Fynn Kliemann im Interview: Labelgründung, Live-Konzerte, richtiger Zeitpunkt des Ausstiegs

Warum hast du von politischen Themen die Finger gelassen?

Nisse äußert auch immer, dass die Leute politischer sein sollen. Das sind Themen, die mich in meinem kleinen Kosmus nicht so oft beschäftigen, außer wenn ich auf Ungerechtigkeit treffe. Ein Sound, der darauf ausgelegt ist, so etwas zu verdeutlichen, ist oft langweilig und klingt scheiße. Zum Beispiel das zweite Album von Genetikk – das catched mich nicht. Oder Macklemore & Ryan Lewis: Seitdem die Erfolg haben, sind sie sehr politisch und reden auch auf ihren Konzerten eine Dreiviertelstunde darüber, dass man sich lieben soll. Das geht mir auf den Sack. Es geht nicht darum, dass die Nachricht falsch ist, sondern wie sie sie vermitteln. Letztendlich willst du Musik hören und die Themen, die mich wirklich interessieren, sind eigene kleine Probleme. Das große Ganze ist natürlich immer ein Teil davon, aber einen Song über ein politisches Defizit zu machen, um einen Song über ein politisches Defizit zu machen, geht ganz oft in die Hose. Nichtsdestotrotz: Wenn du ’n geilen Song hast, der so ’ne Message vertritt, ist das ja super. Aber ich hab in die Richtung nichts Gutes zustande bekommen.
Ich hab natürlich trotzdem eine klare Ausrichtung, die heißt „Liebt euch alle gegenseitig, es gibt keine Aussätzigen“. Ich mach das aber eher mit Projekten und Taten, wie zum Beispiel die Kooperationen mit Viva con Agua für sauberes Trinkwasser oder SOS Mediterranée für die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer. Oder eben dem Kliemannsland. Wenn eine bestimmte Haltung aus jeder Pore deines Körpers spricht, bringt das meiner Meinung nach eh mehr.

Willst du denn auch Konzerte spielen oder Festivals? 

Nee, gar nicht live. Ich hab Schiss.

Ach, komm. Da bist du doch gar nicht der Typ für!

Ich habe kein Schiss vor gar nichts, außer vor Musik. Man kann dabei viel kaputt machen. Sagen wir mal, du hast das perfekte Gefühl in einem Song abgebildet, spielst das live, vertüddelst dich und triffst den falschen Ton – dann ist ALLES kaputt. Die Angst davor, etwas zu verkacken, sorgt dafür, dass es mir richtig scheiße geht, bevor ich irgendwo live spielen muss und ich habe keine Lust darauf, dass es mir scheiße geht.

Aber wäre es nicht auch ein Statement, sich trotzdem hinzustellen und zu sagen: Wenn ich verkacke, ist das menschlich. Jeder macht ja mal Fehler oder verbockt irgendwas. 

Richtig, aber nicht auf einem Live-Konzert. Stell dir vor, du willst dir einen Künstler angucken und dann ist der voll schlecht, weil der alles verkackt. Dann ist das zwar menschlich, aber trotzdem schlecht.

Ich finde es immer eher schlecht, wenn sich die Künstler live genau so anhören, wie auf der Platte. Wenn sie es schaffe, ihrer Musik auf der Bühne einen eigenen Charakter zu geben, bin ich überzeugt. Egal, ob sie einen Ton verkackt haben oder nicht. 

Stimmt. Ich hab mir vorgenommen, jeden Song aus dem Album ein Mal live zu spielen. Das ist aber auch noch nicht in Stein gemeißelt und könnte an die 20 Jahre dauern. Zwei habe ich schon, jetzt muss ich noch neun. Beim BongoBoulevard habe ich „Sardinien“ gespielt und bei „Inas Nacht“ war es „Zu Hause“.

Hast du schon Anfragen für Features bekommen? 

Ja, aber ich habe keins zugesagt. Auf meinem Album ist auch kein Feature drauf, obwohl ich mir vom Style her Hayiti für „Kietztränen“ gut hätte vorstellen können. Aber dann erzählt jemand anderes deine persönliche Geschichte. Das ist doch komisch? Wenn du über dicke Ketten und fette Autos rappst, dann ist es absolut okay, wenn jemand dazu kommt und auch nochmal auf einen 16er erzählt, dass er der Geilste ist. Aber bei so einer privaten Geschichte muss ich das Ganze anfangen und auch beenden, deshalb gibt es keine Features.

