Interview mit Schwartz über seinen Gedichtband „Vantablack“

Schwartz stellt zwar eine klar definierte Kunstfigur dar, ist aber dennoch schwer zu greifen. Als Rapper in voller Montur sieht er aus, als wäre er direkt einem Judge-Dredd-Comic entsprungen und trägt seine blutrünstigen Texte mit kratziger Horrorfilm-Stimme vor. Als Raphael hingegen ist von Perversionen und Gewaltausbrüchen nicht viel zu merken. Stattdessen sitzt mir im Interview ein smarter, sympathischer und umgänglicher Kerl gegenüber, der wiederum von Schwartz als Literat erzählt. Gedichte schreibt er nämlich auch noch. 

Die Frage nach der Resonanz hat eigentlich ein hochgeschätzter Kollege gepachtet. Im Falle von „Vantablack“ möchte ich es aber trotzdem wissen: Du hast gerade schon angedeutet, dass dein Gedichtband sowohl in der Literatur- als auch in der Rapszene auf Desinteresse stößt. Wie war die Resonanz?

In der Rapszene wird so etwas naturgemäß eher als Fremdkörper betrachtet. Das landläufige Verständnis von Gedichten ist ja immer noch, dass schön brav in vierhebigen Jamben gereimt werden muss. Das ist hier natürlich nicht der Fall. Dementsprechend richtet es sich schon eher an Kenner, die sind in der Rapszene allerdings nicht so häufig anzutreffen. In der Literaturszene ist es so: Mein Verleger hat mehrere Blogs und Magazine durchtelefoniert und von meinem Buch erzählt, hat dabei durch die Bank weg Ablehnung erfahren.

Weil sie es gelesen haben und nicht gut fanden, oder weil sie einen gedichteschreibenden Rapper nicht ernst nehmen?

Letzteres. Er hat buchstäblich zu hören bekommen: „Der ist ja kein richtiger Lyriker. Das ist nur ein Rapper.“ Ohne dass sie auch nur einen Blick rein geworfen haben. Das hat mich ehrlich getroffen, auch wenn ich diese Form der Ablehnung schon aus der Rapszene kenne. Über Rap wurde ja damals schon immer gesagt, es wäre keine richtige Musik. Eine gute Resonanz gab es aber von den Hirntot-Fans. Das hatte ich gar nicht erwartet, aber die haben das Ding gekauft wie irre und es gab durchweg positive Resonanz.

Warum überrascht dich das? Als Autor ist Schwartz angegeben und auch in den Gedichten selbst sprichst du als Schwartz von dir. Richtet „Vantablack“ sich nicht an Schwartz- und Hirntot-Fans?

Wenn man davon ausgeht, dass Schwatz nur von Hirntot-Fans gehört wird: Doch, schon. Aber ich würde meine Kunstfigur gerne über den HT-Kosmos hinaus fassen. Musikalisch bin ich was die Themen angeht ja auch sehr breit aufgestellt. Ich will künftig auch verstärkt in die literarische Richtung gehen, aber da arbeite ich auch mit dieser Kunstfigur, wenn auch auf eine andere Art. Im Buch wird teilweise von Schwartz in der dritten Person gesprochen, das ist ein Schritt in Richtung dieser Verbindung zwischen dem Rapper Schwartz und dem Literaten Schwartz.

Rap und Poesie sind ja eigentlich auch recht nahe aneinander. Warum finden die Leute es trotzdem so dubios, wenn ein Rapper Gedichte schreibt?

Ich finde das auch merkwürdig. Rap ist ja eigentlich eine sehr literarische Musikform. Es gibt kein Genre, das so viel Text hat wie Rap. Vielleicht hängt das einfach mit dem Drumherum zusammen. Wenn, dann gibt es Leute wie Kollegah oder Bushido, die mal ein Buch schreiben. In den Feuilletons wird das dann auf diese bürgerlich-herablassende Art besprochen.

Zu dem Charakter, den Schwartz als Rapper darstellt, passt Poesie auf den ersten Blick allerdings überhaupt nicht. Wie kam es, dass du angefangen hast, dich für Dichtung und Literatur zu interessieren?

