Jam Session Halbfinale Ost

Eigentlich hatte ich mich am Samstag den 02.02.08 nach Hoyerswerda aufgemacht, um euch über Deutschlands größten Liverap-Contest zu berichten. Ich hatte mir vorgenommen, einen unterhaltsamen Artikel zu schreiben, der euch einen umfassenden Überblick über Gewinner und Verlierer, gute und weniger gute Lyrics und mitreißende oder eher ermüdende Shows gibt. Tja, ich habe schlechte Arbeit geleistet, denn ähnlich wie die Securities und die Polizei an diesem Abend, habe ich mich unverrichteter Dinge aus dem Staub gemacht…

Nachdem deutschlandweit in 30 Vorentscheiden die Besten Acts ausgewählt wurden, starteten vorletztes Wochenende die ersten Halbfinals in der Mitte und im Osten Deutschlands. Die Jam Session findet mittlerweile zum fünften Mal statt und kann Künstler wie Pillath, Marsimoto oder Maeckes zu ehemaligen Teilnehmern zählen. Den Gewinnern des Finales am 12.04.08 in Bonn winken lukrative Preise, u.a. Festivalauftritte bei der Rheinkultur 2008 in Bonn und dem HipHop Kemp in Tschechien. Dazu kommen Sachpreise von Propellerheads und Southpole und Aufnahmen einer eigenen EP in den berühmten Kölner 301 Studios.

          

Ich entschied mich also zum Halbfinale Ost in das sächsische Hoyerswerda zu fahren. Im Vorhinein war ich wirklich erstaunt darüber, dass diese kleiner Ort nahe Cottbus mit 40.000 Einwohnern, so vielen Menschen ein Begriff ist. Bei fast jedem, dem ich erzählte, ich würde auf eine Hip Hop-Jam nach Hoyerswerda fahren, löste das die gleiche skeptische Reaktion aus. Ich selbst hatte nur eine etwas unkonkrete Ahnung worum es sich handelt, ich wollte meine kleine Reise aber in keinem Fall total vorurteilsbelastet antreten, deswegen hob ich mir das Recherchieren für später auf. Jetzt, im Nachhinein, habe ich mich also genauer informiert. Ich möchte an dieser Stelle versichern, dass egal wie der Abend ausgegangen wäre, ich in jedem Fall auf die Historie der Stadt eingegangen wäre. Nicht um irgendjemanden zu dämonisieren, es geht lediglich darum, kurz zu erklären, wieso Hoyerswerda diese traurige Berühmtheit erlangt hat: 1991 gab es in Hoyerswerda das erste rassistische Pogrom nach 1945. Tagelang wurden zwei Asylantenheime von Neonazis belagert und solange terrorisiert, bis die Migranten unter den Jubelrufen der Einwohner aus der Stadt gebracht wurden. 1992 und 1993 kamen sogar zwei Menschen durch rechtsgesinnte Gewalttaten ums Leben. Diese Übergriffe waren der Auftakt einer ganzen Reihe von rassistischen Anschlägen unter anderem in Rostock, Mölln und Solingen. Bis heute scheint sich Hoyerswerda nicht ganz von den damaligen Geschehnissen rehabilitiert zu haben, denn immer wieder wird die Kleinstadt zum Anlaufpunkt von rechtsextremen Demonstrationen und selbst im Jahr 2007, gab es mehrere Übergriffe auf Ausländer oder alternative Jugendliche. Besonders für Menschen etwas älterer Generationen ist Hoyerswerda dadurch zum Inbegriff von Neonationalismus geworden. Ob dies zum heutigen Zeitpunkt unberechtigt ist oder nicht, kann man nur schwer beurteilen.

