Nach dem ersten Streich mit Damion Davis, lassen wir die Herren Dexter und V.Raeter auf Deutschlands absolute Nachwuchshoffnung Morlockk Dilemma los. In diesem Fall passt die Mischung schon aus dem Grund, weil unsere Interview-Produzenten beide auch auf Dilemmas to-go-for und to-listen-to Album "Omnipotenz In D-Moll" mit ihren Produktionen vertreten sind. Außerdem sei an dieser Stelle daran erinnert, dass genau jener Herr Dilemma mit einer unfassbar lesenswerten Kolumne über "Feuer Über Deutschland 2" unsere "Aus der Szene, für die Szene"-Reihe gestartet hat. Nun präsentieren wir euch das Protokoll einer Konferenz unter Arbeitskollegen. Gute Sache das.
V.Raeter: Hallo lieber Morlockk, wie geht’s dir?
Morlockk Dilemma: Es geht mir blendend. Nein, nicht blendend, es geht mir wie immer.
V.Raeter: Ich erlebe dich immer als sehr freundlichen und lustigen Zeitgenossen. Du lebst also in den Texten deine andere Seite aus? Stichwort: Bloody Cartoons…
Morlockk Dilemma: Naja, ich bin auch in den Texten sehr freundlich und lustig. Kommt auf den Humor an, den der Zuhörer hat. Das „Bloody Cartoons“-Ding ist einfach bloß eine ans Absurde grenzende Überspitzung der Sachen. Das lässt sich auf alles übertragen. Ich bin wie jeder andere auch. Mal geht’s mir gut, und mal nicht. In der einen Sekunde halte ich mit dir ein lockeres Schwätzchen über die Leichtigkeit des Seins, und im nächsten Moment möchte ich dich zu Staub zermalmen, weil dein Verhalten keinen anderen Schluss zulässt, als dass du der Inbegriff des Bösen bist. Nein mal im Ernst, ich bin geradezu ein Harmoniejunkie, aber glaube daran, dass es nicht nur Licht oder Schatten gibt. Wer mich kennt, weiß, dass ich ein sympathischer Haudegen bin, bei aller Bescheidenheit. Ich habe so viel Liebe zu geben. Daraus kann man ableiten, zu wie viel Hass ich in der Lage bin.
Dexter: Apropos Liebe geben: Es herrscht ja doch ein gewisser Undergroundhype um deine Person. Die Leute mögen dich, egal ob das nun der typische Backpacker ist oder die Bling Bling Fraktion. Auch die Juice erwähnte dich oftmals in ihrem Jahresrückblick 2007 und Falk "Hawkeye" Schacht scheint mir auch einen an dir gefressen zu haben. Was gedenkst du zu tun um diesen Hype aufrechtzuerhalten?
Morlockk Dilemma: Ich mach alles so, wie ich es gemacht habe, bevor mich diese Leute mochten. Natürlich hat mich der Hype verändert. Ich putz mir zum Beispiel jetzt mit Sekt die Zähne und benutze ein 1:1 Replikat des heiligen Grals als Aschenbecher. Aber musikalisch mache ich den selben Crap wie vor 3 Jahren, nur besser. Hawkeye meinte letztens irgendwo, er habe die Büchse der Pandora geöffnet, indem er mich empfohlen habe. Jetzt will natürlich jeder Horst eine Empfehlung von ihm. Ich könnte ihm daher auch aus reiner Nächstenliebe verzeihen, wenn er mich nicht mehr erwähnt. Ich weiß ja, dass er meine Sachen feiert. Und ich weiß auch, dass er weiß, dass alle Menschen, die mich nicht feiern, ignorante Unmenschen sind. Und ich weiß, dass er damit Recht hat.
Dexter: Hast du eigentlich Angst, dass dieser Hype ganz plötzlich wieder verpufft?
Morlockk Dilemma: Nein, ich habe nur Angst davor, von Charlotte Roche vergewaltigt zu werden. Im Ernst, ich bin mir sogar sicher, dass der Hype weniger wird. Ich muss mich bloß jetzt schon seelisch darauf vorbereiten, dass ich in einem halben Jahr weniger Heiratsanträge und Briefbomben bekomme. Ich werde also in kein psychisches Loch fallen. Aber vielleicht ist das alles hier erst der Anfang einer Karriere voll demagogischen Zaubers.
Dexter: Ein Ende deines Hypes ist ja auch im Moment wirklich nicht abzusehen. Ich würde sogar eher vom Gegenteil ausgehen: Am 29. Februar erschien dein drittes Soloalbum "Omnipotenz In D-Moll". Was hast du dir damit für Ziele gesteckt und was wird uns auf den Tracks erwarten?
