Bei Truth Hurts geht es ans Eingemachte. Unsere Autorin Zina Luckow begibt sich mit euren Lieblingsrappern (oder -schauspielern) an Orte, mit denen sie unbequeme Wahrheiten verbinden. In einem Deep Talk kann es dann auch mal unangenehm werden, für die Politik, das Bildungssystem oder auch das nahe Umfeld. Es geht dabei aber weniger um Abrechnungen, sondern um Lebensrealitäten, die auch manchmal wehtun.
Ich treffe MCNZI aka MCR-T vom Berliner Künstlerkollektiv Live From
Earth an einem trüben Novembernachmittag, um mit ihm eine Runde an
der Mediaspree zu machen. Unklar ist nicht nur die Sicht von der
Schillingbrücke auf die Spree, sondern auch die Zukunft der umliegenden
Clubs, wie dem Yaam, das immer wieder um seine Existenz bangt. MCNZI
hat sich dieses Jahr mit dem Track „Mietspiegel“ klar zu den
Entwicklungen in seiner Stadt positioniert. In der neuen Folge Truth Hurts
geht es unter anderem um Gentrifizierung und welchen Beitrag Künstler
dagegen beisteuern können…
Hey JJ, MCNZI oder MCR-T? Du machst ja mit deinen
verschiedensten Pseudonymen Jay-Z richtig Konkurrenz. Welches
ist denn dein aktuelles Projekt? Womit sollen wir dich
ansprechen?
JJ reicht für‘s Erste. Aber sonst ist der Name eigentlich MCNZI, wenn man mich so auf die Fresse haben will. MCNZI ist actual, das ist der Granddad, der Father von all den
anderen.
Nach wie vor ist deine hauptsächliche Kunstfigur also MCNZI und
wofür steht MCR-T?
MCR-T ist der Alias für elektronische Tanzmusik und MCNZI ist das Alias
für alles andere. MCNZI, das ist die hauptsächliche Kunstfigur.
Wieso haben wir uns hier vor dem Yaam getroffen?
(Reggae läuft im Hintergrund) Ja, wir befinden uns gerade im Yaam,
warum Yaam, warum hier? Weil es glaube ich für einige Berliner
Jugendliche einer der wenigen besandeten Flächen waren, die cool waren
oder die so Kultur in sich haben. Wo alle Schichten aufeinandertreffen und
einfach relaxen. Früher gab es noch um einiges mehr Kultur- und
Freizeitangebote. Was uns jetzt umgibt sind halt immer mehr High Raises,
keine Wolkenkratzer, aber auf jeden Fall büroartige Gebäude. Früher war
das nicht so, vor fünf, sechs, sieben (überlegt) ne, locker vor zehn Jahren
fast schon – wir werden alt – gab es hier einen Skateplatz, einen
Basketballplatz, mehrere Beach-Soccer-Plätze, offene Bars. Ich bin hier
sogar mit meinem Dad hergekommen, weil der Jamaikaner ist. Früher war ich hier immer zum Skaten, als es noch die Minirampe gab. Die war in der
Szene eine sehr berühmte, besonders coole Rampe gewesen. Ich habe
hier sehr viel Zeit verbracht und irgendwie ist es jetzt so an der
Mediaspree entlang, mit dem Kater, das letzte Fleckchen was noch so am
Leben ist oder probiert zu leben, deshalb haben wir uns hier getroffen.
Du hast mal gesagt, dass du mit MCNZI die radikalen
Eigenschaften deiner Musik unterstreichst. Welchen Tracks
würdest du als besonders radikal bezeichnen?
Boah fuck, das ist eine schwere Frage. Mietspiegel ist einer davon, der
wäre so in der Kategorie Möchtegern-PC (Political Correctness; Anm. d. Verf.). Sonst halt die Sachen, die grad auf Instagram hochgehen. Die Realtalk EP, die bald kommt, die wurde halt Woche für Woche in fünf Etappen gedroppt, da ist halt so zu hundert Prozent
Maulfreiheit und ja, say what you feel. Das sind gerade die aktuellsten, radikalsten – in Anführungszeichen – Sachen.
Warum Möchtegern-PC?
Ich habe keinen Anspruch pc zu sein. Ich finde eine Meinung kann auch pc
sein, wenn sie nicht in irgendeine Norm hineinfällt. Ich glaube einfach,
dass der Markt gerade oder auch die Abnehmer, ein besonderes Bedürfnis
haben, pc sein zu wollen. Um aber erst einmal in den Dialog zu kommen,
auf Augenhöhe sprechen zu können, ist leider dieses ps-Sein ein Stilmittel
fast schon, womit das möglich ist.
Gehen der Name und Lyrics, in denen „Sekt Heil“ vorkommt, nicht
manchmal zu leichtfertig mit der deutschen Vergangenheit und
auch Gegenwart um?
