Dark Circle

Hamburg, irgendwann Mitte/Ende Januar – draußen regnet es, alles wie immer. Nachdem ich mich in einem Haus im – je nach Sichtweise – mehr oder weniger sagenumwobenen "Eimsbush" bis unters Dach geschleppt habe, lande ich in "Beckers Nightmare", einem Ort zum Wohlfühlen. Im Flur lehnen überall Platten an den Wänden, u.a. zwei Kopien von Medina Greens "Crosstown Beef" – Vinyl aus einer Zeit, als Mos Def noch HipHop machte, Rawkus noch existierte und bei denen auch noch "alles schön" war. Wo bin ich? In "Beckers Nightmare". Wer wohnt hier? Mit DJ Son und DJ Hysteria die deutsche Hälfte der HipHop-Band Dark Circle, die im Herbst ihren Debüt-Longplayer auf Jazz Fudge herausbringen will, dem Label dieses "netten jungen Russen" namens DJ Vadim, in dessen Polit-Büro in London die Raps aufgenommen wurden. Wieso jetzt "Beckers Nightmare"? "Becker heißen die Mieter unter uns, und deshalb heißt das Studio so. Wir saßen einmal in England in so ´nem Pub und überlegten, wie wir das Studio nennen könnten, und kamen auf Beckers Nightmare – ´Oh Gott, ich muss morgen um vier raus (stöhn)´. Entschuldigung, ich habe gerade Frau Beckers Rolle angenommen", meint DJ Hysteria erläuternd. Natürlich sind Beckers nicht so anstrengend, wie man denken könnte: DJ Hysteria: "Ja ja – die sind auch nett." DJ Son: "Mhmhm – die kommen gern´ mal hoch…" DJ Hysteria: "Ich war neulich auch mal nett – da hab´ ich geklingelt und meinte ´Hallo Frau Becker – ihr Schlüssel steckt draußen in der Tür´. Das hat dann wieder Pluspunkte gegeben, wir haben aufgedreht, und sie sind nicht hochgekommen – man muss schon auch ein bisschen was für die Verständigung tun."

 

Beckers Nightmare wäre damit geklärt – wie komme ich nun zu Dark Circle? Eigentlich deshalb, weil mir DJ Vadim im Interview für die Produzenten-Serie von den Jungs vorschwärmte. Er sprach damals von einer deutsch-englischen Kombination und davon, dass DJ Son "incredible beats" mache (man höre dazu das MP3 zu "That´s cool"), was bei mir zu solider Neugierde führte. Dark Circle besteht auf der deutschen Seite aus DJ Hysteria und Produzent DJ Sun (Hamburg) sowie auf englischer Seite aus dem Produzenten Pats und den MCs Anik und Hoycke (London), die sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch rappen, was natürlich auch insoweit vorteilhaft ist, als man aufgrund dessen nicht auf den deutschen Markt festgelegt ist. "Ich würde wirklich gerne eine Platte machen, die ich selbst nach zehn Jahren immer noch gut finde, auch wenn ich dann vielleicht mehr darüber weiß, wie ich die Beats machen oder den Sound verändern kann – so wie alte Tribe Called Quest-Sachen oder Gangstarr-Sachen, die man sich ja heute auch immer noch anhört und denkt ´Derbes Stück´", umschreibt DJ Son die Wunschvorstellung für die eigene Platte. Für die erste Maxi wurde ein Track mit Looptroop aufgenommen, mit denen die Jungs befreundet sind, seit man vor Jahren anfing, gemeinsame Jams in Stade zu organisieren. Während DJ Sun für die tendenziell etwas experimentelleren Beats verantwortlich ist, macht Pats in London ("…keiner weiß, wie alt er wirklich ist – vielleicht 35…") eher traditionellere HipHop-Beats, so dass sich straightere und verspielte Sachen ergänzen. Erfahrt in den folgenden Auszügen unseres entspannten Gesprächs, wie man zu Jazz Fudge kam, welche Vorbehalte gegenüber der Hamburger und der Deutschen HipHop-Szene im Allgemeinen bestehen und was staubfreie Studios damit zu tu haben…

rap.de: Natürlich müsst ihr erzählen, wie ihr an Vadim und damit an Jazz Fudge geraten seid…

DJ Hysteria: Also Pats kannte Vadim wohl schon aus London…
DJ Son: …die Szene ist ja auch nicht so richtig groß…
DJ Hysteria: …Pats hat früher auf MoWax schon ein paar Sachen rausgebracht und hat Vadim dann mal ein Demo gegeben, das er mit Anik und Hoycke produziert hat. Wir hatten zu der Zeit hier in Hamburg auch ein Demo mit den beiden gemacht, das teilweise identische Texte enthielt. Vadim hat dann zur gleichen Zeit zwei Dark Circle-Demos bekommen, und so wurde er auf uns aufmerksam. Getroffen haben wir ihn dann in Berlin…
rap.de: Is´ er zufällig mal wieder auf der Insel aufgetreten?

