Culcha Candela

Generell kann es nicht schaden – nun, da der Sommer in den letzten Zügen ist, die Tage wieder kürzer und vermutlich auch wieder kälter werden – eine Platte zu besitzen, welche bis in die letzte Rille zumindest das sommerliche Gefühl am Leben erhält. Culcha Candela kommen nach einem heftigen Jahr Live-Präsentation auf den großen, ganz großen, kleinen und saukleinen Bühnen des Landes mit ihrem zweiten Longplayer-Release und wir erinnern uns: War der Kontext der Berliner Formation bei Album Nummer eins noch die „Union Verdadera“ ins rechte Licht zu Rücken, beleuchten die Scheinwerfer inzwischen das Treiben der „Next Generation“. Und tatsächlich, es hat sich einiges getan bei den Culchas – welche dies im Gespräch erneut belegen.

Culcha Candela – walk your walk – talk your talk.

rap.de: Mir scheint euer neues Album „Next Generation“ im Vergleich zum Vorgänger wesentlich reifer und durchdachter als das erste. Worin liegt für euch der hauptsächlichste Unterschied zwischen den beiden Alben?

Mr. Reedoo: Also das erste Album ist natürlich auch der absolute Oberkracher, denn es ist einfach der Start dieser Band. Wir sind nach wie vor sehr stolz und glücklich über dieses Album, weil es so ist, wie wir uns kennen gelernt haben. Diesen Charakter trägt dieses Album. Wir haben einfach abgerockt. Das zweite Album ist in einer ganz anderen Phase der Band entstanden. Wir haben uns hingesetzt und aus dem Nichts, innerhalb eines halben Jahres, ein zweites Album geschaffen. Es war also nicht wie beim ersten, wo wir im Grunde unendlich viel Zeit hatten, um eine Zahl guter Tunes zu finden. Wir mussten uns hinsetzen und sagen: Wir bauen jetzt ein neues Album. Das war für uns alle eine neue Erfahrung. Und wenn du jetzt sagst, das Album erscheint dir reifer und gesetzter, dann denke ich, dass das auch gut geklappt hat. Wir wollten natürlich ein Album machen, was wir selber auch besser finden, als das erste, was musikalisch anspruchsvoller ist, was vielleicht auch die Möglichkeit hat, noch mehr Leute anzusprechen und was gleichzeitig thematisch tiefer eingeht, in die einzelnen Themen, die beim ersten Album schon angeschnitten wurden. Es ist einfach mehr ein Album für die Leute geworden. Das erste Album war thematisch viel mehr mit uns selber beschäftigt. Darum hieß es ja auch Culcha Candela – Union Verdadera“. Das zweite Album dreht den Spieß ein bisschen nach außen – mit „Next Generation“. Damit sind nicht nur wir gemeint, sondern auch andere Menschen. Ich denke, das zweite Album ist sehr viel frischer und umfassender als das erste.

Itchyban: Wir unterliegen einer sehr verbreiteten Künstlerkrankheit, dem Künstlerfluch des Perfektseinwollens. Wir sind auf der Suche nach dem perfekten Album. Sofort, nach fünf Minuten der Abgabe des Mastertapes, haben wir schon wieder dreißig neue Einfälle gehabt und hoffen, dass wir uns mit dem dritten Album noch mehr verbessern können und diesem Ziel immer näher kommen.

rap.de: Innerhalb eurer einzelnen Tunes wechseln die Stile dermaßen flott, dass es für mich manchmal doch etwas zu viel ist. Es gibt ein deutsch gesungenen Reggae-Part, danach kommt ein spanisch gerappter HipHop-Part u.s.w.. Aus meiner Sicht gibt es dafür ein für und wider: Die eine Sache ist, dass es vielleicht für den Hörer, wie eben auch manchmal für mich, ein bisschen zu viel auf einmal ist. Das Gute wiederum daran ist, dass man sagen kann, dass für jeden etwas dabei ist und vor allem jeder zumindest partiell etwas verstehen kann.