Das fing bei mir sehr früh an. Die Initialzündung war schon mit sechs. Meine beste Grundschul-Freundin hatte die Hörspiel-Kassette „Balladen für Kinder“, da waren von Lutz Görner gelesene Balladen von FontaneGoetheSchiller und so drauf. Die fand ich extrem cool und habe sie gerne gehört, aber da war ich natürlich wirklich klein. Später im Schulunterricht mochte ich es sehr, Gedichte zu lesen. Für andere war das ja meistens eine richtige Quälerei.

Gerade deswegen finde ich es so kurios. In meinem Kopf sind Gedichte auch in erster Linie als Schulstoff, gegen den ich eine Antipathie hege, abgespeichert.

Die Lyrik-Didaktik, wie sie in der Schule stattfindet, kann man auch kaum schlimmer gestalten. Ein Gedicht plump auf Stilmittel zu analysieren, ist die abstoßendste Weise, auf die man Gedichte vermitteln kann. Das betrifft dann natürlich auch Gedichte, die 200, 300 Jahre alt sind. Aber ich habe sie trotzdem gerne gelesen. Als ich den Deutsch LK gewählt habe, ging es auch los mit Leuten wie Gottfried Benn, Georg Trakl und Stefan George – das fand ich einfach geil. Ich hab das gelesen und die haben mir etwas gegeben. Die Klausuren habe ich immer komplett verhauen; bei der Lyrik-Interpretation habe ich meistens tierisch daneben gelegen, aber das hat es mir Gott sei Dank nicht kaputt gemacht. Ansonsten habe ich immer viel LovecraftJohnSinclair und so gelesen. Bei uns in der Schule gab es eine Schreibwerkstatt, da hab ich dann Horrorgeschichten geschrieben. Der Lehrer, der diese AG unterrichtet hat, kam eher aus der Lyrik-Ecke. Mit dem haben wir Lyrik und Prosa besprochen. Ich fand das immer unheimlich interessant, wenn er über Lyrik sprach. Wegen dieser Faszination habe ich mich dann auch an Gedichten versucht, aber die ersten waren natürlich grauenhaft. Das, was so ein zwölfjähriges Mädchen schreibt, hab ich halt mit 17-18 geschrieben. (lacht) Er hat aber mein Interesse gesehen und mich weiter gefördert. Das war der Herr Marcus Grau, dem habe ich damals meinen ersten Gedichtband („In der U-Haft eines weiteren Abends“, KRASH, 2011; Amn. d. Verf.) gewidmet.

Wie sehr haben Horrorgeschichten, Rap und Dichtung einander in deinem Schaffen befruchtet?

Mich haben ja immer schon die düsteren Sachen fasziniert. Horror ist einfach ein unfassbar interessantes Thema. Ich habe mit zwölf Jahren „Nightmare on Elm Street“ gesehen – das hat mir schlaflose Nächte bereitet. Damals war ich für diese Bilder noch nicht bereit, aber später konnte ich dann auch Horrorfilme genießen. Ob Werwölfe und Vampire oder so Slasher-Sachen: Das ist alles so interessant, weil es mit den Urängsten der Menschen spielt. Das geht so krass ins Verdrängte und Unbewusste. Vampire haben zum Beispiel noch diese erotische Komponente, wenn sie in den Hals beißen und mit dem Mund das Blut aussaugen. Davon hat ja auch jede Kultur ihre eigenen Ausformungen. All das hat ja sehr meinen Weg beim Rap beeinflusst. Damals war diese Horror-Misanthropen-Schiene ja auch noch komplett neu. Mit dieser Ablehnung gegen alles Menschliche habe ich ja angefangen und das später in noch horrorlastigeren Sachen wie „Krieche aus der Hölle“ noch spezifiziert. Also das ist seit jeher der Quell von allem und ging in der Literatur so weiter. Da habe ich es aber versucht, Klischees und Altbekanntes zu vermeiden und versucht, neue Bezeichnungen und Motive zu finden.