DJ Hysteria: Nee – im Knaack-Club, wo er damals mit den Arsonists und Swollen Members ´nen Gig hatte. Da sind wir extra hingefahren, weil am nächsten Tag auch noch die Skratch Piklz im Knaack Club waren. Das war irgendwie 98 oder 99…
 
rap.de: Da habt ihr ja ein cooles Wochenende erwischt…

DJ Hysteria: Ja – Skratch Piklz haben wir nicht mehr geschafft, weil wir die Nacht im Auto pennen mussten und am nächsten Tag beide nicht mehr konnten. Wir mussten am Montag beide zur Schule oder zur Arbeit, und deshalb sind wir dann zurückgefahren. Ich bereue es heute noch. Vadim hat die Sachen dann Simon vorgespielt, der das Jazz Fudge Office macht, und der fand es wohl auch ganz cool. DJ Son: Erst sollten wir eigentlich nur ´ne Maxi machen…
rap.de: Auf Jazz Fudge wird dieses Jahr ja einiges abgehen, wenn alles glatt läuft…

DJ Son: Wenn alle Platten rauskommen, die rauskommen sollen, dann wird´s anstrengend – Blue Rums LP soll ja jetzt auch rauskommen. Die ist ja schon seit zwei Jahren angekündigt, dann kam ´ne Maxi, und nun soll es wohl so weit sein.
DJ Hysteria: Da ist auch ein Beat von Sun drauf…
DJ Son: Überraschenderweise – eigentlich hatte ich nur ´nen Remix für ´ne Maxi gemacht, aber er fand den Beat dann wohl so gut, dass er gleich ´nen neuen Track daraus gemacht hat.
DJ Hysteria: Dann haben Phi Life Cipher und Task Force noch ´ne Platte zusammen gemacht, Chosen Few heißt die – also da kommen auf jeden Fall interessante Sachen raus… und unsere Platte.
DJ Son: Und unsere Platte (lacht).
rap.de: Jazz Fudge-Sachen sind ja dafür bekannt, tendenziell anders zu sein. Wie würdet ihr euren Sound denn selbst beschreiben?

DJ Son: Mhm – das ist immer schwierig – irgendwo zwischen genial und totaler Scheiße, würde ich sagen. Also ich denke da immer so ein bisschen um die Ecke. Wenn ich einen Beat mache, dann denke ich oft ´Der klingt jetzt schon so, dass er rocken würde, aber man könnte noch mal drüber schlafen und noch mal drüber nachdenken, und dann würde womöglich noch ein Aspekt hinzukommen, der das Ganze ein bisschen überraschender macht als die Urversion.´ Es dauert bei mir auch immer ein bisschen länger, bis ich einen wirklich neuen Beat habe, weil ich mich auch nicht selbst kopieren will.
DJ Hysteria: Wenn ich die Beats von manchen Leuten höre, dann höre ich auch immer ein bisschen deren Umgebung, also deren Studio mit. Wenn ich die Beats von Sun und von Pats höre, klingt das für mich auch immer so ein bisschen staubig, ein bisschen chaotisch – ich stelle mir dann immer dunkle Räume vor, die gerade so ein bisschen beleuchtet sind, mit einer wohligen, warmen Atmosphäre. Teilweise hört man auch bei anderen Produktionen aus dem europäischen Raum…
DJ Son: … aus dem Königreich Deutschland …
DJ Hysteria: … dass es da so nach aufgeräumtem Studio klingt – die sind immer so clean, und da kann ich persönlich nichts mit verbinden.
Sun: Mir ist auch aufgefallen, dass sich alle in Deutschland immer so gerne vor ihrem Studio präsentieren…
rap.de: Ich hab das neulich auch wieder irgendwo gesehen, und da sieht man halt keinen Staub und denkt immer so…

