Atmosphere

Wie beruhigend! Slug, seines Zeichens MC von Minneapolis No.1 HipHop-Crew Atmosphere, hat wieder seine alte Haarpracht zurück, als er zum Interview erschien. Schnell wird klar, dass der „Iro“, der auf diversen Pics sein Haupt ziert, gar nicht freiwillig gewählt war. Slug hatte eine Form von Alopecia, eine entzündliche Haarausfallerkrankung, bei der die Haare vom Immunsystem als "fremd" erkannt und deshalb abgestoßen werden. Die genauen Ursachen dieser Erkrankung sind weitgehend unbekannt, aber je geringer der Haarausfall, desto größer die Chance auf Abheilen des Befundes auch ohne Therapie – sagt die Medizin.
Da hat er noch mal Glück gehabt, und zwar gleich doppelt, denn nicht nur die Haarpracht ist fast vollständig wieder hergestellt, mit dem aktuellen Album „You Can’t Imagine How Much Fun We’re Having“ scheint auch der Spaß der Kritiker an Atmosphere wieder zurückgekehrt zu sein. So voll des Lobes waren Sie nicht mehr seit "Lucy Ford". Atmosphere selbst hatten die Freude an ihrer Musik allerdings nie verloren, weder an „Seven’s Travels“, noch an „Felt 2“ (zusammen mit Murs) oder an der aktuellen Scheibe. Und nach dem Lesen dieses Interviews, könnt ihr euch auch ganz genau vorstellen, warum sie alle so viel Spaß dabei hatten.


rap.de: Das aktuelle Album „You Can’t Imagine How Much Fun We’re Having“ ist ziemlich gut eingeschlagen. Ich habe gelesen, dass du die Arbeit an „Felt 2“ mit Murs als einen großen Spaß bezeichnet hast und die danach beginnende Arbeit an der aktuellen Scheibe als den Kopfschmerz danach. Wie ist das zu verstehen?

Slug: Für „You Can’t Imagine…“ hatten wir zuerst alle Songs als 4-Tracks vorproduziert, um einfach mal zu sehen, in welche Richtung wir gehen wollen. Erst als der Prozess abgeschlossen war, sind wir in ein richtiges Studio gegangen, um die ausgewählten Songs noch einmal richtig aufzunehmen. Aber vor dieser finalen Aufnahme kam Murs vorbei. Also habe ich die ganzen vorproduzierten 4-Track Songs erst mal auf die Seite gelegt und mich voll auf die Arbeit mit ihm konzentriert. Das Produzieren von „Felt 2“ ging dann Ruckzuck, es hat einfach geflutscht und wir hatten einen Höllenspaß dabei. Danach ging es dann ohne Pause sofort wieder an die Arbeit des Atmosphere Albums. Nach den lockeren und teilweise chaotischen Wochen mit Murs, war die Arbeitsatmosphäre nun wieder ganz anders. Nicht schlechter, aber eben nicht so ausgelassen wie mit Murs. Deshalb hab ich es halt mal als Kopfschmerz nach dem Spaß bezeichnet. Das darf man aber nicht zu ernst nehmen.

rap.de: Kann man die beiden Alben vergleichen? „Felt 2“, dass in kurzer Zeit produziert wurde und „You Can’t Imagine How Much Fun We’re Having“, dass eine viel längere Entwicklung hinter sich hat?

Slug: Ich bin sehr zufrieden mit beiden Alben. Sie sind besser, als einiges was ich in der Vergangenheit gemacht habe. Wenn ich mir das „Felt 2“ Album anhöre, dann besticht es nicht durch den hohen technischen Standart, aber ich kann den Spaß raushören, den wir dabei hatten, wenn wir um vier Uhr morgens total besoffen noch mal was eingerappt haben. (lachen)

rap.de: In unserem letzten rap.de-Interview hast du über die Zusammenarbeit von Ant und dir gesagt, dass du der absolute Controlfreak bist und Ant  der eher ruhige, nachgiebige. Ist das immer noch so?

Slug: Ich bin auf jeden Fall immer noch der gleiche Controlfreak. Bei mir muss alles voll durchorganisiert sein. Aber Ant ist inzwischen genauso drauf. Das hat er sich von mir abgeschaut. Das ist gut so, denn wir sind voll auf einer Wellenlänge.

rap.de: Hat sich dieser Wandel von Ant positiv auf eure Zusammenarbeit ausgewirkt? Immerhin wird das aktuelle Album ja gut abgefeiert, wohingegen es doch einige Kritik über den Vorgänger gab.