Nun zurück zu meinem eigentlichen Ausflug. Es war ca. um 18 Uhr, als ich den Jugendclub OSSI in der Liselotte Hermannstraße betrat. Die Räumlichkeiten, besonders der Backstagebereich, machten ihrem Namen auf charmante Art und Weise alle Ehre. Der Soundcheck war gerade in vollem Gange und überall liefen "wichtige" Menschen mit Headsets umher. Ich fackelte nicht lange und griff mir sofort die ersten Rapper die meinen Weg kreuzten. Hierbei handelte es sich um drei sympathische, aber zugegebener maßen etwas zurückhaltende Jungs aus Zwickau. Ihr Name: Mafia Rivals, bestehend aus Res One, Smaxis und Oziris. Als ich sie fragte, wie sie ihre Chancen für das Halbfinale sehen, gab es von Smaxis nur ein bescheidenes „Gar keine, aber wir geben einfach unser Bestes.". Etwas pessimistisch stellten die drei fest, dass sie im Gegensatz zu den anderen Crews keine Fanbase mitgebracht hatten, wodurch ihnen wahrscheinlich der so wichtige Rückhalt fehlen würde. Beachtet man, dass manche Teilnehmer mit "50- Mann-Support-Bussen" angereist waren, lagen die Drei mit ihrer Befürchtung später sogar ziemlich richtig.

          

Der personifizierte Beweis dafür, waren die unzähligen Straußberger, die sich im Laufe des Abends, mit ihren Ich-Bin-Ein-Freak-Shirts wie ein Bienenschwarm in dem Jugendclub ausbreiteten. Der Grund dafür, Shew Sharlatan und seine Zwangsjacken, eindeutig der verrückteste Haufen der ganzen Veranstaltung. „Egal wie durchgeknallt und blöd sich das erst mal anhört, da steckt immer ein tieferer Sinn da hinter", erklärte mir der „Chef" der Freaks höchstpersönlich und bekräftigte seine unkonventionelle Art mit der Ansage: „Wer normal ist, fliegt hier raus." Seine Back-Uper, die Zwangsjacken, seien übrigens dazu da, Sharlatan zu bremsen, sollte es mit ihm durchgehen. Und die Favoriten des Contests? „Eindeutig wir, aber eigentlich ist es uns Brille, ob wir heute Abend gewinnen oder nicht, hauptsache wir haben einen guten Eindruck hinterlassen." Die Jungs, die zu dem Label Kollone Ost gehören, haben sich vorher fleißig die Musik der Mitstreiter angehört, das Fazit: „Heute Abend wird ’ne dicke Nummer." Wie recht sie damit hatten.

           

Der Name der nächsten Band, die sich Zeit für mich nahm, stellte mich peinlicherweise vor eine phonetische Herausforderung. Wieso auch immer fiel es mir verdammt schwer, Styles Delivery zu sagen ohne beim Delivery hängen zu bleiben, naja ich glaube die freundlichen Herren aus Rostock bzw. Güstrow nahmen mir diesen Fauxpas nicht sonderlich übel und nach mehrmaligem Üben hörte sich das Ganze auch schon beinahe professionell an. „In welche Richtung geht Styles Delivery inhaltlich eher nicht?", fragte ich nun mit souveräner Aussprache. Ob Bad Jokes, Elephant Beatz, Dj Nesta, S.K.U.-Real, Tiez, Contra oder Issue mir diese Frage beantwortete, kann ich im Nachhinein beim besten Willen nicht mehr nachvollziehen. In jedem Fall wurde ich aber darüber aufgeklärt, dass SD kein Gangster-  Studenten- oder Pornorap sei. „Jeder sagt zwar, dass er seinen eigenen Stil hat, aber wir..." (Pause) – dann der rettende Einwurf eines anderen Crewmitgliedes „Wir haben ihn eben wirklich". Ihr Vorteil sei, dass sie sich keiner Extreme bedienen, eben von allem etwas, sowohl musikalisch, als auch thematisch. Und die Chancen heute Abend zu gewinnen? „Wir haben auf jeden Fall Chancen", entgegneten mir die Jungs selbstbewusst, aber Soundforum und Flexiblez, beide aus Berlin könnten ihnen eventuell Konkurrenz machen.