DJ Son: … dass da die Putzfrau nach Feierabend kommt. Die Leute haben eben so richtig aufgeräumte Studios und arbeiten da jetzt Musik.
DJ Hysteria: Ja – das ist die deutsche HipHop-Einstellung: Ich mach´ von 9 bis 18 Uhr HipHop…
Sun: Bei mir ist das mein Schlafzimmer, und wenn ich Bock habe, ´nen Beat zu machen, dann mach ich den. Wenn nicht, dann kuck ich eben Fernsehen… oder ein Video (Lachen)…

rap.de: Als mir Vadim von euch erzählte, meinte er auch, dass ihr mit der Hamburger HipHop-Szene nichts zu tun haben wollt oder zumindest wenig zu tun habt.

DJ Son: Deren Ding und unser Ding schneiden sich einfach nicht wirklich.
DJ Hysteria: Wir kennen natürlich viele Leute, und man läuft sich bei HipHop-Parties auch ständig über den Weg, aber viele von denen wissen auch gar nicht, dass wir selber Musik machen. Das würde die aber wahrscheinlich auch nicht interessieren, weil das, was wir machen, einfach anders ist. Man könnte uns z.B. nie mit Samy Deluxe oder einem anderen von denen vergleichen. Mir kommt es manchmal sogar so vor, als wäre es eine andere Musikrichtung. DJ Son: Na ja – der Sound ist anders, vielleicht aber auch die Intention dahinter. Es kommt mir manchmal so vor, als würden die ´ne andere Politik fahren und ein anderes Publikum ansprechen wollen. Was man auf deren Platten hört und in Interviews liest, würde ich wohl nicht sagen. Vielleicht haben die einfach ´ne andere Zielgruppe.
rap.de: Was ist denn eure Zielgruppe?

DJ Son: Leute, die gute Musik hören, ohne Marken und Schranken und Schubladen. Ich möchte auch gar nicht sagen, ich mache HipHop oder sogar deutschen HipHop – wir machen einfach Musik, und wer Musik hören möchte, die ehrlich gemacht ist und die ihm vielleicht auch vom Stil gefällt, der soll es sich anhören. Wir sprechen weder das HipHop-Publikum noch die intellektuellen Studenten an…

 

rap.de: Wen mögt ihr denn im deutschsprachigen Raum?

DJ Hysteria: Cool finde ich z.B. Waxolutionists, auch einige Sachen von Sieben aus Wiesbaden…
Sun: Nein, nein – no!
DJ Hysteria: Obwohl er die nicht gut findet – aber ich finde einige Sachen von denen ganz cool. Es gibt auch einige coole MCs, aber das Problem sind meistens einfach die Beats…
DJ Son: Die Beats sind ein großes Problem in Deutschland. Entweder es klingt nach Premier oder sonst wem, oder es klingt einfach nicht gut. Vielleicht ist das von mir auch ein bisschen krass, aber für mich ist Musik halt einfach ein Gefühlsding, und wenn Musik einfach nicht das Gefühl rüberbringt, das ich bei guter Musik haben will, dann ist es halt nicht gut für mich.
DJ Hysteria: Viel von der Musik, die man hört, berührt einen einfach nicht. Wenn ich mir jetzt die neue Vadim-LP anhöre, dann sind da teilweise Sachen dabei, bei denen ich ´ne Gänsehaut bekomme. Das sind einfach Dinge, die heftig sind, das ist musikalisch viel weiter vorne, als irgendwas, das mit dem Magic Music Maker gemacht ist… (allgemeines Lachen)
Sun: Das glaube ich kaum…
DJ Hysteria: Die Leute setzen sich hier einfach hin und haben eine genaue Vorstellung davon, wie ein HipHop-Beat zu klingen hat, und nachher klingt das dann auch wie etwas, das genau in diese Schublade gehört. Leute, die ich für ihre Musik respektiere, setzen sich eben nicht hin und meinen ´Ich habe einen Plan im Kopf und mache einen HipHop-Beat´, sondern das ufert einfach aus. Dieses Ausufern ist eben so ein ´Neue-Pfade-Betreten´, und das bringt Musik weiter… Es ist oft so, dass ich Sachen sage und danach denke: Was habe ich schon wieder für ´ne Scheiße gelabert…
DJ Son: Das kennen wir ja…