Slug: Auf „You Can´t Imagine How Much Fun We’re Having“ sind nur 13 Songs drauf. Früher wollten wir immer die gesamten 80 Minuten bespielen, auch wenn nicht alle Songs die gleiche Qualität hatten. Hauptsache die Zeit wird voll genutzt. Das ist der größte Unterschied, den die Leute wahrscheinlich nicht mal richtig bemerkt haben. Früher waren unserer Alben Familienfotos, wo alle Kinder drauf waren, auch die hässlichen, dummen, die man sonst im Keller versteckt. (lachen) Dieses Mal haben wir darauf geachtet, dass nur die Songs, die uns wirklich gut gefallen, auch aufs Album kommen.


rap.de: Das scheint ja generell wieder zurückzukommen, Alben kompakter zu machen und keine 80 Minuten Epen mehr rauszuhauen. Früher waren die meisten Alben auch nur so 45-50 Minuten lang…

Slug: Ganz genau. Die haben dann auch auf eine Seite eines Tapes gepasst. Zu der Zeit, in den späten 80ern und frühen 90ern, war das fast immer so. Die Einzigen, die „Überlänge“ hatten, waren De La Soul und Public Enemy. Ansonsten gab es pro Album um die zehn Songs, und davon waren zwei Tracks dann meistens noch DJ-Songs. Rakim rappte auf acht Tracks! Das erste NAS Album hatte nur zehn Tracks. Ich finde es gut, dass die Leute wieder dazu zurückkehren. Das, was wir erlebt haben, wurde durch die digitale Explosion ausgelöst – die CDs. Sieh doch mal auf die Leute im Independent-Bereich, die haben auf einmal festgestellt „Ich habe nur tausend Kopien von dieser CD und verkaufe sie für zehn Dollar. Also gebe ich den Leuten wenigstens so viel Stuff wie möglich“. Genauso haben wir es damals auch gesehen. Es war schon geil, dass auf einmal andere Leute dein Zeug hören wollen. Also dachten wir uns „Super, dann hört doch einfach alles, was wir haben“. Da spielte Qualität nur eine untergeordnete Rolle.

rap.de: Das Album „Seven’s Travels“ wurde ja einigermaßen verrissen. Es hieß ihr wärt nicht mehr so konzentriert bei der Sache, es gibt zu viele Füller. Also eigentlich genau dass, was du gerade angesprochen hast. Ist das aktuelle Album auch eine bewusste Reaktion von euch auf diese Kritik gewesen?

Slug: Ich weiß nicht, ob wir jemals smart genug waren, um wirklich einer Agenda zu folgen. Am Ende des Tages sind Anthony und ich einfach nur zwei Nerds, die gerne Musik machen. Es kann schon sein, dass dieses Album meine unbewusste Reaktion auf „Seven´s Travels“ ist. „Seven´s Travels“ betrachte ich als meine De La Soul-Platte. Ich wollte singen, dämliche Sounds und Skits machen und einfach eine Platte haben, die mich an das Gefühl des Tourens erinnert. Wenn ich auf Tour bin, dann immer mit einem Haufen Verrückter im Gepäck, denen es nach wie vor Spaß macht, die Blumendeko eines Restaurants in ihrem Mantel verschwinden zu lassen, nur um vor der Tür festzustellen, dass sie gar nichts damit anfangen können. Mir gefällt das Album nach wie vor und auch die Kids, die zu den Konzerten kommen, feiern die Tracks ab. So schlecht kann es ja nicht gewesen sein. Aber das muss jeder selber wissen.

rap.de: Ihr wurdet ja Anfangs schon gut gehypt. Hat sich Erwartungshaltung von einigen Leuten vielleicht in eine falsche Richtung entwickelt oder wie schätzt du das rückblickend ein?

Slug: Es gab eine Gruppe von Leuten, die auf ein Mal Underground-HipHop entdeckten, selbst aber eigentlich nicht aus dem Rap, sondern dem Indie-Rock kamen. Diese intellektuellen Leute, von Websites oder so, die plötzlich El-P, Aesop Rock, Anticon und uns entdeckten, was sie an eine bestimmte Ära von Indie-Rock erinnerte, die heute nicht mehr existiert. Sie sahen in uns ein neues Ding, auf das sie gewartet hatten und das Rap gleich komplett neu erfindet. Was sie nicht kapierten, war, dass wir nur ein Haufen Typen waren, die rappten und in ihrer Jugend alle auf Kool G Rap abgingen. Das wiederum machte es für uns interessant, die Reaktionen dieser Leute zu sehen, wenn wir nicht die von ihnen erwartete Richtung einschlugen. Aus diesem Grund war ich überhaupt nicht enttäuscht, als die Kritiken zu „Seven´s Travels“ negativ ausfielen. Das passte zusammen.

rap.de: Der nächste Schritt für euch ist ja definitiv das Band-Ding. Wie kam es dazu?