Larsito: Du hast Recht und so ist das auch eine interessante Entdeckung. Ich denke, der Mix ist schon ziemlich stark, genau wie auch beim ersten Album. Dass ist aber auch die Essenz von Culcha Candela. Es ist dieser Mix – und der kommt dann auch innerhalb der Lieder vor. Es kann natürlich sein, dass es für Leute, die nur eine Sprache beherrschen ein bisschen komplizierter wird. Aber ich denke, gerade für Leute, die vielleicht auch zwei Sprachen verstehen, ist es cool so. Und wie gesagt: wir hatten das beim ersten Album so und behalten das jetzt auch so bei.

Mr. Reedoo: Von daher kann man eigentlich sagen, dass sich nichts geändert hat. Ich möchte noch sagen, dass sowohl das erste, wie auch das zweite Album sicherlich Scheiben sind, die sich nicht beim ersten Mal hören sofort einbrennen und man sagen kann: Das ist das, wonach ich so lange gesucht habe. Das könnte vielleicht auch passieren, aber ich glaube, man muss sich die Sachen ein bisschen anhören und sie dann lieben lernen. Ich denke aber auch, dass das bei beiden Alben eigentlich sehr einfach geht. Aber man muss sich eben darauf einlassen. Man muss sich auf die Band einlassen, auf den Mix, auf die Sprachen. Wir sind halt keine HipHop-Band. Wir sind auch keine Reggae-Band. Wir versuchen genau das zu vermeiden: Eines von Beiden zu sein. Wir machen alles.

Itchyban: … und sind auch mächtig stolz darauf! Du sagst, dass es manchmal zu viel wird? Nun gut: Man merkt, wir sind immer noch eine Newcomer-Band. Uns gibt es erst seit drei Jahren und wir haben jetzt das zweite Album. Wir haben dafür aber schon viel gesehen und viel erlebt. Es ist ja nicht so, dass die Leute wegen dieser Überforderung weglaufen, sondern wir kriegen immer mehr Zuhörer und immer mehr Leute, die genau diese Mischung, diesen Sound geil finden. Und das ist auf jeden Fall eine Bestätigung für das, was wir machen. Man soll sich auch nicht beirren und vom Weg abbringen lassen. Jemand, der konsequent und konstant an seiner Sache arbeitet und daran auch glaubt, wird die Leute am Ende überzeugen.

rap.de: In Sachen Lyrics geht dies ja dann gleich weiter. Es ist bei euch in den meisten Fällen so, dass ihr euch die Strophen aufteilt und jeder ein Part hat. Ist das jetzt gut dahingehend, dass man kurz und bündig zu einem Thema was sagen kann, oder ist es am Ende vielleicht sogar hinderlich, weil man vielleicht schon mal einen ganzen Song, für ein bestimmtes Thema bräuchte?

Larsito: Das hat sich ein bisschen geändert, im Vergleich zum ersten Album. Es gibt jetzt auch Tracks, wo nur ein oder zwei Leute dabei sind, so dass auch jeder einzelne Raum hat,  sich zu entfalten. Wir haben gekuckt, dass wir nicht auf Biegen und Brechen alle sechs MCs auf jeden Song draufpacken, sondern bei einem Track zwei, bei einem anderen mal drei, so dass jeder ein bisschen Raum bekommt. Bei sechs MCs ist es natürlich eine Frage der Toleranz, des Respekts und der Disziplin, dass man nicht zu viel allein macht und stattdessen alle integriert sind. Und es geht darum, dass es sich am Ende rund anhört.

