Tabuthema Angststörung: KeKe über ihren Umgang mit Depressionen

Eine junge Wienerin, ein ernstes Thema. Mit ihrer Single „Paradox“ widmet sich KeKe einem Problem, das viele haben, über das aber kaum gesprochen wird. Schon gar nicht öffentlich. Es geht um ihre Angststörung. Ich hätte mir ihr auch über ihre gerade gestartete Rapkarriere, die Rolle der Frau im Deutschrap oder die österreichische Innenpolitik sprechen können. Aber ich dachte mir, das Thema ist viel interessanter. Zudem habe ich selbst einen Bezug dazu. Trotz des schweren Themas war es ein spannendes und keineswegs trauriges Gespräch.

Mit „Paradox“ greift du das Tabuthema Angststörungen auf. Ganz banal gefragt: Warum?

Weil ich damit lebe. Weil Depressionen und Angststörungen einfach ein Teil von mir sind, seit ich zehn war. Ich würde mich momentan nicht als akut depressiv beschreiben. Aber es ist etwas, das immer wiederkehrt. Es ist einfach ein Thema, das mein Leben bestimmt. Oder mitbestimmt. Deswegen war es für mich voll logisch, dass ich darüber schreibe.

Was heißt dein Leben mitbestimmt? Wie sehr wirkt sich das aus?

Das wirkt sich auch in ganz kleinen Dingen aus. Zur Angststörung gehört auch, dass man permanent das Gefühl hat, man sagt etwas Falsches. Hab ich mich da blamiert? Hab ich oversharing betrieben? Lauter kleine Alltagsängste, die verstärkt sind. Ganz banale Sachen. Heute habe ich mich auch wieder gefürchtet, weil ich gedacht habe, ach, da habe ich etwas komplett falsches gesagt. Hoffentlich mag die Person mich jetzt noch, hoffentlich weist sie mich jetzt nicht von sich. Das läuft immer mit in meinem Alltag. Und Depressionen einfach ganz klar, den Alltag nicht handlen zu können. Ich fühl mich sehr oft nicht als ein Mensch, der sich gut eingliedern kann in einer funktionierenden Gesellschaft. Funktionierend in Anführungszeichen – ob es funktioniert oder nicht sei mal dahingestellt.

„Ich war glücklich, wenn ich sowas wie Wut oder Trauer empfunden habe.“

Du meinst Dinge wie Job, Anforderungen…

Genau, und soziale Kontakte. Für mich waren Depressionen auch immer eine totale Abwesenheit von jeglicher Emotion. Ich war glücklich, wenn ich sowas wie Wut oder Trauer empfunden habe. Da ist noch was da. Es gab einfach Phasen in meinem Leben, wo ich nur in meinem Bett liegen und schlafen wollte. Für mich sind alltägliche Sachen zu erledigen, die ein anderer Mensch so im vorbeigehen macht, ein großes Accomplishment manchmal. Wenn ich so drei Sachen von meiner To-Do-Liste abarbeiten kann, bin ich megahappy.

Wie hängt Depression und Angst zusammen? Sind da zwei Seiten einer Medaille?

Ich glaub‘, bei Leuten, die zu psychischen Erkrankungen neigen, ist es sehr naheliegend, dass alles in einer Art Schneeball-Effekt zusammenspielt. Ich glaube auch, dass, wenn man sehr sensibel ist, und Dinge viel stärker wahrnimmt und spürt, was negative und positive Seiten hat – dass man dann leichter dazu tendiert, Angst zu entwickeln und sich viel schneller stressen lässt. Es ist ein urkomplexes und weites Thema, es gibt nämlich so viele Arten und Ausprägungen davon. Jeder nimmt es anders wahr. Es gibt schon ein paar Punkte, die sich sehr wiederholen und Schemata bilden, aber not so funny (lacht).

Es ist kein Gute-Laune-Thema, klar.

Nein, aber es haben wahnsinnig viele Leute. Ganz, ganz viele. Und kaum jemand spricht darüber. Es ist ein Stigma und ein Schamgefühl damit verbunden. Das wird zwar besser, es wird mehr darüber gesprochen. aber ich finde, immer noch viel zu wenig. Es ist zu behandeln wie jede andere Krankheit auch. Und es ist okay. Das macht es ja auch einfacher, wenn man das Gefühl hat, man ist nicht allein damit.

