder flippt total aus…

Rap.de: Warum ist „Alles Roger“ nicht das nächste Blumentopfalbum? Und worin unterscheidet es sich deiner Meinung nach im Gros des Konsens der anderen Platten?

Roger: Es zieht schon bisschen das „Musikmaschine“-Ding was ich da gemacht habe ein bisschen weiter, denke ich. Es ist halt jetzt meine Richtung von dem Ding. Wenn man natürlich den Ansatz vom Sepalot sieht, hat er auch schon in „Musikmaschine“ etwas drin, was er jetzt mit „Red Handed“ weiterführt. Jeder geht so seinen Weg. Bei Cajus hat man gemerkt, dass er saucool rappen kann und darauf konzentriert er sich jetzt mehr bei seinem Solostuff. Wie die nächste Blumentopfplatte klingen wird, bin ich selbst gespannt, aber das ist ja Coole, dass ich das jetzt selbst noch nicht weiß. Ich hab zumindest durch das Album für mich jetzt gelernt, was ich ganz gut kann. Das wird allen Anderen auch so gehen. Jeder Einzelne wird bei seiner Soloplatte merken, was er oder was man denkt, was man sehr gut kann und wird  versuchen, das bei der nächsten Blumentopfplatte einzubringen. Wir werden uns alle wieder einschließen und schauen, wie wir das wieder auf einen Nenner kriegen. Sehr interessant wäre es natürlich, wenn wir das nicht auf einen Nenner kriegen und was total Wirres machen! (lacht)

Rap.de: Trotz allen oberflächlichen Anscheins ist es ja nicht eine riesige Überraschung, dass Du Gesangsparts auf den Album hast. Das hast Du ja schon vorher auch gemacht. Kann es nicht einfach so sein, dass durch den mangelnden Einfluss der anderen Topfmitglieder „Alles Roger“ einfach pur Roger ist so wie Du schon Musik begriffen und erarbeitet hast oder hast Du Dich auch zu einem gewissen Grade weiterentwickelt?

Roger: Beides. Es ist wirklich Beides. Man kann schon sehen, dass der Sound ein anderer wäre, wenn ich meine frühere musikalische Herangehensweise an den Tag gelegt hätte. Ich habe ja meine alten Tracks auch noch, da ist schon ein gewisser Vergleich möglich. Der Sound ist einfach anders, aber ich habe jetzt auch wiederum Sachen gemacht, die wieder komplett anders sind. Ich bleibe nicht stehen. Das Album ist eine Selektion von den Sachen und die ergeben schon ein stimmiges Gesamtbild. Mir ging es  auch nicht drum, das ganze Game neu zu erfinden, das verstehen die Leute falsch. Ich wollte etwas Klassisch-Modernes abliefern. Ich wollte Musik kreieren, die nicht diesem Modeaspekt unterliegt,  so dass in einem Jahr es einfach keiner mehr hören kann aber gerade im Moment alles so klingt! Das ist für mich Bullshit. Ich hab eine Platte gemacht, bei der die Hörer auf den ersten Blick nicht ausrasten, weil sie so was noch nie gehört  haben und kurzweilig davon geflasht sind. Bei solchen Platten sagst Du: „Habe ich noch nie gehört“ und in einer Woche bist Du dann auch der Ansicht, so etwas auch nie wieder hören zu wollen. Das ist der tolle Aspekt daran. Mein Sound ist mehr die Bluejeans und der normale Kaffee, mit denen Du noch in 20 Jahren genauso auf die Straße gehen kannst und jeder wird es für lässig halten. Es ging mehr darum ne coole Platte zu machen und dem ganzen Ding eine höhere Halbwertszeit zu geben. Und nicht immer dieser Schranz: „Damn, sind wir innovativ- wir machen jetzt Elektro!

Rap.de: Ist das genau der Grund, warum Du Dich primär bei der Soundgrundlage auf Instrumentalbeats mit Gitarren/Klavier und Rockeinflüssen stützt? Ist das eine bewusste Abgrenzung zum technoiden Einfluss der im Moment gerade sehr bestimmend ist?

