Dj Vadim

Der breiteren Öffentlichkeit wurde DJ Vadim durch sein Album „Life from the other Side“ ein Begriff, auf dem er mit Leuten wie El-P, Sarah Jones oder Iriscience zusammen arbeitete. Viele werden ihn auch schon live gesehen haben – seiner ausgeprägten Leidenschaft für Livesets ist z.B. auch der Song „War“ auf dem Dilated-Album „Expansion Team“ zum Opfer gefallen, wie Rakaa erzählte:
„Den Song ´War´ habe ich eigentlich mit Vadim für ein United Nations-Album gemacht. Das Konzept wurde jedoch verworfen, und Vadim ging auf Tour. Er wollte tausend Shows oder irgendwas verrücktes in der Art machen, und wir haben den Song nie beendet (produziert wurde der Beat nun von ?Uestlove – Anm. d. Red.).“ Zwei dieser 1.000 Shows hat Vadim dieses Jahr gemeinsam mit Killa Kela und Mr. Thing (Scratch Perverts) auf der „Insel“ in Berlin-Treptow im Rahmen der Lost Elements-Veranstaltungen gemacht, wo ich ihn Mitte September zum entspannten Gespräch traf. Den Savas-Fans, die an diesem Tag beim Savas-Gig tapfer die Mittelfinger in die Luft gehalten haben, muss dieser gemütlich-fröhliche Londoner, der
Russland im Alter von vier Jahren mit seiner Familie verließ, äußerst suspekt vorgekommen sein.
Seit 1995 betreibt Vadim im Südlondonder Stadtteil Brixton auch sein eigenes Label „JazzFudge“, welches er zunächst nur gründete, um seine eigenen Sachen zu veröffentlichen. Zwischenzeitlich hat er darauf einen Haufen sehr unterschiedlicher Künstler zusammengeführt, darunter den Beatboxer Killa Kela, die Jungs von Phi Life Cypher (Tour-MCs der Gorillas-Tour) sowie die dänische Live-HipHop-Band Pelding, die dieses Jahr ein herausragendes Album auf JazzFudge releaste. Vadim selbst veröffentlicht im Herbst nächsten Jahres auf Ninja Tune ein weiteres Album, welches „The Art Of Listening“ heißen soll.
„Ich habe dieses Mal mit wesentlich mehr Musikern gearbeitet, und die Platte ist komplexer und organischer geworden. Ich habe einen neuen Track mit Iriscience gemacht, bei dem ich mit diesem südindischen Orchester zusammenarbeitete, in dem 120 Leute mitspielen. Es sollte etwas wirklich Neues herauskommen. Ich hatte auch keine Lust, Kollaborationen mit normalen Leuten zu machen und wollte auch nicht losziehen und MCs anwerben. Leute, die in Plattenläden gehen und Platten sehen, auf denen ‚DJ Fritz feat. KRS One‚ steht, denken häufig ‚Oh, DJ Fritz ist so cool‘ – aber er ist nicht so cool, weil er eben 20.000 Dollar gezahlt hat, damit KRS One auf seiner Scheibe ist. Ich arbeite mit Leuten zusammen, weil sie eine ähnliche Vision wie ich haben. Es geht darum, gute Musik zu machen, Babies“ , erzählt Vadim.

Zwischendurch kamen wir dann auch auf klassische Produzententhemen zu sprechen, wie etwa auf die Frage, auf welchem Equipment er Beats produziert:
„Tatsächlich ist es so, dass ich meine Beats nicht selbst mache, ich bezahle jemanden dafür, dass er sie macht (Mr. Thing und Kela, die auch anwesend sind, lachen). Ich benutze die Akai MPC 3000XL, habe aber auch eine SP1200, um die Drums zu machen. Für die Samples benutze ich nur die MPC. Meine Sequences mache ich mit Cubase VST auf einem Macintosh. Dann benutze ich eine Menge ProTool-Stuff. Selbst, wenn ich den Mix beendet habe, mache ich noch eine Menge Post-Production – wie Sounds hinzufügen, editieren. Ein Menge Leute in Europa beenden den Mix des Tracks, und das war es – sie denken, ihr Job ist getan.“
rap.de: Denkst du, dass es einen typischen DJ Vadim-Sound gibt, den du auch beschreiben kannst?