Worum geht es in „Kieztränen“?

Es geht um eine Freundin, die ihr ganzes Leben verändert hat und in die Großstadt gezogen ist, um einmal richtig Vollgas zu geben. Sie zieht los in die Assi-Clubs, baut die ganze Zeit Scheiße und ist letztendlich völlig verloren in dieser Welt. Man verliert sich in dieser Nacht und braucht das auch irgendwie. Du träumst die ganze Zeit von einer tollen, heilen Welt und bist letztendlich aber in einem Drecksloch unterwegs. Da passiert ganz viel doofes Zeug mit dir. Was man aus solchen Liedern heraushört, kommt aber auch immer darauf an, wo im Leben man gerade steht.

Kannst du die Line „Gehör‘ zur privilegierte Jugend, einfältige Tugend / Bin gesegnet und bezahl‘ mit Ideen / gebär‘ zu wenig / Ewig kindisch, lebe in Venen“ aus „Seattle“ erklären? 

In „Seattle“ geht es darum, dass man einem Traum hinterher läuft. Kurt Cobain wollte immer berühmt sein, aber wusste selbst nicht so richtig, warum er das möchte. So war das bei mir früher auch. Das, was wir gerade machen, ist krass, aber irgendwie auch merkwürdig. Der ganze Weg dahin hat sich extrem verändert. Inzwischen versteht man schwer, wo man gerade hinreist, was man dafür tut und wo der richtige Punkt ist, um auszusteigen, damit man nicht wie Kurt am Ende verloren geht. Ich reise nun erstmal ein wenig in dieser Szene mit, aber weiß auch, dass ich nicht bis zum Ende mitfahren möchte, um mich nicht selbst zu verlieren. Aktuell bezahle ich mit Ideen – das ist die Währung meines Lebens. Das ist schön, doch auf der anderen Seite auch nichts zum Anfassen. Mit „Lebe in Venen“ meine ich, dass Leute oft dabei sind, irgendwelche Projekte auf die Welt zu bringen, aber es nicht so richtig schaffen. Das werfe ich mir selber immer vor. Ich habe so viele Ideen und setze auch schon viele um, aber es reicht noch lange nicht, um dem Stand zu halten, was ich eigentlich machen möchte. Das schaffe ich zeitlich nicht. Und das ist für mich eine privilegierte Jugend, denn wir haben alles was wir brauchen und noch viel mehr.

Gibt es etwas in deinem Leben, dass du unbedingt noch erreichen möchtest, wonach du sagt „Jetzt ist aber mal gut“? 

Gut und fertig ist es eh nie, aber es gibt Etappen. Wenn die Platte raus kommt, gibt es eine Releaseparty vor einem Kiosk in Hamburg. Da will ich mich mit allen Leuten hinsetzen, bisschen Bier saufen und am nächsten Tag fliege ich mit meiner Freundin Franzi für eine Woche nach Sizilien. Dort will ich ein bisschen Rubix Cube (Zauberwürfel) basteln und ein Buch über Quantenphysik lesen. Ich hab tausend Sachen vor mir, die ich immer wieder aufschiebe. Die Platte ist zwar fertig aber mit dem ganzen Kram, den ich noch für die Box basteln muss, hängt da ein ganz schön langer Rattenschwanz dran, der noch abgearbeitet werden muss. Als nächstes größeres Projekt will ich meine Altersvorsorge in Form einer Fun-Sport-Aktivität sichern. Dazu kann ich aber noch nichts sagen, weil die Idee einfach zu genial ist!

Bis zum 28. September 2018 kann das Album noch auf www.nie-bestellen.de geordert werden. Danach gibt es die Platte „nie“ wieder.
Ansonsten kann man Fynn quasi immer in seinem selbst gegründeten Freistaat, dem Kliemannsland, besuchen. Hier treffen sich kreative Menschen und setzen gemeinsam Projekte um. Was für die Zukunft geplant ist und welcher Blödsinn bereits stattgefunden hat, seht ihr auf dem YouTube Channel vom Kliemannsland:
https://www.youtube.com/channel/UCLKPfqBGqL4gaEvegb_If0Q