Roger: Ich mag da schon die Mischung. Ich spiele meine Akustikgitarre, Beatbox drüber und leg einen relativen Technosynthie drüber- das ist schon alles vorhanden. Ich bin auch nicht der Meinung, dass man jeden Viererloop im Soulsampler haben muss bis zum Ende aller Zeiten und das immer toll klingen würde. Der Sound auf meiner Platte ergibt sich dadurch,  dass ich das alles selber eingespielt habe und auch ganz wenig Samples verwendet wurden. Da ist meine Gitarre das absolut tragende Element. Die Bandbreite reicht aber von totalklassischen Songs mit fast nur Gitarre, Schlagzeug und einem Livebass bis zu Sachen von denen man eher behaupten könnte, es wären Rockcomputerdinger mit Synthies über die dann die eine E-Gitarre drübergelegt wurde. "Vorbye“ zum Beispiel hat so einen gewissen Halbsound. Ich halte das ein bisschen wie bei den White Stripes, die mit ihren Sachen sehr klassisch umgehen, aber neue Sachen daraus entwickeln. Oder du nimmst diesen Typ James Morrison, der mit der Gitarre dasteht,  aber eigentlich Songs macht wie vor vierzig Jahren und dass eigentlich nur neu für heute übersetzt und überträgt. Ein Song muss funktionieren, auch nur mit einer Gitarre. Das Außen herum blendet mehr und ein fresher Sound ist immer geil, aber für mich war es wichtig Songs zu haben, die nicht von diesem Knallding leben und nicht durch die Neonfarbe zu leuchten anfangen. Bei dem Du Dir sicher bist, dass er auch auf dem Klavier funktionieren würde, das macht einfach einen coolen Song aus. Vielleicht ist es dieses Songwriterding, das den Elektro bei mir ein bisschen ausgegrenzt hat. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich das nie anders machen werde.

Rap.de: Trotzdem passt das Album nicht in die derzeit gängige Schablone, wie sich ein HipHop-Album anhören muss. Hast Du Bedenken, dass diejenigen, die man oberflächlich als 0815-HipHop-Fans bezeichnen würde, dein Album ignorieren bzw. nicht zu schätzen wissen werden?
 
Roger: Ich weiß schon, dass das Album nicht schlecht läuft gerade. Es wird eigentlich sehr gut angenommen, bisher habe ich insgesamt positive Resonanzen, da mache ich mir eigentlich keine Sorgen. Beim Musik machen habe keinen Gedanken daran verschwendet  wie es auf die Leute wirken könnte. Ich bin in erster Linie froh dass es mir gefällt und wenn es dann anderen auch gefällt ist das natürlich geil. Vor dem Release habe ich einige Livekonzerte gespielt und weiß dass es auf keinen Fall daneben liegt. Die Arbeit ist es dafür zu sorgen dass es alle mitkriegen, dass es so ein Album gibt. Aber so war es auch schon immer bei Blumentopf – und dieselbe Arbeit  hat man z.B. auch bei Dendemann. Wenn Du was Angenehmes machst, dann wirst Du angenehm ignoriert! Und wenn Du was unangenehmes machst, egal ob es scheiße ist, Hauptsache ist, dass die Leute sich das Maul zerreißen, dann bewirkst das natürlich Aufmerksamkeit. Das ist die Art und Weise, wie die Medien funktionieren. Mein Album ist halt angenehm aber geil. Jetzt geht es halt darum, dass die Leute es mitkriegen angesichts von fünf Millionen So und So myspace-Seiten….

Rap.de: Liegt nicht genau darin die Chance und die Stärke des Albums aufgrund seiner Vielschichtigkeit sich einem Publikum präsentieren zu können, das prinzipiell HipHop als Musikrichtung nicht ernst nimmt und mit dem Status Quo, wie sich die Szene in den Medien darstellt, sowieso überhaupt nichts anfangen kann?

Roger: Es ist ja nicht so dass der derzeitige HipHop so ist wie drei Sachen für die MTV noch Zeit hat zu bringen.  Was natürlich gerade angesagt, wofür geworben wird und worin Geld reingesteckt wird ist auf jeden Fall etwas anderes als mein Zeug. Aber ich weiß, dass es genug Leute gibt die auf so was warten und ich denke eine Hörerschaft zu haben, die man jetzt nicht mehr ganz klar als HipHop-HipHop einstufen kann. Es umfasst ein breiteres Spektrum. Aber das ist dasselbe wie bei Blumentopf auch. Da kommen Rockfans und sagen, ich mag das HipHop-Zeug nicht aber euch find ich cool und das wird mit meiner Platte auch passieren. Eigentlich ist sie schwer zu platzieren, ich steh halt dazwischen mit meinem Sound. Es gibt halt Lieder die klassisch HipHop sind und es gibt Tracks, die man hört und nicht als Erstes automatisch in das HipHop-Regal greifen würde, um sie zu finden. Wenn man es Magazintechnisch betrachtet, dann ist es für die Intro zu Rap und für die Juice ist es dann wahrscheinlich zu wenig Rap. Du bist halt zwischen den Stühlen…

Rap.de: …oder zu poplastig für so manchen Head! Man hat manchmal den Eindruck dass manche Gesangshooks eine gewisse Popaffinität haben. Wie gehst Du damit um?