          

Bei den nachfolgenden Teilnehmern, die sich vor meinem Diktiergerät im Backstagebereich einfanden, drehte sich zunächst auch alles um den Crewnamen. In diesem Fall lag das allerdings nicht an meiner Unfähigkeit diesen auszusprechen, sondern die Jungs selbst, waren sich anscheinend nicht so ganz im klaren darüber, welchen Namen sie da seit fünf Jahren mit sich herumtragen. „Wofür steht denn euer Name EL.P.G", fragte ich interessiert. Die Antwort: „Lyrische Produktionsgemeinschaft". Ich stutzte, waren meine Kenntnisse über das Alphabet auf dem dreistündigen Weg durch brandenburgische und sächsische Dörfer verloren gegangen? „Und was bedeutet dann das ‚Evor dem L‚?" Schallendes Gelächter. Dann die resignierte Feststellung: „Das fragen wir uns selbst seit Jahren." Da dachten die Kamenzer Rapper doch tatsächlich ich würde diese Unstimmigkeit nicht bemerken. Spontan überlegten sich Fips, Manu und Dj Lupo, dann, dass das "E" zum Beispiel für Einzigartigkeit stehen könnte. Fassen wir das ganze zusammen: "Einzigartigkeit Lyrische Produktionsgemeinschaft"- ja auf jeden Fall schon mal ein einzigartiger Crewname. Battlerap finden die drei übrigens „ausgelutscht", ihr Stil sei „Rap vom Herzen", deswegen könnten sie sich von den anderen Teilnehmern auch lediglich mit Styles Delivery identifizieren.

            

Auf der Suche nach weiteren Kandidaten, lief ich immer wieder an einem Raum vorbei, in dem vier junge Männer an einem runden Tisch saßen und Monopoly spielten, nebenbei lief Fußball. Eigentlich fehlte zu diesem Bild nur noch der Dunst von Zigarren und eine Flasche Whisky, aber da die Herren ja schließlich zum arbeiten da waren, wurde darauf natürlich verzichtet. Es handelte sich hierbei nämlich um niemand geringeren als die Veranstalter der SAE Jam Session, die gleichzeitig als Jury fungierten. Ich durfte mich dazu gesellen und wurde zu erst über den aktuellen Spielstand aufgeklärt. Dann widmeten wir uns den elementaren Dingen des Abends. Dako von Diaspo-Entertainment erzählte mir von den Kriterien, auf die es bei der Jam ankommen würde. „ Der Rap, die Aussage, die Beats und die Show. Wir in der Jury haben aber alle einen anderen Geschmack und der geht bei der Bewertung natürlich auch mit ein." Favoriten gäbe es für ihn nicht, denn im Endeffekt wäre die Leistung der Acts immer von ihrer Tagesform abhängig. Dann fragte ich ihn, ob der Gewinn der Jam Session für den Künstler als Sprungbrett diene. Dako sieht das eher realistisch. „Was zählt ist das Talent, die Leute die zu uns kommen haben von zu Hause aus gewonnen. Aber es hängt davon ab, was der Künstler daraus macht. Wenn man sich als Gewinner auf seinem Sieg ausruht, dann ist man auch keinen Schritt weiter, muss man halt hart für seinen Erfolg arbeiten."

          

Diese Tipps hätten sich die Halbfinalisten aus Erfurt vielleicht auch zu Herzen nehmen sollen. Zuerst stolperte mir der sturzbetrunkene DJ der Crew in die Arme. Irgendwie lustig, wie er versuchte so zu tun, als er könnte er noch stehen. Gleichzeitig aber auch mehr als anstrengend auf meine Fragen nichts weiter als gelalltes „Ich ficke hier alle, Bitch", beantwortet zu bekommen. Für das „Bitch" entschuldigte er sich später übrigens noch ganz höflich. Auf Grund dieser körperlichen und geistigen Indisponiertheit, unterhielt ich mich dann also lieber mit seinen noch halbwegs nüchternen Kollegen, Endsport und Bassoka One von Juvenile Music, die mit ca. 17 Jahren wahrscheinlich die jüngsten Contestteilnehmer waren. Ich stellte die eigentlich relativ belanglose Frage, ob die Jungs bei ihrem Vorentscheid in Erfurt harte Konkurrenz hatten. Was mir Bassoka darauf erwiderte, brachte mich beinahe aus dem Konzept. „Eigentlich hatten wir schon harte Konkurrenz. Wenn ich ehrlich bin, hab ich mich echt gewundert, dass ich weiter gekommen bin. Ich hab meine Texte eigentlich komplett verpeilt, weil ich mit 2,6 Promille auf die Bühne gegangen bin. Dann gab es noch so eine Aktion, dass jemand im Publikum mir die ganze Zeit den Mittelfinger gezeigt hat. Daraufhin hab ich meinen Puller ausgepackt und ihn angeschrieen, er soll meinen Schwanz lutschen. Ich glaube, dass hat die Leute so geschickt, dass wir weiter gekommen sind." Beunruhigt wollte ich wissen, ob uns so etwas heute Nacht auch bevorsteht, woraufhin mir der junge Erfurter nur trocken entgegnete:   Mal gucken, es kommt, wie es kommt." Geprobt haben sie im Übrigen auch nicht, maximal eine dreiviertel Stunde, aber dass sie gewinnen würden, sei trotzdem ziemlich sicher.