Morlockk Dilemma: Keine Ziele, keine Erwartungen. Es ist einfach ein weiteres nichtiges Puzzleteilchen meines Gesamtwerks. Ich könnte ja an der Stelle noch mal den Pressetext runterbeten… Das ist auch eine echt üble Standardfrage. Andere Rapper lassen sich dann hinreißen zu Sätzen wie "Da sind auch deepe Sachen drauf, so was zum Nachdenken" oder "Also die Fans erwartet auf jeden Fall viel“.
V.Raeter: Du hast ja ein Lied geschrieben, in dem du einen Hip Hop Redakteur besuchst. Lass uns nicht über die überraschende Wendung in dem Song sprechen sondern über dein Verhältnis zu illegalen Downloads. Sind die nicht als Chance zu sehen neue Fans zu gewinnen? Kaufen Fans nicht auch Sachen die sie zunächst runtergeladen haben? Muss es nicht sogar so laufen, um letztlich ins große Spiel zu kommen?
Morlockk Dilemma: Kann sein. Es wäre jedoch ein frommer Wunsch, dass sich jeder, der sich das Album downloadet, das dann auch kauft, aber die Hoffnung an das Gute stirbt zuletzt. Dass irgendwelche Leute den Kram irgendwann ins Netz stellen, find ich auch nicht so schlimm. Hart wird es, wenn es Redakteure machen, die die Sachen ja schon vor dem Release bekommen. Die wissen ja, dass da ein kleines Indielabel dahintersteckt, und dass da immer mit Risiko gefahren wird. Mit diesen Kreaturen hab‘ ich kein Mitleid, weil es bewusstes Schaden ist. Aber wir werden sie kriegen, diese Maden.
Dexter: Was viele vielleicht nicht wissen, du bist selber Produzent und hast den Großteil deines Albums selbst produziert. Was muss ein Dilemmabeat alles haben?
Morlockk Dilemma: Eine Kick, eine Snare und ein rasselndes Etwas von einer HiHat. Eine gequälte Melodie ist auch nicht schlecht. Grundsätzlich ein Loop, bei dem man vorm geistigen Auge die Stadt in Flammen stehen sieht. Ein Dilemmabeat sollte im besten Fall als Soundtrack dienen können, für ein kurzes Scharmützel, indem ein Heer aus Reitersoldaten ein paar Bauern niedermacht. Im Vorbeireiten und für die gute Sache natürlich. Manchmal darf er aber auch funky sein.
Dexter: Wo gehst du diggen? Deine Samples sind obskur und selbst für Die-Hard Digger nicht immer einfach zurückzuverfolgen…
Morlockk Dilemma: Das verrate ich nicht. Es ist aber einfacher, als man denkt. Man braucht bloß viel Geduld, und muss sich den Tag speziell organisieren. Ich zieh‘ mir viele Sachen auf den Player und höre die unterwegs durch. Dann habe ich abends meist schon viel eingegrenzt.
Dexter: Verrätst du V.Raeter und mir das Sample von "Ruff Rugged´n Raw Pt. 2" ? Ich muss nämlich gestehen, dass der Beat alles killt…(oder hältst du es wie Necro: "Dig a grave for yourself…")
Morlockk Dilemma: Ich werde es euch später sagen. Man kann nie wissen, wer diese Information wie benutzt.
V.Raeter: Ich werde dich dran erinnern. Sag mal. Siehst du dich eigentlich als Teil der Kampfgruppe die den Osten auf die Karte bringt? Oder hängt dir das Ost-West Ding auch so zum Hals raus?
Morlockk Dilemma: Hmm. Da hast du ja geschickt auf Joe Rilla angespielt. Also ich find‘ die Sache cool, sie lenkt den Fokus ja auch automatisch auf meine Sachen. Ich wäre auch gar nicht zu so einer Kampagne in der Lage gewesen. Grundsätzlich mache ich keine Unterschiede zwischen Ost und West. Klar gibt es innerhalb Deutschlands Mentalitätsunterschiede, aber die wirst du auch mitbekommen, wenn du aus Bayern an die Küste kommst. Solche Unterschiede bereichern ja auch ein Land. Wäre doch furchtbar, wenn alle im Gleichschritt ticken würden. Aber zurück zur Frage. Ich glaube, jeder repräsentiert automatisch seine Gegend, wenn er authentische Musik macht. Und Plattenbau Ost machen das. Von daher unterstütze ich das auch auf meine Art.