Ich habe „Vantablack“ sowohl gelesen als auch in der Hörbuch-Version angehört. Beide Medien haben klare Vor- und Nachteile. Ich nehme an, dass du die schriftliche Version bevorzugst (Schwartz nickt). Beim Hören kam aber beispielsweise „Soundtrack bis in die Flucht“ deutlich besser zur Geltung, weil du das „Hass“-Geräusch der Fußschritte im Hintergrund einsprichst, statt es zwischen die Zeilen auszuschreiben.

Ja, da hast du auf jeden Fall Recht. Das ist ein etwa drei Jahre alter Text, der die ganze Zeit bei mir rumlag. Als ich den Gedichtband entworfen und das Layout konzipiert habe, kam mir dieses quasi gedruckte Laufband in den Sinn. Aber bei dem Text ist klar, dass er gelesen viel stärker kommt, genau wie „Amoklauf wegen Frühstücksei“.

Ja, bei dem ging es mir auch so. Als ich ihn alleine gelesen habe, habe ich ihn ganz anders wahrgenommen als in deiner Version.

Die beiden funktionieren vorgetragen hervorragend. Aber mir war beim Lesen auch die optische Dimension sehr wichtig. Da war ich lustigerweise von Insta-Stories inspiriert. Viele Texte lagen einfach niedergeschrieben bei mir herum und irgendwann habe ich angefangen, Insta-Stories zu machen, wo ich mehr geschrieben habe als Fotos zu posten. Da ist mir aufgefallen, was für geile Effekte man durch die Größe und Arrangements von Worten und Buchstaben erzielen kann. Das wollte ich auf „Vantablack“ anwenden.

Also sind die Formatierungen nachträglich ergänzt?

Bei neueren Sachen war das dann direkt mit eingeplant. Die älteren Sachen habe ich mir genommen, komplett umgeworfen und dann neu gemacht und darauf zugeschnitten. Wenn ich sage, dass etwas fertig war, meine ich nicht, dass es schon in der Form finalisiert war. Der Entwurf des Kunstwerks war dann quasi fertig und wurde noch angepasst. Das war jede Menge Spielerei.

Ich hatte für die Interviewvorbereiten ja nur eine .pdf zur Verfügung. Da hat mich das lesen teilweise sehr angestrengt. Vor allem, weil in der Datei irgendwie einige Passagen zerschossen waren. Da stand dann zum Beispiel der entsprechende html-Code, statt dass ein Wort fett oder kursiv gedruckt war.

Oh scheiße, echt? (zögert) Warte mal, das war Absicht! In einem Gedicht habe ich den html-Code als Stilmittel benutzt.

Verdammt, das habe ich nicht verstanden. Im Buch hätte ich das vielleicht verstanden, digital hielt ich es für einen Fehler.

Ich wollte damit die Digitalisierung und Abläufe von Programmen abbilden. Da stehen ja auch Passagen wie „Volltext-Suche in den Metadaten des Tages.“ – so habe ich das noch visuell umgesetzt. Und immer wenn es um diesen göttlichen Infinite-Monkey ging, habe ich das in dieser HTML-Form geschrieben.

Wie nimmst du das wahr, wenn ich mich auf ein Interview vorbereite und etwas derart falsch verstehe. Siehst du das Versagen bei dir oder bei mir?

(lacht) Gute Frage. Ich würde sagen: Weder noch. Das geht in diese rezeptionsästhetischen Bereiche; bei Filmen oder so kann man das ja genau so sehen. „Dawn of the Dead“ kann man als geilen Zombiefilm schauen und Romeros Kapitalismuskritik völlig ignorieren. Das betrifft auch Gedichte. Wenn du etwas nicht verstehst, heißt es nicht zwingend, dass du blöde bist, oder ich etwas nicht richtig vermittelt habe, auch wenn beides der Fall sein kann. Letzten Endes kann mich auch etwas catchen und faszinieren, wo ich merke, dass ich überhaupt nichts verstehe. Das ist wahrscheinlich sogar der wichtigere Punkt. Auf meiner Toilette hängt ein Gedicht von Anise Koltz, das geht folgendermaßen: „Ich lutsche in deinem Mund ein Stück Weltall, ohne die Sonne zu bewegen und den Stein zu meinen Füßen.“

Verstehe ich nicht. Verstehst du das?

Nein. (Gelächer) Aber es fasziniert mich. Ich glaube, es geht ums Küssen.

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