           

Wesentlich fleißiger und vorbildlicher in dieser Hinsicht waren die aus Berlin kommenden Flexiblez, mit denen ich mich im Flur des Jugendclubs unterhielt. Stolz resümierte Phylo seine wochenlangen Vorbereitungen: „Wir haben jeden Tag 200 Liegestütze gemacht, sind jeden Tag 80 km gejoggt und haben dabei unsere Texte eingerappt." Flexis fügte hinzu: „Ich hab jeden Morgen 6 rohe Eier gegessen und bin danach immer 185.000 Stufen nach oben gejoggt, während ich einen ‚Doubletime-Halftime-Part‘ gekickt habe. Außerdem haben wir in der Badewanne synchron zu unseren Freestyles gefurzt, was ein extremer Pluspunkt für unsere Kreativität und Spontanität auf der Bühne ist." So, so, wenn das nicht mal nach effektiven Proben klingt. Wie auch immer, für die Flexiblez, die sich für ihren Auftritt DJ Q-Millah und den MC Verbal Riot mitgebracht hatten, war das Motto des Abends klar: „Dabei sein ist alles zählt nicht! Wir wollen gewinnen, alles andere ist enttäuschend." Über die anderen Kandidaten hatte sich die Crew nicht wirklich informiert, aber die, die sie kennen (Soundforum, Shew Sharlatan und Styles Delivery) seien gut und nicht zu unterschätzen.

           

Auf die Hoyerswerdaer Lokalhelden Don Wanne und C.U.M.B., musste ich lange warten, denn obwohl sie anscheinend gleich um die Ecke vom OSSI wohnten, ließen sie sich mit ihrer Ankunft Zeit, naja so wie das mit "Berühmtheiten" eben ist. Auf die Frage, ob ein Sieg bei der Jam Session irgendetwas verändern würde, erzählten die Jungs aber ganz bodenständig über ihre abgeschlossenen Ausbildungen, als Schweißer und Fliesenleger und das man heutzutage eh kaum eine Chance hat, mit Rap Geld zu verdienen. Interessant fand ich auch, dass alle anderen Rapper, die ich gefragt hatte, was sie an den Preisen am meisten reizen würde, sich darüber einig waren, dass das die Festivalauftritte wären. C.U.M.B. hingegen antwortete entschlossen: „Die Southpole Klamotten". Ihren Beatbastler Drunken Monkey und den „super krassen" Dj Scholl hatten sie übrigens auch dabei. „Glaubt ihr, dass ihr heute Abend einen Heimvorteil habt?" Don Wanne, der schon seit 10 Jahren auf der Bühne steht, hielt das für eher unwahrscheinlich, schließlich habe das Publikum bei der Entscheidung keine Stimme.

           

Manic
und Inside, zwei Rapper von dem Label RapzRecords, das den Abend als lokaler Veranstalter organisierte, sahen das anders. „Don Wanne hat große Chancen zu gewinnen, alleine schon weil wir in Hoyerswerda sind, aber er ist auch so ein echt guter Rapper." Das Konzept der Jam Session geht in den Augen des Duos sehr gut auf, da es wie eine Art Casting sei und Künstlern die Chance gebe „ein wenig Fame zu bekommen". Abschließend sagte Manic: „Die Leute die heute hier sind, können nicht schlecht sein, schließlich haben die in ihren Städten gewonnen. Deswegen wird das heute echt lustig und spannend werden. Ich lasse mich überraschen."