„Ich habe das Gefühl, es bewegt sich was.“

Insofern ist der Song ja auch dazu da, genau das zu zeigen. Was hast du für ein Feedback bekommen?

Ich muss wirklich sagen, ich meine, ich bin nah am Wasser gebaut, aber ich habe bei ein paar DMs Rotz und Wasser geheult. Weil es so berührend war. Ich hab mir dann auch ein bissel die Accounts der Mädels angeschaut, die mir geschrieben haben. So ganz junge Mädels, 15 Jahre alt, die mir schreiben: „Danke, das hat mir gerade so viel bedeutet und so viel gegeben, dass du über sowas sprichst. Mir geht es ganz genauso. Ich habe immer geglaubt, ich bin so alleine damit.“ Irgendwie superschön, dass man sich connected fühlt, aber auch so traurig, dass das so ist. Aber: Ich habe das Gefühl, es bewegt sich was. Es wird sichtbarer.

Du meintest vorhin, du hast das, seitdem du ein Kind bist. Mit zehn hat man ja noch nicht die Begriffe, man merkt nicht, dass es eine Krankheit ist, oder?

Nein, man kann es überhaupt nicht einordnen. Ich komme aus einer Familie, die definitiv dazu veranlagt ist. Es hat ja auch was mit Genetik zu tun. Darüber werde ich auch auf meiner EP sprechen. Ich komme einfach aus komplizierten Familienverhältnissen – es war das logische Resultat daraus. Eigentlich habe ich erst so richtig begriffen, was los war, als ich ungefähr 17 oder 18 war. Da konnte ich das ein bisschen einordnen und aufarbeiten.

Da hast du dir Hilfe gesucht?

Genau, ich war auch lange in Therapie. Immer wieder, und dann wieder nicht. Ich bin auch lange noch nicht dort, wo ich sein will. Das ist mir auch ganz wichtig, dazuzusagen: Es ist echt kein linearer Prozess. Du wirst immer wieder in deinem Leben Rückschläge haben und immer wieder an einen Punkt kommen, wo du nicht mehr sein wolltest. Ich glaube, das ist eine lebenslange Arbeit. Und ich glaube auf jeden Fall, dass es viel, viel besser werden kann. Aber das braucht Zeit und Geduld und viel Selbstliebe. I’m not over it. Ich bin mittendrin.

Der erste Schritt ist, es überhaupt benennen zu können, oder? Denn ich kenne Angstzustände so, dass man am Anfang ja nicht denkt: „Oh, ich habe eine Panikattacke!“ Sondern man denkt: „Oh Gott, ich bekomme einen Herzinfarkt und muss gleich sterben!“

Richtig. Es ist ja auch tatsächlich so, dass Leute, die nicht wissen, was eine Panikattacke ist, sich nicht vorstellen können: Es ist legit. Es ist körperlich. Man glaubt, man stirbt. Man glaubt, man kriegt keine Luft. Mir tut auch oft der linke Arm weh, was eigentlich ein Herzinfarktsymptom ist. Kehle zu, als hätte ich eine allergische Reaktion auf etwas. Also es passiert tatsächlich was mit deinem Körper. Und sich dann aber auszutricksen und da raus zu kommen, ist viel Arbeit. Am Anfang habe ich auch geglaubt, ich habe irgendwas. Ich habe was falsches gegessen oder so.

„Meine schlimmste Panikattacke hat 23 Stunden gedauert.“

Man sucht nach konkreten Gründen, nach irgendetwas rationalem.

Genau, aber es ist einfach straight up deine Psyche. Meine schlimmste Panikattacke, und das ist keine Übertreibung, hat 23 Stunden gedauert.

Woah, krass.

23 Stunden Todesangst. Ich hab vier Tage gebraucht, mich davon zu erholen. Und es gibt so viele Leute, die damit zu kämpfen haben. Ganz ganz viele Leute. Es ist echt ein Thema, wo das Tabu weg muss.

„Psychohygiene sollte schon in Schulen mehr betrieben werden.“

Wo kommt dieses Tabu eigentlich her? Ist das der überhöhte Leistungsgedanke?