Vadim: Wenn ich meine Musik mit einem Wort beschreiben sollte, dann müsste es wohl ‚Scheiße‘ sein (allgemeines Lachen). Nein – ich denke, es ist sehr wichtig, seinen eigenen Sound zu finden. Wenn ich in den Plattenladen gehe, erinnern mich die meisten Platten an jemand anderen, z.B. an Premier oder Alchemist. Es ist nicht so, dass diese Platten whack wären – sie sind o.k.. Aber das ist das Problem zur Zeit – es gibt zu viele Platten, die nur o.k. sind – nicht scheiße und nicht großartig. Ich möchte etwas machen, das nicht nach jemand anderem klingt – ich will wie ich klingen. Wir gehen nächste Woche in Amerika auf Tour, und welchen Sinn hätte es, wenn ich versuchen würde, Amerikanern amerikanische Platten zu verkaufen? Bei uns in England versuchen die Leute zu sehr, sich an Amerika zu orientieren.

rap.de: Den Eindruck hat man in Deutschland aber oft auch…

Vadim: Ja – aber ihr rappt auf Deutsch. Wir dagegen auf Englisch, d.h. wir konkurrieren direkt mit den Amis. Aber es gibt jetzt eine neue Ära von Leuten wie Roots Manuva, MarkB & Blade oder Louis Parker, die Englisch auf Englisch reden und die Dinge auf eine englische Art präsentieren. Es ist ein anderer Klang in der Stimme, und ich hoffe, auf meine Art ein wenig Teil dieser Sache zu sein. Ich versuche, die Dinge sehr rauh und einfach zu halten, obwohl viele Dinge auch unterschwellig stattfinden. Es ist manchmal ein wenig so, wie auf diesen Timbaland-Platten, die jetzt draußen sind.
rap.de: Wo wir gerade zu anderen Produzenten kommen – wo siehst du Aspekte, die dich beeinflussen?

Vadim: In der Vergangenheit habe ich zu Leuten wie Marley Marl, Pete Rock oder Premier aufgesehen, der klassische NY-Sound eben. Es gibt eine Menge Produzenten, aber was den kreativen Aspekt angeht, ist Timbaland auf einem ganz anderen Level. Er macht Sachen, die uns 10 Jahre voraus sind. Auch von Jay Dee nehme ich an, dass er bald etwas sehr Gutes bringen wird. Es ist wie mit dem MCing, auch das hat sich in den letzten Jahren extrem weiterentwickelt. Plötzlich hast du z.B. dieses Double-Time-Rhyming auf Half-Time-Beats, wie es z.B. Freestyle-Fellowship und Latyrx schon länger vormachen. Die Leute können nicht länger reimen und Beats machen, als wäre es 1993, einige Produzenten haben das auch verstanden, man kann einen Loop nicht mehr vier Minuten lang laufen lassen. Natürlich kaufe ich mir als DJ eine Menge HipHop, um ihn zu spielen. Zuhause aber höre ich mir Reggae, Jazz oder andere Dinge an, wo in einem Tracks Millionen Änderungen stattfinden…
rap.de: Ist das Jazz-Ding auch eine Quelle für Samples bei dir?

Vadim: Ein bisschen, aber was Sampling angeht, so sample ich eigentlich alles – Jazz, Funk, Rock, Disco, Heavy Metal, Drum & Bass. Was aber Dinge wie Struktur und Arrangement angeht – wenn du z.B. Leuten wie Miles Davis oder Coldtrain zuhörst, dann ist Jazz erstaunlich, und ich frage mich, warum sollte HipHop nicht auch so sein? HipHop sollte auch etwas Erstaunliches sein, und er könnte das auch. Einige Leute haben auch schon verrückte Sachen gemacht – z.B. DJ Shadow und Latyrx. Ich hoffe, dass sich die Dinge ändern werden. Die vielversprechendste Sache für mich sind Timbaland und Missy Elliot. Ich weiß, dass sich viele Leute nun fragen werden ‚Warum redet Vadim über Missy – sie ist kommerziell – fuckt that shit.‘, aber die Musik ist wirklich unglaublich, und es ist traurig, dass einer der besten Produzenten aus der kommerziellen Szene kommt.

Jeder redet davon, dass HipHop aus dem Untergrund kommt, besonders in der Independent-Szene. Aber es gibt bisher keinen Independent-Producer, der so gut wie Timbaland ist – ich kann dir in Sachen Kreativität nicht einen nennen. Die Leute können funky Loops und coole Sachen machen, und sicherlich sollte der Underground der Platz sein, der die ganze Szene weiterbringt. In jeder anderen Musik-Szene ist es auch so, aber im HipHop scheint es zur Zeit genau anders herum zu sein, das ist verrückt. Eine andere Sache, die ich in Europa festgestellt habe, ist die, dass es zwei Lager gibt. Es gibt die kommerzielle und die Independent-Szene. Du hast Leute, die sagen ‚Fuck Rawkus now, weil sie Major-Label-Shit machen, und wir wollen etwas anderes hören, wie z.B. Cannibal Ox.‘ Es gibt aber immer noch Gruppen auf Major-Labels, die cool sind – Gang Starr ist immer noch ein gute Gruppe – ich meine, wir müssen uns die neuen Sachen anhören. Ich hoffe, dass sie besser sind, als ein paar der Sachen, die Premier in der letzten Zeit gemacht hat. Bisher ging er aber bei jedem neuen Album einen Schritt weiter. Für mich ist es ist keine Frage von Overground oder Underground – it´s a case of good shit and whack shit.
rap.de: Wie müssen wir uns deinen Tagesablauf in der Produktionsphase vorstellen?