Johnny Strange: Auf jeden Fall haben wir bei diesem Album, mehr als beim ersten Album,  viel über die Themen diskutiert, über die Bandbreite und wie groß so ein Thema sein kann.  Wir haben alles zusammen erarbeitet und dadurch auch mehr zusammen geschrieben. Und wie schon gesagt: es gibt wenige Leute, die alle Sprachen verstehen können. Und es ist nicht immer wichtig, dass wirklich jeder eine eigene Strophe schreibt, sondern dass eher versucht wird, konzeptionell ins Detail zu gehen. Es kam dabei dann auch heraus, dass zwar viel geschrieben wurde, aber auch wieder herausgekürzt werden musste, weil es entweder dem Inhalt nicht gedient hat, bzw. dem Lied auch nicht entsprach. Es war auch eine harte Erfahrung zu sehen, wie es ist, wenn man zurücktreten musste. Aber ich glaube, dass jeder daraus gelernt hat. Das hat uns enorm weitergebracht.

Itchyban: Wir arbeiten beim Musikmachen zum Wohle des guten Songs, des guten Musikstücks. Das ist die Prämisse. Da muss man sich halt zusammenreißen. Wir hoffen, dass dadurch gute Lieder entstanden sind.

rap.de: Ihr vertretet gruppenintern einige verschiedene Mentalitäten und sprecht damit ebenso viele verschiedene Leute an. Aus welcher Richtung erhaltet ihr eigentlich das stärkste Feedback? Egal, ob auf Musikgeschmack, Geschlecht oder Nationalitäten bezogen.

Mr. Reedoo: Ich glaube nicht, dass sich da irgendwas bisher herauskristallisiert hat, was ganz weit oben steht. Ich meine, bei sieben Jungs auf der Bühne wird natürlich das eine oder andere Mädel schon mal schwach. Aber wenn du jetzt auf Musikszenen ansprichst, dann ist es letztendlich das Programm der Gruppe, nicht in einer bestimmten Szene verankert zu sein. Das heißt, wir kriegen von allen Szenen und von allen Leuten ein Feedback, was mal positiv und auch mal negativ ist. Es ist gleichzeitig unser großer Vorteil und auch unser Fluch, dass wir so vielfältig sind. Wir können allen Leuten etwas bieten. Die Leute müssen sich aber auch zusammenreißen, um aus ihrer eigenen Ecke herauszukommen, um vielleicht sagen zu können: Ich finde Culcha Candela toll, obwohl ich ein eingefleischter HipHop- oder Reggae-Head bin. Genau das ist auch das Ziel unserer Sache, die Leute aus ihren Ecken herauszukitzeln, aus ihrem Schubladendenken wegzukriegen und ihnen klarmachen, dass wir letztlich alle das gleiche machen und auch alle das gleiche meinen. Darum geht’s.

rap.de: Sind Songs wie „Mother Earth“ und „More Peace“, entstanden, weil es generell wichtig ist, derartige „Weisheiten“ und Themen aufzugreifen, oder diese ganz spezifisch, aus einer bestimmten Situation heraus entstanden – beispielsweise aufgrund irgendeiner Aktualität?

Don Cali: Ich betrachte das mehr als eine Art Aufruf in Bezug auf ganz bestimmte Themen. In „Mother Earth“ gehen wir back to the roots, besinnen uns auf unsere wahren Wurzeln. Bei „More Peace“ geht es um den Respekt der Menschen untereinander. Wenn es Frieden geben würde, würden manche Dinge, wie sie gerade und immer wieder geschehen, so einfach nicht passieren. Ich nenne es also einfach nur einen Aufruf zu dem, was wir alle alltäglich in der Welt erleben und sehen.

Mr. Reedoo: Gerade diese zwei Lieder sind thematisch ziemlich global. Aber das haben wir auch bewusst so gemacht, weil es für uns eine sehr große Herzensangelegenheit war, diese beiden Themen zu behandeln. Einerseits ist da die Umwelt, andererseits die Situation, die  politisch gerade auf der Welt herrscht. Zwar sind die Themen sehr hoch gegriffen, aber ich glaube, wenn man hoch zielt, kann man doch vielleicht die Menschen dazu bringen kleinere Sachen zu verändern. Ich glaube, wenn die Menschen genau hinhören, können sie gerade diese Ansätze daraus ableiten.