Slug: Es musste etwas passieren, denn wir entwickelten und einfach nicht mehr weiter. Dibbs, mein Tour-DJ und ich waren irgendwann so weit, dass wir in der Lage waren, hundert Bier zu trinken und trotzdem ohne jegliche Angst oder Nervosität auf der Bühne unser Ding durchzuziehen. Da läuteten die Alarmglocken. Das sagte mir, dass wir uns schon zu wohl fühlten, alles war nur noch eine Routine, die man abruft, ohne sich groß einen Kopf darum zu machen. Mir wurde klar, dass ich wieder Lampenfieber haben und vor Leuten nervös werden wollte. Genau das liefert mir die Band. Ich bin jemand, der automatisch nach einer Situation sucht, in der ich mich wohlfühle und nicht mehr so konzentriert sein muss. Die Band verhindert das, weil immer neue Dinge passieren, weil man sehr konzentriert sein muss, damit alles zusammen passt. Ich will, dass es so wird wie früher, als die Leute sich nie sicher sein konnten was passiert, wenn Atmosphere ein Konzert gibt. Das einzige, was die wussten, war, dass ich rappen werde. Aber wer mein DJ sein würde, wer sonst noch dabei sein würde und wie das ganze ablaufen würde, dass konnte keiner voraussehen. Mit der Band kommen wir dieser Sache wieder ein gutes Stück näher. Es kann viel passieren.


rap.de: Inzwischen kannst du ja auch schon auf eine recht lange Karriere zurückblicken. Hast du dir schon mal überlegt, wie lange du noch weitermachen willst?

Slug: Ich denke sogar sehr oft darüber nach. Nicht weil ich aufhören will, aber weil man gerade auf Tour, eigentlich immer in Geschäftsprozesse eingebunden ist. Ich könnte ja einfach einige andere Dinge tun. Zum Beispiel als Tourmanager arbeiten. Kein Problem. Oder als A&R, das mache ich faktisch jetzt schon und bin einer der Hauptentscheidungsträger beim Label. Aber dennoch bin ich zurzeit am stärksten auf meine eigene Musik konzentriert. Rap ermöglicht es mir, viele Ressourcen zusammen zu ziehen. Aber, ganz ehrlich gesagt, ich werde natürlich nicht ewig auf der Bühne stehen. Ich bin jetzt 33 und meine Fans sind überwiegend 17. Mein Sohn ist auch schon 11 Jahre alt. Stell dir mal vor, wenn er 17 wird, bin ich 39. Dann soll ich mich da vorne hinstellen und einem Haufen 17jähriger Kids was erzählen?


rap.de:
Was ist mit den älteren?


Slug: Das wird man sehen müssen. Wenn ich mir die Leute anschaue, mit denen ich zur Schule gegangen bin und mit denen ich angefangen habe HipHop zu hören, wo sind die heute? Die meisten hören kein Rap mehr. Sie haben eine Familie, einen Job und hören vielleicht gerade noch den HipHop, der im Fernsehen gezeigt wird. Wenn ich mal einen von ihnen treffe, dann wissen die wenigsten, dass ich rappe und einer der zurzeit bekanntesten Rapper aus der Stadt bin. Die sind ganz weit weg von der Jugendkultur HipHop, die sie kennengelernt haben. Ich bin vielleicht nur dabei geblieben, weil ich einfach ein absoluter Rap-Vollidiot bin.

rap.de:
Du sprichst von einem jungen Publikum. Ich habe das Gefühl, dass sich zumindest in Deutschland auch viele ältere Fans unter das Publikum mischen. Wünschst du dir das auch für die USA?

Slug: In den USA gibt es einfach sehr viele Kids, die zu meinen Shows kommen. 16jährige. Natürlich gibt es auch einige ältere und ich bin gespannt, ob sich das Verhältnis mal ändern wird. Wenn ich eines Tages vor 500 38jährigen Frauen spielen soll – fuck it, I´ll do it! (lachen) Die werden wesentlich besser verstehen, worüber ich rede, als ein 16jähriges Kid im Hoodie. Andererseits weiß ich nicht, ob ich wirklich Rapmusik für ältere Leute machen will. Am liebsten natürlich Musik für alle. Aber stell dir mal vor, wenn mein Sohn 17 ist und ich die selbe Musik höre wie er. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie es war, als ich in dem Alter war. Wenn ich eines nicht wollte, dann, dass mein Dad dieselbe Musik hört wie ich.


rap.de: Was würdest du tun, wenn dein Sohn ankommt und dir erzählt, dass er jetzt Rapper werden will? Würdest du ihn unterstützen?