Vadim: Im Moment stehe ich morgens um 7 Uhr auf, trinke um 8 Uhr etwas Kaffee und Tee und beginne zu arbeiten. Ich arbeite dann bis 20-21 Uhr, manchmal auch bis Mitternacht, habe so zwischen 12 und 15 Stunden-Tage. Ich wünschte mir, es könnte nur Musikmachen sein, aber das ist es nicht. Ich habe keinen Manager, ich habe zwar ein paar Leute, die sich um einige Sachen kümmern, aber … Früher war ich ein Typ, der spät nachts gearbeitet hat und am nächsten Tag um 14 Uhr wieder aus dem Bett gekommen ist, aber nach fünf Jahren auf dem Weg fühlte ich mich etwas wie ein Vampir. Jetzt, wo ich früh morgens rauskomme, sehe ich die Sonne, bekomme was vom Tag mit und treffe Leute.
rap.de: Empfindest du dein Schaffen eher als Arbeit oder eher als Hobby?

Vadim: Zunächst einmal mache ich es, weil ich es liebe, es ist eine Art Abhängigkeit, und ich bin sicher auch eine Art Workaholic – ich liebe Arbeit und Musik, Platten sammeln, Platten machen, stuff like that.
rap.de: Wie kommst du in die richtige Stimmung, um einen guten Track zu produzieren?

Vadim: Ich muss durch irgend etwas inspiriert werden – ein Weg für mich ist es, Platten zu kaufen und zu denken ‚Ich muss etwas machen, das noch besser ist als das.‘ Es kann auch inspirierend sein, zu einer Show oder in einen Club zu gehen oder Filme zu sehen und mitzubekommen, wie Leute etwas Großartiges erreichen oder etwas wirklich gut machen. Für mich war es, seitdem ich diese Musik mache, immer ein Kampf. Deshalb werde ich auch durch Leute inspiriert, die selbst kämpfen, überleben und Dinge erreichen. Das muss auch nicht zwangsläufig in musikalischer Hinsicht sein.

rap.de: Wie hörst du selbst Musik? Bei vielen Produzenten ist es ja so, dass sie überwiegend das Instrumental analysieren und ihnen der Rap mehr oder weniger egal ist.

Vadim: Als ich begann, mit Rappern zu arbeiten, war es auch so. Heute bin ich bezüglich der Rapper sehr wählerisch und benutze Stimmen auch als Instrument, die auch verschiedene Dinge vermitteln sollen. Auf meinen Alben habe ich natürlich auch alle Leute selbst ausgesucht. Ich kenne eine Menge Produzenten auf großen Labels, bei denen die Plattenfirma in neun von zehn Fällen sagt ‚So – mit dem arbeitest du jetzt zusammen.‘ Ich kenne die Leute von Fila-Records, die Tomekks Platte herausbrachten und ihm bei einigen Künstlern sagten, er solle mit ihnen arbeiten. Fuck that – niemand wird mir erzählen, mit wem ich zusammenzuarbeiten habe.
rap.de: Das lustige ist, dass Tomekk von sich selbst als von der Person spricht, die KRS wiederbelebt hat…

Vadim: Es gibt da auch einen Produzenten in Norwegen namens Tommy T, der mit vielen amerikanischen MCs gearbeitet hat. Er wurde mal gefragt, wie er all diese Typen – z.B. Kool G Rap – getroffen hat und meinte ‚Die haben meine Beats gehört, fanden sie cool und wollten dann mit mir arbeiten.‘ So viel Bullshit hatte ich bis dahin in meinem ganzen Leben noch nicht gehört – das Spiel funktioniert so nicht. Wenn du in Brooklyn lebst, lebst du in diesem besonderen Block, das ist deine Welt, und du willst mit deinen Leuten arbeiten. You don´t give a fuck about New Jersey. So how the hell you gonna give a fuck about some kid livin in Berlin that rings you up. Es spielt auch keine Rolle, ob diese Person in Brooklyn KRS-One oder MC Fuckshit heißt, es ist immer dasselbe. Natürlich hat Tomekk KRS nicht wiederbelebt, der rockt seit 14 Jahren.
rap.de: Ja – es gab wohl kaum die Notwendigkeit, ihn wiederzubeleben.

Vadim: Das Insteressante an KRS-One ist, dass er verhältnismäßig wenig verkauft, und in Amerika ist es z.B. beliebt, andere MCs zu dissen, weil deren Platten weniger verkauft haben. Niemand in Amerika würde jedoch jemals KRS-One dissen – er genießt höchsten Respekt, und das ist auch mir sehr wichtig. Ich will nie Aufkleber sehen, auf denen ‚Fuck Vadim‘ steht. Niemand wird jemals sagen, ein Anderer hätte meine Beats gemacht oder ich hätte einen Rapper gekauft – ich will jemand sein, den die Leute respektieren. Ich will noch 10, 20, 30 Jahre weitermachen, weil es das ist, was ich liebe. Ich bin nicht für ein Jahr hier, ich bin für mein Leben hier.
rap.de: Danke für das Gespräch.