Itchyban: Letztens wurde uns in einem anderem Interview gesagt, dass wir mit „More Peace“ auch keine richtigen Lösungsansätze anbieten würden, aber die Sache ist ja die, dass Frieden im Kleinen anfängt. Wenn wir alle unsere Lösungsansätze im Detail besprechen würden, müssten wir ein fünfunddreißig Stunden langes Lied machen – und dann würde wiederum keiner zuhören. Man muss ja irgendwo ein Kompromiss machen, damit die Leute einem auch  zuhören. Das, was du sagen willst, muss auf jeden Fall hörbar sein und eine Message beinhalten. Im Endeffekt hört es sich banal an, aber wenn wir alle ein bisschen freundlicher durch die Gegend laufen würden, käme es vielleicht auch nicht zu Kriegen. Es ist an sich ziemlich simpel. Es fängt schon auf der Straße an, wenn man jemanden ansieht. Man kann lächeln oder sagen: „Ey, was guckst du?“ Weißt du, so fängt der Frieden schon im Kleinen an.

Johnny Strange: Wir haben auch darüber nachgedacht, wie aktuell die Songs sein sollten. Wir hatten auch schon damit angefangen, Songs zu schreiben, die z.B. explizit gegen Bush waren. Dann war es uns aber doch wichtiger, dass der Song zeitlos wird, und man nicht sagt:  Bush ist schuld, dass es Krieg gibt. Wenn es Bush nicht geben würde, würde es sicher auch Kriege geben und das hier geht an jeden einzelnen selbst. Darum geht es in dem Song. Es fängt im Kleinen an. Wir müssen es selbständig schaffen und nicht darauf warten, dass irgendein Diktator geht.

Mr. Reedoo: Genau das sagt diese Zeile, am Ende des Refrains: „Everybody sing more peace […] but there is nothing but love“. Wir können lange warten, bis uns von oben irgendwo der globale Frieden auf den Tisch gelegt wird, aber der wird so sicherlich nicht kommen. Man muss selber dafür arbeiten, und genau das ist mit dem More-Love-Ansatz auch gemeint. Wenn sich jeder für sich ein bisschen korrekter verhält, ein bisschen mehr conscious durch sein Leben geht und ein bisschen mehr Liebe für andere, seine Freunde, aber selbst auch für seine Feinde zeigt und sagt: Sie sind so, weil sie nicht anders können, aber ich respektiere sie trotzdem. So kann man auch Einiges verändern. Wenn Leute, die auf globaler Ebene etwas zu sagen haben, sich dies zu Herzen nehmen würden, gäbe es sicherlich schon demnächst auch ein paar weniger Kriege.

Itchyban: Ein anderer Lösungsansatz ist unsere Gruppe an sich. Guck uns an: Wir sind sieben verschiedene Leute mit Roots in vier Kontinenten, teilweise verwurzelt in fünf Ländern, aus diesen Kontinenten. Wir sind alle zusammen cool auf der Bühne und werden sogar von anderen darauf aufmerksam gemacht, obwohl das für uns Normalität ist. Und während wir hier, mit dieser Zusammensetzung aus sieben verschiedenen Leuten, darüber reden, finden in fünfzig Ländern dieser Welt Kriege statt. Deswegen ist unsere Gruppe im Kleinen ein Ansatz, der aufzeigt, dass es auch anders geht.

rap.de: Die Medienwelt ist seit ungefähr eineinhalb Jahren vermutlich merkbar aufmerksam auf euch geworden. Bringt man diese Tatsache in Verbindung mit eurem Titel „Scheinwelt“, in welchem ihr mit Eigenarten der Medienlandschaft abrechnet, wirft dies die Frage nach euren Erfahrung mit den Medien auf.