V.Raeter: Ist der Grund für deine zynische, ja fast pessimistische Weltsicht auf deine Vergangenheit zurückzuführen? In Berlin haben wir die Wende ja ganz anders wahrgenommen als weiter östlich zum Beispiel in Leipzig.
Morlockk Dilemma: Das kann ich dir nicht sagen, weil mir der andere Blickwinkel fehlt. Man kann sich und sein Umfeld schlecht von Außen betrachten. Aber es steht den Menschen auf der Straße ins Gesicht geschrieben. Nach der Wende war Hoffnung, Aufbruchsstimmung. Ein paar Jahre später wusste jeder wie Kiwis schmecken aber vor allem auch wie Joblosigleit schmeckt. Nix „blühende Landschaften“. Klar, hier ist ’ne Menge Asche reingerollt, aber perspektivlose Kids besaufen sich genau so an einer neu gemachten Bushaltestelle wie an einer alten. Ich bin aber kein Pessimist, sondern Realist. Wenn jemand den Menschen eine Perspektive gibt, wird man definitiv weniger Babys in Blumenkästen finden. Versprochen. Dieser Jemand bin aber nicht ich. Ich schreibe bloß auf, was ich sehe. Ich habe bloß geschärfte Sinne, die ein Fluch sein können. Ich wäre viel lieber ein Autist, der mit komplexen Zahlenrechnereien ein Vermögen macht.
Dexter: Du sagst, dass deine geschärften Sinne ein Fluch sein können. Gab es denn mal eine Zeit in der dir genau das, also Rap, kein Spass mehr gemacht hat und du gesagt hast, "Scheiss drauf", ich lass den Kram jetzt?
Morlockk Dilemma: Ja. Weihnachten. Da bin ich in Leipzig vor Alcoholics aufgetreten. Die haben mir Probs für den Flow gegeben, aber ich habe überhaupt nichts gefühlt. Gar nichts. Ich mein, wenn du anfängst zu rappen, steckst du dir kleine Ziele. Und der Abend wäre so ein Ziel gewesen. Aber ich war total leer und der Gig hat auch keinen Spaß gemacht. Da hab ich kurz überlegt, aufzuhören. Zum Glück bin ich aber noch für die nächsten 82 Jahre an meinen SnuffPro-Knebelvertrag gebunden. Ich muss also weitermachen.
V.Raeter: Nochmal zu meiner letzten Frage: Ist diese Perspektivlosigkeit das, was dich mit dem Pott / Lakman verbindet, der ja auch einen Featurepart auf deinem neuen Album hat?
Morlockk Dilemma: Naja, im Pott sind ja leider vergleichbare Verhältnisse was Arbeitslosigkeit betrifft. Aber ich fühle mich dort auch wohl. Die Leute sind wirklich sehr herzlich. Das haben wir erst wieder beim Dreh von FÜD2 bemerkt. Auf der anderen Seite ist Laki auch ein Typ, den man lieben muss für seine Art. Ich war früher großer Fan von seinen Sachen, und bin froh, dass ich ihn endlich auf meinem Album habe. Das wird auch zukünftig so weitergehen, hoffe ich.
V.Raeter: Zurück zu diesem nach der Wende-Ding: Ich komme aus Berlin Prenzlauer Berg, ein Viertel das sich in den 90er Jahren sehr stark vor allem durch Schwaben (no Dexter) veränderte, was zum Protest der Jugend führte, welcher sich auch stark in unserer Musik wiederfand. Leipzig erfährt in den letzten Jahren auch einen gewissen Aufschwung durch die dort ansässige Kunsthochschule und immer mehr Galerien. Wie siehst du diese Veränderung? Verarbeitest du sowas?
Morlockk Dilemma: Leipzig wandelt sich seit der Wende, aber man erkennt noch nicht wohin. Das ist in Leipzig auch stark vom Stadtteil abhängig. Leipzig Grünau, das Viertel meiner Jugend z.B., wird immer mehr abgerissen. Das ist auch eine Entwicklung. Südvorstadt und Zentrum blühen auf zu Kulturzentren. Mal sehen, wann es versnobt. Die Wurfgeschosse liegen schon bereit.
V.Raeter: In Leipzig bist du ja fast schon ein Urgestein. Gibt es schon Leute die nachziehen? Wie sieht die Leipziger Rapszene aus?
Morlockk Dilemma: Urgestein klingt gut. Es gab aber auch schon viele Leute vor mir: DJ Oppossum, Microphoenix, Lockstoff… Natürlich habe ich längst den Überblick verloren, wer da heute alles rappt. Vor 5 Jahren kannte sich da noch jeder. Aber das ist völlig okay. Soweit es geht, versuchen wir die jungen Leute auch zu unterstützen, aber wir sind ja selbst noch im Aufbau. Ich bin auf jeden Fall gespannt, was noch kommt. Es ist definitiv schwerer geworden, Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber dafür steigen die Kids mit einem viel höheren technischen Standard ein, als zu der Zeit, wo ich angefangen habe.
