20 Jahre HipHop

HipHop ist einen weiten Weg gegangen: von den NewYorker Parks der 70er ausgehend, Anfang der 80er indie Welt getragen und seitdem wie die Aids-Epidemie in unaufhaltsamer Ausbreitung begriffen. Ein Grund für die rasante Verbreitung der Kultur ist ihre Attraktivität auf die Jugend, ein anderes die niedrige Zugangsschwelle. Jeder kann teilhaben, man muss bloß rappen, breaken oder sprühen gehen. Und man braucht kein teures Equipment, um Reime zu verfassen. HipHop ist erstmal von und für die Strasse. Inzwischen hat HipHop auch hierzulande in Form von Rap-Musik den Sprung in die öffentliche Aufmerksamkeit gemacht. Die Zeiten, in denen man die Nachmittage auf Pappkartons vor Einkaufszentren und in Fußgängerzonen verbrachte, sind seit langem Vergangenheit, ebenso jene Tage der Jams, zu denen eine Generation von Heads mit dem Tramperticket der Bundesbahn reiste und somit die Szene vernetzte. Heute spielen die Beginner bei Top of the Pops, Schüler geben ihr Taschengeld für Merchandise oder Konzerttickets aus, und die Spaltung der Szene in Künstler und Publikum scheint unvermeidbares Nebenprodukt der Professionalisierung im Rap-Biz. Viele derjenigen, die schon Anfang der 90er die Fanta 4 bekämpften wie Rastas Babylon – erinnert sei an die damals allgegenwärtige No-Sell-Out-Debatte – können mit dem, was heute im HipHop passiert, nicht mehr viel anfangen und zogen sich bereits vor Jahren zurück. Was war passiert? Dieser Frage gehen zwei Kölner Autoren nach. Der eine, Sascha Verlan, von einem eher sprachwissenschaftlichem Background aus und der andere, Hannes Loh, unter dem Namen LJ als Rapper der Anarchist Academy mit Aktivisten-Credibility ausgestattet. „20 Jahre HipHop in Deutschland“ heißt ihr Buch und schildert die Geschichte der Szene – intensiv wird auf die 80er Writer und Breaker eingegangen. Das Buch ist bemüht, diejenigen Aktivisten, welche inzwischen schon dem Vergessen anheim gefallen sind, ins Licht der ihnen zustehenden Aufmerksamkeit zu rücken. Verlan: „Es war uns wichtig, die Ursprünge darzustellen. Wann hat es angefangen, mit wem hat es angefangen, wer waren die wichtigen Leute der Anfangszeit? Wir haben festgestellt, dass da viele Immigranten-Jugendliche waren. Leute, die nicht „deutsch“ waren, und die sich dann mit Fanta 4 und dem DeutschRap Anfang der 90er nicht mehr repräsentiert fühlten und sich teilweise auch allein gelassen gefühlt haben.“
Ein sicherlich berechtigter Ansatz, wenn man bedenkt, dass ein Großteil des Publikums von Deutsch-Rap, wahrscheinlich erst in den letzten drei Jahren auf’s Genre gestoßen ist. Eben diese letzten drei, vier Jahre – lassen wir sie mal mit „ANNA“ von Freundeskreis beginnen – finden allerdings wenig Eingang in das Buch. Wird damit nicht ein wichtiger Abschnitt ausgeklammert?
Verlan: „Es ist schwierig, eine Sache die noch am Laufen ist, abschließend zu betrachten. Was wird Bestand haben, was wird man vergessen? Es wird sich in drei Jahren rausstellen, was übrig geblieben ist.“ Loh: „Wir sind der Meinung, dass man die aktuellen Entwicklungen der letzten zwei, drei Jahre gar nicht verstehen kann, ohne zu wissen, was in den frühen Achtzigern passiert ist. Es ist ja so, dass die Leute, die heute Erfolg haben – Eins Zwo, Absolute Beginner, die Massiven Töne oder Samy – nicht in einer Tradition mit den Fantastischen Vier stehen, sondern mit Torch und so. Die Entwicklung heute lässt sich nur verstehen, wenn wir mal zurückgucken, wie es am Anfang war.“

Auch wenn Eißfeldt mal in einem Interview betonte, dass man erst gut wurde, als man sich von der geistigen Vorherrschaft Torch’s und Konsorten befreite – dass eine Verbindung mit dem deutschen Chef-Zulu besteht, zeigte Eißfeldt zuletzt am Ende des neuen D-Flame Videos, als er ein paar Torch-Aufkleber aus dem Auto wirft (was definitiv als Hommage gemeint war und nicht als Diss, wie manche fälschlicherweise vermuteten). Die große Stärke von „20 Jahre HipHop“ ist die Reflexion. Es werden nicht einfach Szenen und Geschehnisse geschildert oder Akteure vorgestellt – dies wird natürlich auch geleistet – es werden vor allem Reflexionen geboten. Gedanken über Rap und Sexismus oder Schwulenfeindlichkeit, Nation, Machismo. Themen, die eh im Rap-Diskurs offen liegen, die aber seltsamerweise keiner so richtig aufnehmen will. Themen, vor denen man sich im Moment sogar eher zu fürchten scheint. Bloß nicht Stellung beziehen! Loh und Verlan hängen sich aus diesem Fenster. Ich hoffe, man begreift, dass sie dies für HipHop tun. Auch wenn sie manchmal ein bißchen weit gehen und etwa Afrob und Ferris empfehlen, sie sollten lieber über die letzte Bullen-Grass-Durchsuchung berichten, als scheinbar nichts-sagende Party-Texte zu schreiben. In diesem Fall ist das Gegenteil von Gut leider gut gemeint. Nur der Titel des ganzen Buches scheint mir noch unverständlich:
Wieso zum Teufel „20 Jahre HipHop in Deutschland“? Laut der im Buch befindlichen „Diskografie, die ersten 200 Platten“ erschien die erste Scheibe in Deutschland erst 1988!
Verlan: „20 Jahre HipHop in Deutschland heißt das Buch, weil wir klar machen wollen, dass HipHop in Deutschland eben so alt ist. Das heißt nicht, dass wir jedes Jahr gleich beschreiben wollten, sondern, dass es HipHop seit den ersten Aufnahmen gibt, also als Rappers Delight damals rüberkam und es hier anfing mit Sprechgesang-Experimenten, Breakdance und Grafitti. Das war eben Anfang der Achtziger Jahre und deswegen der Titel. Die meisten sind einfach über die Fantas daran gekommen.“ „20 Jahre HipHop“ schafft einen guten Überblick, vor allem über die Passagen der deutschen Rap-Geschichte, die man inzwischen eher vergessen hat. Insofern wird es als Buch unentbehrlich sein. Das ultimative Nachschlagewerk ist es aber deswegen nicht, weil eben das, was heute prominent ist, ein wenig zu kurz kommt. Ein weiteres Manko: Ost- Deutschland kommt zu kurz und Österreich beschränkt sich auf eine Schwulen-Diskussion mit Schöhnheitsfehler. Von diesen Wehrmutstropfen abgesehen: ein sattes, gut geschriebenes Lesevergnügen.