Ja, hundertprozentig. Allerdings möchte ich auch nochmal unterstreichen,
dass solche Sätze oder Parolen vor drei vier Jahren fielen, wo ich mich
nicht ernst genommen habe. Ich bin niemals davon ausgegangen, dass
irgendwer das hört. Deshalb habe ich das mehr zur Belustigung für mich
und meine Freunde, die übrigens auch alle Ausländer sind, einfach so
reingebrüllt. Weil wir halt alle immer so leicht gelabelt werden von dem
White Folk, als: Ja, du passt nicht rein und nein, du bist kein Deutscher
und das dann auch einfach mal so gegenüberzustellen auf dumm. Das ist
einfach jugendlicher Leichtsinn, aber nicht mehr avickable für die heutige
Agenda.
Das heißt, du trägst jetzt auch ein Stück weit Verantwortung?
Hundertprozent. Und das ist genau das, was ich möchte, was jetzt
durchdringt durch neuere Projekte, die dann halt vielleicht ein bisschen
mehr weg vom Partyfaktor gehen und auch mal Ausschweifungen zu
ernst gemeinten Meinungen und Themen haben.
Was bedeutet es für dich, wenn du sagst du bist ein Produkt
deiner Heimatstadt Berlin?
All die Ups and Downs, die diese Stadt so in sich hat – Klischee-Berlin-
Talk jetzt (lacht), aber all diese Ups and Downs formen dann natürlich den
Künstler XY zu etwas, was jetzt Status Quo ist.
Und würdest du auch sagen, dass du ein Spiegel deiner Generation
bist?
Ich wünschte. Das wäre natürlich das nonplusultra Kompliment und
natürlich ist es irgendwie auch ein Wunsch. Ich probiere auf jeden Fall
Themen und Happenings zu spiegeln, die mich halt umgeben. Und das ist
eigentlich auch eine gesunde Agenda für einen Musiker oder Rapper, der
gern ein bisschen mehr als Konsum und Statussymbole darstellt.
Was könnte deine Generation entgegen der gegenwärtigen Stadtentwicklung unternehmen?
Ok, jetzt kommt der Teil, den ich gelernt habe (lacht). 2008 gab es ja diesen Bürgerentscheid „Spreeufer für alle!“ und fast 87% haben dagegen
gestimmt, es gab aber nur rund 19% Wahlbeteiligung. Sprich, ich glaube
die Brücke, die geschlagen werden muss, ist: Geht wählen. Setzt euch ein
bisschen mehr ein für Parteien, die vielleicht was tun wollen für die Stadt,
aber eigentlich können wir den Teil auch cutten, weil ich der Meinung bin,
dass es ja eh allen egal ist. Das ist so ein bisschen eine generational
Sackgasse. Voll viele haben alles aufgegeben und scheißen voll auf die da
oben, weil ändern tut sich ja eh nichts. Es sei denn, es geht um Geld.
Wenn du jetzt aktiv Pläne für die Mediaspree machen könntest,
was würdest du verändern?
Grün. Grünflächen. Sowieso öffentliche Flächen, nichts privatisiert. Freiflächen können keine Spekulationsobjekte sein. Es muss einfach Räume geben, wo alle Leute zusammenkommen können und wo Dialog und Austausch stattfindet. Das hat diese Stadt zu der Stadt gemacht, die sie ist, weil Leute zusammengekommen sind aus allen Ecken der Welt und Schichten und so weiter und sofort und daran glaube ich. Live From Earth wird auch manchmal als Kollektiv beschrieben, das „unkonventionelle“ Künstler und Künstlerinnen fördert und hervorbringt.
Ab wann ist jemand für dich unkonventionell?
Gute Frage. Unkonventionalität lässt sich am besten beschreiben, wenn
man Trends anguckt und wenn man einfach guckt, was nicht populär ist.
Ich sage mal so: It Takes One To Know One. Im Sinne von, Leute, die um
die Ecke denken, erkennen Leute, welche um Ecken denken. Ich schätze mal so ähnlich betreiben die auch den Laden und akquirieren Talente – gezielt und zutreffend, anders kann ich es nicht beschreiben.
Gerade diese „unkonventionelle“ Kunstszene zieht ja auch immer wieder Leute von außerhalb an. Unterstützt man damit nicht die Aufwertung und Exklusivität der Stadt?
Achso ne, das sind die diejenigen, die anfangen das zu vermarkten und
daraus Profit machen. Don‘t Hate The Player Hate The Game. Klar, man
muss ja auch gucken, wo man bleibt. Es gibt aber diejenigen, die dann
nicht die Mitte finden. Was ist doable und stayable, damit ich meine
Meinung noch vertreten kann. Ein übertrieben langes Thema, ich bin
vielleicht auch nicht der Bewandertste jetzt, um in diesen Bereich da jetzt
so einzutauchen, aber das wäre jetzt so meine oberflächliche Meinung.