Dexter: Mal ganz einfach gefragt: Was sind denn eigentlich deine Ziele im hiesigen Rapgeschäft? Bist du zufrieden wie es läuft oder möchtest du tatsächlich die große Kohle mit Rap machen und ein Feature von Bushido?
Morlockk Dilemma: Ich möchte ein Feature mit Avril Lavigne. Ich benutze ihre Krawatte als Reitgeschirr. Danach werde ich sie verlassen und sie wird ihre Gesangskarriere an den Nagel hängen und drogenabhängig werden. Irgendwann wird sie die Trennung verarbeitet haben, weil sie erkannt hat, dass ich doch nicht der Messias bin, sondern nur ein ziemlich gerissener Ficker. Meine Karriere habe ich schon längst skizziert. Ich werde noch 1,2 Jahre den bodenständigen, selbstreflektierten HipHop-Soldier mimen. Ohne dass es jemand bemerkt, werden sich die Themen ändern, genauso wie mein Erscheinungsbild. Am Ende werde ich das Schwein sein, das ich heute noch verteufel. Dann wird es aber schon zu spät sein, denn es wird keine Kontinente mehr geben, sondern eine Art neues Pangea. Ein einziger Kontinent, der die Form meines Konterfeis angenommen hat. Dann wurde aus dem Morlockk ein Eloy. Der Obereloy.
Dexter: Um mal im Beckmann´schen Ton zu fragen: Was macht ein Morlockk Dilemma im "richtigen" Leben?
Morlockk Dilemma: Er besucht Präparartionswettbewerbe, hilft alten Menschen über die Kreuzung, kreuzt sich mit Abschlussballköniginnen, beobachtet den Sonnenverlauf, pisst im Stehen, frisst, verdaut und scheißt. Das macht er.
Dexter: Aha. Folgendes habe ich auch Damion gefragt: Im Jahr 07 kamen sehr viele andersartige, neue Künstler in Deutschland empor. Damion Davis, Huss und Hodn, Sir Serch, V.Mann und viele mehr. Mit ein paar von ihnen hast du selber musikalisch zu tun. Siehst du dich als Teil dieser neuen Bewegung im deutschen Rap, oder eher als Einzelkämpfer?
Morlockk Dilemma: Sowohl als auch. Ich arbeite am Liebsten im Team, aber gerade bei Solos bist du, was die kreative Gestaltung betrifft, weitgehend auf dich gestellt. Du musst dafür gerade stehen, das macht dich zu einer Art Einzelkämpfer. Ich sehe das auch nicht unbedingt als eine Bewegung an. Damion, Serch und Co. haben ja schon viele Jahre vorher Musik gemacht. Jetzt bemerkt es die Öffentlichkeit. Dass das bei vielen Künstlern in einem ähnlichen Zeitraum passiert ist, ist Zufall. Und die positive Resonanz der Leute liegt vielleicht auch darin, dass sie mal was anderes hören wollen.
Dexter: Wird es einen Nachfolger des allerorts gefeierten "Hang Zur Dramatik" mit V.Mann geben? Knüpft ihr an dessen Erfolgsrezept an oder sollten wir etwas anderes erwarten?
Morlockk Dilemma: Ja. Erwartet nichts und werdet reich belohnt.
Dexter: Wer bitet eigentlich wen? V.Mann dich, oder du V.Mann?
Morlockk Dilemma: Wir haben uns an einem wichtigen Punkt unserer kreativen Entwicklung kennengelernt und fast parallel weiter entwickelt. Auch wenn es sich für viele Leute gleich anhört, ich finde immer noch große Unterschiede bei uns im Flow. Das ist aber auch nur deshalb so kompliziert für die Leute, weil sie sich voll an diese Standard Reimschemen gewöhnt haben. Deren Horizont endet mit Doubletime. Die Stakkatoflows wollen die nicht begreifen. Die Frage müsste man anders formulieren. Haben wir beide Lord Scan gebitet? Aber wir haben viel von einander gelernt. Beim Schreiben von "Hang Zur Dramatik“ haben wir uns ja gegenseitig immer wieder an Geschwindigkeit überboten, noch mehr Silben in die Lines gepackt usw. Das prägt den Style. V.Mann ist definitiv poetischer und kann morbidere Bilder zeichnen. Ich schreib bessere Lines. Hah!