Johnny Strange: Die Gruppe betreffend, finde ich es eigentlich ziemlich okay, wie wir in der Medienwelt aufgenommen wurden. Wir haben einige Erfahrung dadurch gemacht und haben auch dazu gelernt. Man lernt auf diese Art die Medienwelt von einer anderen Seite kennen. Was mich beruhigt hat, oder besser, was ich schön fand zu sehen, war, wie irreal die ganze Welt ist und dass man nicht viel besser ist als vorher, weil man jetzt in der Zeitung steht. Was tatsächlich viel mehr ausmacht, ist das live spielen. Und das ist auch vordergründig das, was unsere Gruppe ausmacht – und auch stark macht. Und das gibt auch uns viel mehr. Da merkt man wirklich, dass das die Realität ist. Dort gibt man Energie, bekommt Energie und verdient  Endeffekt eigentlich auch seine Kohle. Wir sind zwar majormäßig unterwegs, aber es ist auch für uns sehr schwierig momentan. Es ist ein großer Trugschluss, was die meisten Leute denken, die meinen, wenn du ein Video am laufen hast, bist du direkt Millionär. Man muss seine Brötchen mit ehrlicher Arbeit verdienen. Wir machen das mit Live-Musik und das ist auch das, wofür wir stehen. Es ist schön zu sehen, dass Musik leben muss, um weiter zu bestehen.

Itchyban: Wenn du konkret auf den Track eingehen willst, ist es einfach so, dass in den Medien nicht nur über Schwachsinn berichtet wird, sondern auch ein permanenter Zustand von unterschwelliger Angst auf die Menschen projiziert wird, so dass sie in permanenter Alarmbereitschaft sind, denn es könnte ja jederzeit irgendwo eine Bombe hochgehen. Man könnte denken, dass alles nur noch Scheiße ist auf der Welt. Hier Krieg, da Krieg… es gibt ja  auch wirklich keine positiven Nachrichten mehr. Es stimmt natürlich auch, dass es momentan viel Scheiße auf der Welt gibt, aber es gibt auch gute Sachen, und über die wird halt leider so gut wie gar nicht berichtet. Wenn man z.B. etwas über Afrika oder Südamerika sieht, ist da immer nur von Krieg oder Hungersnot die Rede, was ja auch wichtig ist aufzuzeigen, aber es braucht auch Berichte über schöne Sachen.

Mr. Reedoo: Es ist einfach ein sehr bedauerlicher Zustand, dass es anscheinend den Konsumenten, den Zuhörer oder den Zuschauer mehr interessiert, wenn irgendwo etwas schlecht läuft und Scheiße passiert. Es wäre auf jeden Fall cool, wenn die Konsumenten da auch ihr Verhalten in einer gewissen Hinsicht ändern würden, und sich nicht durch schlechte Nachrichten fehlleiten lassen. Die Konsumenten werden dadurch manipuliert, ja suchen quasi selbst den Zustand der Manipulation, um immer nur Angst zu haben und sich irgendwelche Sachen von den Medien diktieren zu lassen.

rap.de: Ein Thema, welches massiv aufgewirbelt wird und euch wahrscheinlich schon aus den Ohren heraushängt, ist Homophobie – gerade im Reggae-Kontext. Ich will dazu ein Statement.

Mr. Reedoo: Diese Band hat sich von Anbeginn an auf bestimmte Grundsätze geeinigt. Einer dieser Grundsätze war mit Toleranz und Respekt zu handeln – und dies beinhaltet immer, dass man Respekt und Toleranz gegenüber anderen, Andersartigen, Andersdenkenden, gegenüber Leuten mit anderer Nationalität, anderer Sprache, anderer Herkunft, anderer Hautfarbe, anderer Religionen und eben auch anderer sexuellen Vorlieben zeigt. Ich denke, jeder von uns hat sein Ding für sich abgeschlossen. Da gibt es auch nichts dran zu rütteln. Das muss man den Leuten aber auch nicht auf die Nase binden und irgendwie ein großes Trara daraus machen. Es gibt so viel wichtigere Dinge, über die man auch Songs machen kann. Es gibt so viel zu bewegen, es gibt so viel anzustoßen, in den Köpfen junger Leute! Was aber sicherlich nicht benötigt wird, ist ein Song nach dem anderen über dieses Thema. Das braucht kein Mensch. Ich denke, wenn man sich diese Band anguckt, und eben dieses Grund-Ding mit Toleranz und Respekt sieht, dann beantwortet sich auch die Frage selber, was wir über Homophobie denken.