Nach all den Gesprächen und den Proben die ich gesehen hatte, war auch ich mir ziemlich sicher, dieser Abend würde, bis auf minimale Ausnahmen, ein äußerst hohes Niveau erreichen. Statistisch gesehen konnte man zu diesem Zeitpunkt zusammenfassen, dass die Favoriten der Veranstaltung Soundforum aus Berlin waren, aber ausgerechnet diese waren nirgends zu finden, selbst dann nicht, als die Reihenfolge der Auftritte verlost wurde. Ebenfalls ohne ersichtlichen Grund oder vorliegendes "Attest" abwesend, waren die Leipziger Wisy & KaiTakeCare, die eigentlich als erste auf die Bühne sollten. Dako und seine Kollegen wollten aber nicht länger auf die “Abtrünnigen“ warten, so dass man sich entschied, das zweite Los beginnen zu lassen. Die Reihenfolge sah demnach wie folgt aus: 1. Da Flexiblez, 2. Don Wanne & C.U.M.B., 3. Shew Sharlatan, 4. Mafia Rivals, 5. Soundforum Berlin ( die dann noch den Weg ins OSSI gefunden hatten), 6. Styles Delivery, 7. EL.P.G. und 8. Bassoka One.

           

Mittlerweile war es schon gegen 23 Uhr. Ich hatte mir die ersten drei Auftritte angesehen, wurde mit gutem Rap und amüsanten Showeinlagen, wie fliegenden Dollarscheinen, einem kleinen Orchester oder neonfarbenen Outfits unterhalten. Ich wollte mir nun, nach fast fünf Stunden investigativer Berichterstattung, eine kurze Pause gönnen und eine Zigarette rauchen. Da in dem Club aber ein solch rigoroses Rauchverbot herrschte, dass Verstöße dagegen sogar mit einem mehr als unsanftem Rausschmiss geahndet wurden, ging ich schnell vor die Tür. Doch was ich dort sah, ließ mich schlagartig alles andere vergessen. Einer der angereisten Künstler stand in mitten einer Menschentraube, sein Gesicht auf Grund riesiger, blutender Beulen und Platzwunden kaum noch zu identifizieren. Einer seiner Freunde, glücklicherweise noch mit etwas harmloseren Verletzungen, kauerte neben ihm auf dem Boden. Es war bei weitem nicht das erste mal, dass ich jemanden gesehen hatte, der zusammengeschlagen worden war, in diesem Fall waren die offensichtlichen Folgen aber so erschütternd, dass man glauben musste, der Rapper wäre mit einem Brecheisen niedergeschlagen worden.
(Wie sich herausstellte, waren er und zwei seiner Freunde unweit des Veranstaltungsgeländes bei einer Sparkasse gewesen. Dort wurden sie von einem Fremden, der in Begleitung mehrerer anderer Männer war, ohne ersichtlichen Grund angegriffen. Der Mann schlug und trat immer wieder auf das Gesicht, des bereits am Boden liegenden Opfers ein.)