Roger: Also wenn ich jetzt sagen würde, ich stehe auf schöne Melodien, dann klingt das blöd…(lacht) Mir ist das schon bewusst, wenn ich die Sachen anhöre. Nach meinem Geschmack sind die Hooks so cool wie sie sind und es gibt ein paar Songs, die schon poppiger sind als man das wahrscheinlich von mir erwarten würde.  Aber die sind auch dem Augenblick entsprungen und haben dadurch auch ihre Berechtigung. Es ist jetzt nicht so dass ich mir jetzt den Stress mache zu glauben, ich werde jetzt immer poppiger. Das hat sich einfach so ergeben. Und das passt so wie es ist genau in das Lied. Darum ist es auch gut wie es ist. Man könnte natürlich einen auf Zwang machen und bloß, weil ein paar Leute sagen würden, es wäre zu poppig, einen schlimmen Chorus draufsetzen. Das war mir aber komplett egal. Jedes Lied musste halt für sich aus stimmig sein und manchmal war der gesungene Hook einfach da. Und wenn man sich um gute Melodien bemüht dann ist halt manchmal auch poppig!

Rap.de: Es gibt viele persönliche Momente auf dem Album, bei denen Du dem Hörer auch einen intimen Einblick in deine Familien- und Gefühlswelt gewährst. Gibt es für Dich Tabus in der Privatsphäre, die Du öffentlich nicht mitteilen würdest?

Roger: Na klar. Manchmal mach ich einfach Parts, wenn mich etwas beschäftigt, lösche die vielleicht gleich auch wieder, wenn ich merke dass es zu krass kommt, weil ich gewissen Grenzen für mich nicht einhalte. Auch ein Beispiel dafür ist der Track "Oben ist Unten“- den habe ich vom Album gekickt weil es für die Leute, die ich erwähne oder bei der Begebenheit dabei gewesen sind zuviel gewesen wäre. Wenn es nur um meine Person ginge, wäre das völlig in Ordnung gewesen. Ich habe kein Problem, Sachen über mich Preis zu geben. Ich wollte bloß  niemanden aus meinem Umfeld da mit rein ziehen und somit  einer gewissen öffentlichen Diskussion aussetzen.  Diese Entscheidung habe ich allein gefällt- die Leute wussten gar nichts von dem Glück, dass sie in dem Track erwähnt werden. Wenn ich Sachen über meine Eltern erzähle, möchte ich nicht, dass die Leute das wissen. Das ist dann das, was mich wahrscheinlich von Eminem unterscheidet. Damit kann man bestimmt auch ein bisschen Geld machen, indem man schonungslos immer alles erzählt und so auch einen gewissen Schockeffekt provoziert. Aber für mich habe ich da eine klare Grenze gezogen habe.

Rap.de: Du hast mit "Backpacker“ einen klassischen Representertrack als Streetsingle und mit "Nichts und Niemand“ als erste offizielle Single einen kleinen Gegenentwurf. Warum hast Du Dich dafür entschieden?

Roger: Bei der Singleentscheidung habe ich mich völlig ausgeklinkt. Ich habe mit der Band eine lange Erfahrung an Fehlentscheidungen über die richtige Singleauswahl und danach wusste natürlich jeder besser, welche die richtige Single gewesen wäre. Aus diesem Grund habe ich die Plattenfirma und Radiopromoter über die erste Single entscheiden lassen. Für mich ist das nicht das große Problem, weil ich die Platte geil finde und ich eigentlich mit allen Tracks als Single cool gewesen wäre, außer sie hätten das Interlude ausgewählt dann hätte ich natürlich eingegriffen (lacht). Ich hab mich zurückgelehnt und war gespannt, was denn so ausgewählt werden würde, auch aus der Tatsache heraus, dass mir wohl ein wenig die Distanz fehlt das richtig einzuschätzen. "Nichts Und Niemand“ hat klassische HipHop-Drums, eingespielte Liveinstrumente, einen gesungenen Chorus und Raps die auf jeden Fall durchgehen. Der Track ist radiotauglich, einige Sender haben den Song auch im Programm, was sehr cool ist. Für die nächste Single sollte man eher etwas auswählen, das mehr diesen Schnappschusscharakter des ganzen Albums verkörpert und zugleich eine wahre Geschichte erzählt. Es gibt halt zwei Kandidaten und ich werde bei den nächsten Liveshows testen, welcher Track von Beiden die bessere Resonanz hat. Auch das Video muss passen, supersoulig am Besten in Super8 gedreht, damit ich das Ding exemplarisch für Album herumzeigen kann und sagen kann, so ist die ganze Sache gemeint und nicht anders!


Rap.de: Bei Konzerten bist Du mit Band unterwegs, hast aber auch die Möglichkeit mit Roger Reckless im klassischen MC/DJ-Set zu performen. Warum prinzipiell mit Band?