Johnny Strange: Ich finde schade, dass Leute auf diesen Zug mit aufspringen, weil es scheinbar gerade Mode ist, dass man sich auf diese Art und Weise äußert. Ich glaube, die Leute denken gar nicht darüber nach, was sie da genau sagen. Sie suchen irgendetwas,  worüber man rappen kann, oder aber was sie richtig scheiße finden. Dann nehmen sie sich die Schwachen und die Minderheiten, um sie zu dissen. Das finde ich arm. Gerade im Reggae, was eine Rebellen-Musik ist, wo man nach oben kämpft, finde ich das bedauerlich. Man sollte die Menschen nicht nach ihren Gefühlen behandeln, sondern nach dem was sie tun. Jeder Mensch kann gut sein, egal nach welchem Glauben er handelt und was für ihn in seinem Leben wichtig ist. Solange die Menschen Liebe haben, sollte man das nicht verteufeln. Ich finde es echt schade, gerade hier in Deutschland, wenn Leute keinen Plan haben, wovon sie reden. Es gibt viel mehr Gründe, warum man gegen jemanden wirklich etwas sagen könnte. Meistens ist ja doch alles nur ein Klischee.

Mr. Reedoo: Es ist auch nicht so, dass wir Anti-Homophobie-Songs machen würden. Das ist eine Sache, da habe ich ehrlich gesagt auch keinen Bock drauf. Ich will auch niemanden für seine Erziehung und seine kulturellen Sozialisation irgendwie anpinkeln. Was wichtig ist, ist,  den Leuten in diesem Land, die eigentlich auch anders erzogen worden – in den meisten Fällen zumindest -, klarmacht, dass das Quatsch ist, was da oft erzählt wird, und dass das auch keiner braucht. Aufruf an alle Radiomoderatoren und DJs da draußen: spielt conscious Musik, spielt bewusste Musik, lasst den Hass raus. Musik ist etwas Schönes und Positives. Da braucht man keinen Hass und keinen Diss.

Johnny Strange: Man muss aber auch auf jeden Fall bei diesem Thema in der Mitte bleiben. Einer meiner Lieblingsartists ist Buju Banton, der letztes Jahr richtig Probleme bezüglich homophober Aussagen bekommen hat, als die Schwulen- und Lesbenszene seine ganze Tour zerstört haben, obwohl er den Song („Boom Bye Bye“, Anmerk. d. Red.) eigentlich zurück genommen, und auch selber gesagt hat, dass er viel Unüberlegtes von damals inzwischen anders sieht. Vielleicht hat er sogar zugestanden, dass es nicht richtig war. Auf jeden Fall hat er gesagt, dass er davon zurücktritt. Dann finde ich umgekehrt dieses extreme Handeln gegen ihn auch nicht fair! Egal, aus welcher Richtung man kommt, man sollte nicht so weit gehen, dass man sich zu weit aus dem Fenster lehnt! Man sollte nicht die Leute fertig machen, sondern sich mit ihnen auseinander setzen, denn es geht um Verständnis. Das ist das Ziel, nicht der Hass.

rap.de: Habt ihr das Gefühl, dass Reggae, Soca und Reggaeton nunmehr aus seinem Exotendasein herauskommt und die Chance hat, auf dem internationalen oder auch nationalen Musikmarkt zu bestehen? Im Prinzip gab es einen ähnlichen Trend ja vor Jahren schon einmal. Dennoch ist das dann auch wieder abgeflaut.