Vor dem Jugendclub hatten nun schon mehrere Personen den Rettungsdienst und die Polizei angefordert. Währenddessen tauchte auf einmal, der von Zeugen wieder erkannte Täter, gemeinsam mit den anderen Männern auf. Da die Polizei noch nicht gekommen war, benachrichtigten die aufgebrachten Freunde des Verletzten, die Türsteher über die Situation. Diese begaben sich nach draußen, um dann allerdings ohne irgend etwas unternommen zu haben, wieder verschwanden. Nachdem der Verletzte einige Minuten später im Krankenwagen abtransportiert wurde, nahm das ganze immer perfidere Formen an. Die Polizei, die sage und schreibe mit einem Aufgebot von drei, vielleicht vier Beamten angerückt war, vernahm den Täter ungefähr vier Minuten und sah dann seelenruhig dabei zu, wie er zurück in den Jugendclub ging. Die fassungslosen Menschen waren nun damit beschäftigt, die Türsteher darauf hinzuweisen, dass sich der Mann jetzt sogar mitten auf der Party befindet, diese hielten es jedoch nicht für nötig dagegen zu handeln. Draußen, vor den Räumlichkeiten, eskalierte die Situation unterdessen immer mehr. Drei weitere Männer, die zusammen mit einer anderen teilnehmenden Band angereist waren, wurden zusammengeschlagen. Diesmal kam die benachrichtigte Polizei nicht einmal mehr und jeder der versuchte die "Sicherheitsleute" über die Schlägerei zu informieren, wurde einfach aus der Tür befördert. Die Veranstalter der SAE, hatten auf Grund ihrer Jurytätigkeiten von alledem nichts mitbekommen. Die lokalen Organisatoren hingegen schon, jedoch ohne wirklich einzuschreiten. Stattdessen wollten sie den Betroffenen sogar noch weiß machen, der Täter wäre längst nicht mehr vor Ort. Dann, nach zahlreichen Beschwerden wurde dieser zumindest endlich des Hauses verwiesen. Zu diesem Zeitpunkt waren noch nicht alle Teilnehmer aufgetreten und auch der Special Guest Olli Banjo, der gerade im OSSI eintraf sollte erst kurz vor Schluss auf die Bühne. Deswegen entschieden sich die Veranstalter dafür, die Jam Session nicht abzubrechen. Für mehrere Künstler und deren Freunde war es jedoch undenkbar sich weiterhin auf der Party aufzuhalten, auch weil niemand mehr das Gefühl hatte, das man hier im Notfall für seine persönliche Sicherheit sorgen würde. Da es mir genauso ging und Rap, so traurig es ist, plötzlich zur Nebensache wurde, fuhr auch ich vor Ende der Jam Session nach Hause.

Fünf Tage danach…

Das Opfer der Gewalttat liegt nach wie vor im Krankenhaus in Hoyerswerda. Er musste auf Grund eines doppelten Jochbeinbruches und einem gebrochenen Nasenbein operiert werden. Über die Tat findet man keine Polizei- oder Presseberichte, weil, wie mir der Pressesprecher der Polizei Sachsens erklärte, „die Ermittlungen noch laufen“ würden und man „keine Schnellschüsse abgeben“ wolle. Von den lokalen Organisatoren des Halbfinales habe ich trotz mehrfache Anfragen keine Stellungnahme zu den Ereignissen bekommen. Wesentlich auskunftsbereiter zeigten sich die Gewinner des Abends. Mit zwei von ihnen, Fix und Shew Sharlatan führte ich ein Telefoninterview. (Den zweiten Platz machten übrigens Styles Delivery, den dritten: Da Flexiblez.)

          

rap.de: Ich gratuliere euch natürlich erstmal recht herzlich zu eurem Sieg. Habt ihr denn damit gerechnet zu gewinnen?

Shew Sharlatan: Gerechnet nicht wirklich. Nachdem ich die anderen Bands gesehen habe, war das für mich echt ein krasser Krimi, ich hab die ganze Zeit Blut und Wasser geschwitzt.

Fix: Wir haben uns alle anderen Teilnehmer angeguckt und waren z.B. von Styles Delivery sehr überzeugt, aber anscheinend hat unser Gesamtbild dann doch mehr überzeugt.

Shew Sharlatan : Flexiblez fand ich auch echt gut, oder Soundforum. Eigentlich hatten alle irgendwie Konkurrenzcharakter. Mir ist auf jeden Fall die Pupe abgegangen.
rap.de: Was hat euch denn von den anderen abgehoben?

Shew Sharlatan: Ich glaube die Extravaganz. Angefangen bei unserem ober-oldschool-abgefreaktem-Anti-Outfit und dem Kuscheltier, aber natürlich auch das Zusammenspiel mit den DJs und den Doublern. Das war einfach alles ein rundes Ding ohne Lücken und nicht zu vergessen unsere Verrücktheit.

rap.de: Und was nehmt ihr euch jetzt für das Finale vor? Wollt ihr irgendwas anders machen?

Shew Sharlatan: Also unser Motto, das Freak-Ding, bleibt auf jeden Fall bestehen, aber wir wollen für das Finale noch was besonderes vorbereiten, das ist aber noch geheim.

          

Fix: Wir zeigen auf jeden Fall hundert prozentig was wir drauf haben, aber am wichtigsten ist, dass man den Respekt vor den anderen Bands nicht verliert.