Roger: Wer die Platte gehört hat weiß, dass viel live eingespielt ist. Dadurch ist es logisch, dass man bei einigen Liedern von diesem klassischen nur Plattenspieler-HipHop-Ding weiter weg ist. Folglich ist es gut dass man die Livesituation mit einer Mischung angeht: Die Drums kommen von Platte aber der Rest von der Band. Das ist auf jeden Fall interessant es so zu machen. Ist zwar ein bisschen stressiger zu planen, als ich das gedacht habe, vor allem wenn man das alleine organisiert. Schon einen gemeinsamen Probetermin zu kriegen ist schwer. Der ganze Aufwand ist es dennoch wert, wenn man sieht, wie das Ganze live abgeht. Ich wollte beide Sets haben. Beim Liveding hat natürlich die Sache mit der Band Vorrang. Aber ich mag es auch mit dem Roger Reckless aufzutreten, da gehen wir die Geschichte auch stilistisch ganz anders an. Manchmal lohnt es sich halt nur mit DJ, vor allem in kleineren Clubs, und dann müssen wir die Sache ganz anders droppen. Im Endeffekt sind das zwei völlig verschiede Shows.

Rap.de: Du bist Ende September/Anfang Oktober auf ausgedehnter Tour durch Deutschland/Österreich und der Schweiz. Was kann der Konzertgänger erwarten? Du hast mit Blumentopf, was das Livenentertainment betrifft, die Meßlatte ja sehr hoch gesetzt und musst nun mit deiner eigenen Show einen gewissen Ruf auch gerecht werden. Wie gehst Du mit den wohl kommen Publikumsrufen nach "Partysafari“ und anderen Blumentopfklassikern um?

Roger: Die habe ich schon hinter mir. Livetechnisch weiß ich mit was ich konkurriere und was die Leute von mir erwarten. Ich hab gemerkt, dass ich die Bühne alleine rocken kann und trotzdem kein „Partysafari“ kommt. Das ist eine Rogershow und es käme ein bisschen ärmlich und billig rüber Lieder zu bringen, die einfach zu viert gerappt werden. Das bekommt den üblen Nachgeschmack von einer Blumentopf-Light-Version und das soll es nicht sein. Man kann erwarten, dass wir vor der Tour noch mal ins Studio gehen und uns was Besonderes einfallen lassen. Da werden in paar Blumentopfsongs anklingen und ich spiele noch so ein kleine Topf-Medley aber in besonderer Umsetzung, wie es wohl die wenigsten erwarten würden. Der Reckless wird bei der Show mitrappen und wird auch ein paar Solosachen machen .Wir haben auch ein paar gemeinsame Plattenspielertricks auf Lager. Das wir auf  jeden Fall geil. Zudem ist Nico Suave bei der Tour mit von der Partie und der war schon immer live eine Bombe. Wir machen halt eine Show, die man wenigsten noch nicht gesehen hat. Das ist der große Vorteil an seiner ersten großen Tour. Da ist wirklich alles neu. Aber kann man erwarten dass die Leute von der insgesamten Performance vollends auf ihre Kosten kommen werden- das kann ich zumindest versprechen.

Rap.de: Wie beurteilst Du schlussendlich deine Situation als Soloartist? Ist das für Dich auch neben der Bandkarriere ein Zukunftsmodell und auch eine Art Plan B als Option nach der Bandkarriere?

Roger: Diese Überlegung kam mir eigentlich erst als ich die Platte rausgebracht habe. “Alles Roger“ wird mit Sicherheit nicht das letzte Soloalbum sein. Das hat auch nichts mit Blumentopf zu tun. Ich sehe nicht wie das mit der Zukunft der Band kollidieren sollte. Ich bin schon wieder am rumwerkeln bei Liedern von denen ich weiß, dass das nicht unbedingt Topfzeug ist. Da die anderen noch eine Zeitlang mit ihren Releases beschäftigt sind, habe ich auch noch ein wenig Zeit herumzuexperimentieren. Wahrscheinlich werde ich alles wegwerfen, was ich jetzt gerade so anstelle. Man kann es eher als Warm-Up für die nächste Aktion verstehen. Sollte die Solotour gut laufen, ist die ganze Geschichte natürlich auch eine Option für weiteres künstlerisches Schaffen. Aber ich mache meine Entscheidungen nie von solchen Dingen abhängig. Ich hab meine Grafiksache und die mache ich auch nicht, weil ich an meine Rente denken muss, sondern weil sie mich inspiriert. Jetzt weiß ich wenigstens, dass ich durch die Sologeschichte noch ein weiteres Ventil habe, etwas künstlerisch rauszulassen, auch wenn die anderen an einem Tag mal keine Zeit haben sollten. Ich habe mir mit der Sache ein Stück mehr Freiheit gegönnt… Das ist alles…