Johnny Strange: Reggae ist auf jeden Fall mehr als nur ein Trend. Es ist einfach eine sehr spirituelle Musik, die stark ist. Bob Marley wird z.B., egal, wen du auf der Welt triffst, gemocht. Seine Musik trifft die Menschen im Herz, und das kann man spüren. Unabhängig davon gibt es weltweit viel mehr Szenen als nur Reggae und HipHop. Und es gibt sehr viele Altersklassen. Es gibt sehr viele verschiedene Musikrichtungen, und gerade durch Konzerte merkt man das. Das ist schön zu sehen, dass alles zusammenkommen kann, weil es Musik ist. Es gibt immer Leute die das verstehen, weil sie offen sind, egal wo sie herkommen, wie alt sie sind und zu welchem Geschlecht gehörend. Das ist halt der Weg, den wir versuchen zu beschreiben. Wir sind eine Welt. Wir sind verschiedene Menschen, egal wo wir herkommen. Wir sind aus verschieden Musikrichtungen. Es ist egal, wie verschieden die Menschen sind, sie werden uns verstehen, wenn sie wissen, worum es geht. Das ist eine Sache, die sehr positiv zurückkommt, wo man merkt, dass die Leute das einfach verstehen – egal wo wir hinkommen. Das beste Beispiel zeigte einer unserer Auftritte auf einem Heavy-Metal-Festival, wo wir richtig den Arsch gezeigt bekommen haben. Die Antipathie des Publikums war so extrem, dass wir schon wieder Spaß daran hatten. Im Endeffekt haben wir doch viele Leute gekriegt. Darum geht es eigentlich. Du musst nicht alle überzeugen, aber es sind immer Leute dabei, die es verstehen und aus ihrer Ecke herauskommen – und dann hat sich alles auf jeden Fall gelohnt.

Mr. Reedoo: Ich denke, dass Reggae und HipHop in ihrer Reinform immer eine Spartenmusik, in dem Sinne bleiben werden, dass sie szenenbegrenzt sind. Die Szenen können größer werden und mal abnehmen. Was viel wichtiger ist, dass beide Musikrichtungen in den letzten 15 Jahren sehr viel Einfluss auf die Popmusik gehabt haben. Erst HipHop natürlich ganz gewaltig. Wenn man sich heute Songs von Michael Jackson, Mariah Carey oder sonst wem anhört, sind es im Grunde HipHop-Beats, die sie benutzen. Beim Reggae ist es ähnlich. Insbesondere die große Dancehall-Welle, sprich die Sean Paul-Zeit hat natürlich ganz viel in den Produktionsmechanismen, wie inzwischen populäre Massenmusik hergestellt wird, bewirkt. Das rückt halt alles viel näher zusammen. Und ich habe Bauklötzer gestaunt, als ich vor einem halbem Jahr diesen Kinderfilm „Große Haie, Kleine Fische“ gesehen habe, wozu es einen Dancehall-Soundtrack gab! Für einen Kinderfilm! Man sieht schon, dass die Einflüsse immer weiter gehen. Ich denke aber, Rootsreggae wird eine Musik bleiben, die nur relative wenigen Leuten mit ihrer ganzen Spiritualität zugänglich ist. Das ist aber vielleicht auch gut so.  

Itchyban: Bob Marley kennen wahrscheinlich mehr Menschen auf der Welt als die Beatles. Also wenn man irgendwo in Kalkutta unterwegs ist, bei einem indische Bauern aus der niedrigsten Kaste nachfragen würde, würde er eher sagen, dass er einen Song von Bob Marley eher kennt, als einen von den Beatles. Die Musik wird auch noch in 30 Jahren so geil sein.

rap.de: Culcha Candela steht kurz vor dem Tourstart. Was wird auf eurer Tour live abgehen? Wird sich z.B. an eurer Bühnenshow irgendetwas ändern?

Itchyban: Das wird natürlich ein audiovisueller Genuss der Güteklasse 1a! Wir arbeiten gerade daraufhin, die Tour zu proben und haben noch schwere Sessions im Proberaum vor uns. Wenn wir dann am ersten Oktober auf die „Next Generation Tour“ gehen, dann könnt ihr echt jespannt sein, Leude!

rap.de: Einer eurer neuen Tracks heißt „Partybus“ und stellt meine letzte Frage: Was ist die perfekte Besetzung eines Partybusses?

Lafrotino: Na wir natürlich! Ein DJ und sechs MCs…