Shew Sharlatan: Ja das ist echt am wichtigsten. Wenn man da so hochnäsig hingeht und glaubt, dass man schon gewonnen hat, dann kann es passieren, dass man auf einmal voll die Backpfeife kriegt. Darauf hab ich keinen Bock. Es gibt viel zu viele krasse Rapper, das darf man nicht vergessen.

 
rap.de: Kommen wir mal zu dem unangenehmen Teil des Abends. Wie habt ihr die Eskalation vor Ort miterlebt?

Shew Sharlatan: Ich habe erst nur gehört, dass einer der Künstler richtig böse auf die Fresse gekriegt hat. Danach habe ich auch noch erfahren, dass einer von unseren Leuten draußen von drei oder vier Typen zusammen geschlagen wurde.

Fix: Nachdem das mit dem einen Teilnehmer passiert ist, war da draußen natürlich voll Theater und unsere Leute wollten eigentlich nur schlichten. Anscheinend kamen die da generell nicht mit der Berliner-Brandenburger Manier klar, dass man einfach auf jemanden zu geht und klar Wort sagt, wenn irgendwas schief läuft. Ich war wirklich besonders enttäuscht darüber, dass da am Einlass Leute stehen, die früher die rechte Hand gehoben haben.

Shew Sharlatan: Die haben außerdem ganz offensichtlich mit diesen Schlägern sympathisiert, weil die sich ja anscheinend alle kannten.
rap.de: Habt ihr dann auch noch mal die Polizei benachrichtigt?

Fix: Nachdem alle die Polizei angerufen hatten und nichts passierte, habe ich da auch noch mal angerufen. Mir wurde dann am Telefon sehr unhöflich gesagt, wir sollten keine Hektik verbreiten und wieso wir überhaupt so ein Theater machen. Ich habe denen klar gesagt, dass hier gerade alles eskaliert und auch die Einlasser immer aggressiver werden. Ich hab zum Beispiel den einen Security gebeten, draußen zu agieren, weil mittlerweile drei meiner Kumpels auf’s Maul bekommen haben. Daraufhin hat man mir erklärt, dass man dafür nicht zuständig sei. Als ich dann gefragt habe, was sie denn für eine Securityfirma wären wurde ich am Hals gepackt und rausgezerrt.

Shew Sharlatan : Das war wirklich unter aller Sau, die Leute die versucht haben die Situation mit Verstand zu klären, wurden einfach rausgeschmissen.

rap.de: Ist es im Nachhinein betrachtet also eher die falsche Entscheidung gewesen, eine Hip Hop Veranstaltung in Hoyerswerda stattfinden zu lassen?

Shew Sharlatan: Nein auf keinen Fall. Im Grundgedanken ist es eine geniale Idee, dass man Hip Hop Kultur in eine Stadt bringt, die für die Außenwelt eigentlich so einen “No-Go-Area“ Charakter hat, weil alle denken „da sind ja nur Rechte“. Dass das dann leider so nach hinten losgeht, damit kann ja keiner rechnen.

Fix: Hoyerswerda ist ja nun leider nach der Wende bekannt geworden, weil dort Asylantenheime gebrannt haben. Ich finde es dennoch cool, dass sich Rap in einen solchen Ort bewegt. Das Problem ist nur, dass das an dem Abend meiner Meinung nach ein abgekartetes Spiel war. Einer aus Hoyerswerda hat mir erzählt, dass es dort seit Jahren so geht. Die Typen kennen sich da alle untereinander. Früher waren das Rechtsradikale und jetzt rühmen die sich mit Hip Hop. Das ist echt die Höhe, dass Hip Hop durch so was in Verruf gezogen wird.



rap.de: Was ist dann noch nach der Siegerehrung passiert?

Fix: Die eigentlichen Veranstalter der Jam Session waren extrem sauer, über die Sachen die da passiert sind, die haben sich auf der Bühne auch noch mal dazu geäußert, aber die Organisatoren vor Ort sind auch noch am Ende mit einem Lächeln herum gelaufen. Was ich auch noch mitbekommen habe war, dass mehrere Leute bei dem Auftritt von Olli Banjo an der Bühne standen und ihn extrem hasserfüllt angeguckt haben, die sahen so was von gewaltbereit aus. Wir mussten dann auch schleunigst abreisen, weil man uns wortwörtlich angekündigt hat, dass man unseren Bus mit Steinen bewerfen will. Wir wissen nicht genau wer das war, aber alleine vom Dialekt her, kamen die aus der Umgebung.
rap.de: Behaltet ihr den Abend dennoch irgendwie in guter Erinnerung?