Ja, unter anderem schon. Ich finde überhaupt, dass in unserer Gesellschaft dem Emotionalen, dem Innenleben, zu wenig Bedeutung beigemessen wird. Auf das wird gar nicht g’schaut. Dabei sollte Psychohygiene schon in Schulen mehr betrieben werden. Es müsste ein ganz andere Wahrnehmung von Emotionen da sein. Dieses Verständnis fehlt uns, dieses Wahrnehmen, die Wichtigkeit.

Wir sind eine überrationale Gesellschaft. Alles geht über den Kopf, Gefühle sind nur eine Störung.

Genau, und es ist eine Schwäche, wenn man mit etwas nicht klarkommt. Oder auch ganz furchtbar. Es gibt einfach Leute, die nicht so viel schaffen wie andere. Und das ist völlig in Ordnung. Das ist nichts, wofür man sich schämen muss, wenn man keinen 9 to 5 Job schafft. Es gibt Leute, die können das nicht. Die Akzeptanz für diese Dinge ist zu wenig.

Es wird ja oft auch als Faulheit ausgelegt. Einfach ein bisschen mehr Druck, und dann wird das schon.

Genau. Man muss halt.

Genau. Ich muss ja auch!

Ich muss ja auch, also muss jeder, genau. Jeder Mensch ist aber anders und hat eine andere Geschichte und andere Erlebnisse – und kann halt das, was er kann. Ich hab Freunde und kenne viele, die sehr wenig schaffen – in Anführungsstrichen – und zu mir kommen: „Der und der hat das geschafft, die hat das rausgebracht und so weiter.“ Wo ich mir so denke, Bra, sei stolz, du hast das geschafft, was du geschafft hast. That’s totally fine. Ich würde mir ein bisschen mehr Liebe für das Thema wünschen.

Hattest du eigentlich Bedenken, das Thema ausgerechnet in einem Rapsong zu behandeln?

Ich habe mich ein bisschen gefürchtet, weil ich mich damit sehr offen und verwundbar mache und weil ich mit den zwei ersten Singles ganz anders rausgegangen bin. Der zweite Grund, warum ich das gemacht habe, war der, dass viele Leute in meinem Umfeld gesagt haben, wir verstehen nicht, warum du so auf Tough Girl machst, wenn du in Wirklichkeit ja ganz anders bist. Und ich sage so: Das eine schließt das andere nicht aus. Das heißt ja nicht, dass meine komplette Persönlichkeit nur aus meinen Mental Health Issues besteht. Und man kommt auch aus jedem kleinen Battle, das man gewinnt, viel stärker raus. Ein Teil meiner Rappersönlichkeit, meiner starken Rappersönlichkeit, ist ein direktes Resultat aus den Mental Health Issues. Ich habe viel Stärke daraus gewonnen. Ich kann beides sein: Ich kann Angststörungen haben und ich kann Donna Selvaggia sein. Das war mir wichtig.
Dass es ein Rapsong ist, hat mich deswegen nicht gestresst, weil ich neu bin in dem Ganzen und nie so involviert war. Dadurch fühle ich mich voll frei. Voll wurscht irgendwie.

Gab es auch eklige Kommentare?

Ich lese keine YouTube-Kommentare durch…

Sehr gute Entscheidung!

(lacht) Vor DMs kann ich mich leider nicht so schützen. Aber ich hatte viel Schlimmeres erwartet, nämlich dass es 99% negativ wird. Bei der letzten Single „Fugazi“ war es richtig schlimm: „Erschieß dich, du Schlampe! Frauen können nicht rappen“ – diese Schiene. Da waren alle völlig offended (Gelächter). Aber bei „Paradox“ war es voll positiv. Das war sehr cool. Was mir aber auch zeigt, dass das ein Thema ist, was wirklich wirklich präsent ist und die Leute sich davon angesprochen fühlen. Das hat mich voll gefreut. Echt schön.

 

Wenn ihr Probleme haben solltet, egal ob Angstzustände oder anderes, was euch beunruhigt, wendet euch bitte an die Telefonseelsorge. Kostenloser Anruf unter 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 oder 116 123.