Würde der Senat Geld locker machen, um alternative Kollektive wirklich
ernstnehmend zu fördern, dann gebe es glaube ich auf jeden Fall ein
bisschen bunteres und stadtoffeneres Programm. Vielleicht würde sich die
Jugend dann ein bisschen ernst genommener und gehörter,
repräsentierter fühlen.
Wenn man sich allein die Releases von 2019 reinzieht wird klar:
MCNZI lässt sich in keine Schublade stecken. Beschreibst du das
eher als Ausprobieren oder soll genau diese Unangepasstheit auch
weiterhin deinen Style definieren?
Ne, einfach alles ist ein Werk. Ich bin ein Werk. Künstleridole für mich
sind Leute wie Tyler, The Creator, Andy Warhol oder auch ein
XXXTentacion. Im Falle von Tyler, The Creator ist es ein bisschen mehr in
Anführungszeichen „Boundary-Breaking“ als nur bei einem Musiker, weil
er auch Drehbücher schreibt, Klamotten macht, mehr in die Designwelt
eintaucht etc., am Ende des Tages steht ja trotzdem dein Name drauf.
Mein Wunsch ist es, genauso wahrgenommen zu werden. Meine Kollegen
wissen wovon ich spreche, wenn ich sage, dass es langsam vielleicht ein
bisschen funktioniert. Es ist wie so eine Sprayer-Attitude, du hinterlässt
überall dein Tag und irgendwann wirst du halt All City King. Überall bist du
schon mal gelesen worden…Scheiße, wieder abgeschweift (lacht).
Mit wem würdest du gerne mal ein Kollabo starten?
Jetzt greifbare Personen? Ok, Deutsch Amerikanische Freundschaft,
Kwam E. und Ace Tee, auf jeden. Das wären die drei aktuellsten, das wäre
eigentlich eine Frage, da würde ich mich sonst Zuhause eine halbe Stunde
hinsetzen und nachdenken. Und vielleicht Yung Hurn, für irgendetwas
abseits vom Rap.
Was sind deine Projekte für 2020?
Also wir haben zuerst auf der Liste die Realtalk EP aus den einmütigen
Tracks auf Instagram. Dann haben wir eine Single, vom Genre her
Schlager: „Eene Kleene – die Anthem“, dann das Rap-Album von MCNZI,
was schon seit anderthalb Jahren in der Bearbeitung ist und dann MCR-T,
neue EP, auch Frühjahr 2020. Muss man halt immer gucken, wie die
anderen Kollegen releasen, aber das ist, was alles fertig ist.
Was ist bei MCR-T anders?
Das einzige was anders ist, sind die Beats. Es wird immer noch gerappt,
aber auf Techno, auf Ghetto-Techno, so wie die exakte Betitelung lautet.
Im Prinzip denke ich mir halt so, ich habe in meinem Leben so viel 2 Live
Crew, Miami Bass gehört und das wird dann mit Berliner Drums untermalt,
also mit technoüblichen, lokalen Aso-Drums und dann halt Raptext drüber,
also die Dirty South Influences fusionieren lassen. Alles was Dirty South
ist, ist im Endeffekt in den Liedern drin. Ist einfach eine interessante
Fusion, von Techno und Rap: Ghetto Tech, kann ich dir nur ans Herz
legen.
Welches sind deine finalen Wörter – Closing Words?
Ich fände es interessant zu sehen, wenn so lokale Tripple A Artist ihre
Reichweite nutzen würden, um vielleicht mal eine Meinung zu vertreten
und mal ein bisschen Wind in die Segel zu nehmen, wenn es jetzt um
Mietspiegel-Geschichten oder Aktivismus oder eine Stimme geht. Voll viele
Trippe A Artists sind ja schon Vorbilder für ihre ganzen Fans, aber ich
finde, dass immer diese Vorbilder untergehen.
Ich bin jetzt kein Mensch, der sich in irgendeinen Rat setzen könnte, aber
ich finde als Künstler kann man zumindest dazu dienen, Probleme zu
beleuchten und irgendwas anzufunken. Aus Funken entstehen Feuer.
Vielleicht entsteht ja daraus was. Mein Feuer, im Vergleich zu meinen
Kollegen, ist… ich rotz‘ in Pool, aber andere, die haben die Möglichkeit,
Cooles zu machen und nicht so blind zu konsumieren, bisschen mehr
Critical Thinking, den Alltag in Frage stellen, einfach ein bisschen woker zu
konsumieren. Damit nicht beim Meet And Greet mehr Leute kommen, als
bei irgendeiner Demo. Wenn die Leute klarmachen: Ich bin Kreuzberger,
die reißen unsere Scheiße ab, unterschreib das gegen die Mietpolitik,
sowas würde doch so ziehen. Marketing mit so politischer Akquise. Ich bin
gar nicht so politisch, aber es wurmt mich, dass Leute hier leben und dann
erst anfangen Panik zu schieben, wenn es schief geht.
Das sind doch perfekte Schlussworte.
Scheiße (lacht).