Slug: Grundsätzlich würde ich ihn bei allem unterstützen, was er wirklich machen will – auch wenn er Musiker oder Rapper werden will. Aber ich hätte gerne, dass er es nicht aus den falschen Gründen macht, dann würde ich ihm raten lieber Golfspieler zu werden. Denn man kann sich auch sehr viel kaputtmachen, wenn man eine falsche Auffassung darüber hat, weshalb man z.B. in einer Band sein sollte. Ich würde sehr sehr ehrlich zu ihm sein, was auf ihn zukommt, wenn er diesen Weg wählt. Viele wollen eine Gitarre in die Hand nehmen, um möglichst viele Pussys zu bekommen und der King in der Stadt zu werden. Das kann in einem ziemlich schmerzhaften Erwachen enden, wenn sie merken, was es tatsächlich heißt Musiker zu sein und was an Arbeit in einen solchen Beruf investieren muss. Darauf würde ich ihn vorbereiten wollen.


rap.de:
Dein Sohn ist jetzt 11. Darf er deine Musik hören?

Slug: Ja, aber ich gebe ihm die Radioversion von meinen Songs. Allerdings hauptsächlich wegen seiner Freunde. Ich möchte nicht, dass einer seiner Freude plötzlich vor den Eltern zu fluchen anfängt und dann rauskommt, dass er das von meiner CDs hat, die ich meinem Sohn gegeben habe. Mein Sohn weiß ganz genau Bescheid worüber ich rappe. Allerdings interessiert er sich nicht so stark für die Inhalte und stellt mir nur wenig Fragen darüber. Ihn interessieren viel mehr meine Reisen, die Städte in die komme und so. Dahin würde er auch gerne reisen. Aber er hat ja auch noch Zeit.

rap.de: Ich muss noch mal auf das Felt-Projekt zurückkommen. Mir fällt gerade ein, dass “Felt 2“ doch ursprünglich ein Tribut für Nicole Richie werden sollte. Letztlich ist es aber Lisa Bonet gewidmet. Wie konnte das passieren?

Slug: Ja, wir wollten das zweite Felt-Album zuerst tatsächlich für Nicole Richie machen, weil wir mit ihr ficken wollten. (lachen) Aber wegen dieser TV-Show („Simple Life“ mit Paris Hilton – Red.) wurde sie plötzlich berühmt. Sie war nun also nicht mehr nur dumm, sondern auch noch total berühmt. Das ging nicht. Wenn sie bloß dumm gewesen wäre, hätten wir die Platte ganz sicher für sie gemacht. Also haben wir beschlossen, die Platte für Lisa Bonet zu machen, weil sie heute nicht mehr so berühmt ist, wie noch vor einigen Jahren. Aber ich sage dir, die Sache funktioniert wirklich. Nachdem wir die erste Felt-Platte für Christina Ricci gemacht hatten, bekam sie plötzlich wieder gute Rollen. Auf ein Mal war sie bei Ally Mc Beal.

rap.de: Okay, also müssen wir in diesem Jahr nach Lisa Bonets großem Comeback Ausschau halten.

Slug: Absolut. Wenn Lisa Bonet ihr Comeback schafft und wieder richtig viel Ruhm erntet, werden Murs und ich ein neues Business starten. Wir werden untergehenden Schauspielsternchen anbieten, für 10.000 Dollar eine Platte über sie zu machen, um ihrer Karriere einen neuen Schub zu geben. (lachen)


rap.de:
Hast du den Film „High Fidelity“ gesehen?

Slug: Ja, und Lisa Bonet war gut in dem Film. Aber ihrer Karriere hat das auch nicht den entscheidenden Kick gegeben. Ich habe das echt nicht kapiert, denn sie war nicht nur gut in dem Film, sondern sie ist auch wunderschön. Ich nehme an, dass es daran lag, dass „High Fidelity“ in den Staaten vor allem von Szene-Leuten und Snobs gesehen wurde. Und diese Typen haben einfach immer noch nicht gecheckt, dass es höchste Zeit wäre, sich eindlich einzugestehen, schwarze Frauen ficken zu wollen. Sonst wäre Lisa Bonet scheiß berühmt. Denn sie ist phänomenal. (lachen)

rap.de: Du bist ja quasi mehr auf Tour als zu Hause, da sieht man doch auch ne Menge…

Slug: Nein, das alles ein großes Missverständnis. Frauen, die mich treffen, meinen oft, sie würden auch gerne so viel reisen wie ich. Dann erkläre ich ihnen immer „Ich würde mir sehr gerne deine Stadt ansehen, aber das wird nichts. Wir haben nur 45 Minuten Zeit, also lass uns lieber Sex haben.“ Ich mache natürlich nur Spaß. (lachen) Aber am Ende des Tages bin ich natürlich sehr glücklich über meinen Job und dass ich überhaupt diese Möglichkeiten habe – wenn du verstehst was ich meine…