Shew Sharlatan: Es ist auf jeden Fall ein gemischtes Gefühl. Aber mit unserem Gewinn haben wir uns natürlich einen Traum erfüllt, schließlich hat da auch viel Vorbereitung dahinter gesteckt. Herrlich war auch der Auftritt von Olli Banjo, ich hab mich echt gefühlt wie ein kleiner Junge, ich hab sogar mit ihm gequatscht.

       

Fix
: Eigentlich war es ein schöner Abend, aber ich persönlich, weil ich das ganze ja auch in die Wege geleitet habe, bin mit einem großem Hass nach Hause gefahren. Ich krieg einfach einen riesigen Hals, wenn ich darüber nachdenke, dass Hip Hop mit einer rechten Hand in Verruf gezogen wird. Es ist echt Wahnsinn, das es so was in Deutschland überhaupt noch gibt.
rap.de: Ich danke euch sehr für das Gespräch und wünsche euch viel Glück für das Finale.

Es bleibt festzuhalten, dass dieser Abend von unfassbaren Vorfällen überschattet wurde, angefangen bei dem gewalttätigen Übergriff, bis hin zu der kaum vorhandenen Hilfsbereitschaft mehrere Verantwortlicher. Dennoch ist es nicht der Ort Hoyerswerda, oder deren Einwohner, die dafür pauschal verurteilt werden sollten. Ich persönlich hoffe, dass es sich bei den Eindrücken die ich gesammelt habe, nur um einen winzigen Anteil unwissender und trauriger Menschen handelt, die es überall gibt und die nicht repräsentativ für das Gesamtbild der Stadt stehen. Und ich wünsche mir, dass ich nach meinem nächsten Ausflug "im Auftrag des Rap", wieder ausschließlich über dass berichten kann, womit wir uns hier eigentlich beschäftigen, nämlich mit gutem Hip Hop.

          

Abschließend könnt ihr hier noch die Stellungnahme der
Jam Session Veranstalter lesen, denn auch diese sind über die Geschehnisse nach wie vor fassungslos und wollen das ganze nicht unkommentiert lassen. Außerdem möchte niemand, vor allen Dingen nicht ich, dass Deutschlands größter Live-Rap-Contest durch einen solchen Abend in ein falsches Licht gerückt wird.
 
Jam Session: Am Rande  des Halbfinales Ost in Hoyerswerda am 02.02.2008 kam es leider zu einem äußerst traurigen Ereignis. Ein Teilnehmer wurde außerhalb des Veranstaltungsorts, dem Jugendclubhaus ‚Ossi‘, von einem wohl stadtbekannten Schläger auf feige und brutale Art und Weise zusammengeschlagen. Wie wir erfahren haben, waren die Folgen so schwer, dass das Opfer operiert werden musste. Auch an dieser Stelle wünschen wir ihm, dass er sich bald von den physischen und psychischen Folgen dieser schrecklichen Tat erholt. Wir waren zum Tatzeitpunkt mit der Veranstaltung beschäftigt und kennen daher den Ablauf des Geschehens nicht aus erster Hand. Allerdings können wir uns keinen Grund vorstellen, der eine derartige Handlung auch nur entfernt rechtfertigt. Wir können nicht verstehen, wie ein Mensch zu solch einer abscheulichen Tat fähig sein kann und verurteilen dies aufs schärfste. Auch können wir nicht nachvollziehen, dass die Security das Rauchverbot scharf durchsetze, aber dem Täter nach seiner Gewalttat wieder Einlass zu der Veranstaltung gewährte. Ebenfalls fassungslos hat uns das Verhalten der Polizei gemacht, die unverrichteter Dinge wieder abgerückt ist. Der Tourstart der Jam Session fand dieses Jahr in Hoyerswerda statt, und zwar friedlich und ohne jede Form von Gewalt. Wir hoffen, dass dieses Ereignis ein tragischer Einzelfall bleiben wird."